Koalitionsstreit um innere Sicherheit wird immer hitziger

Schäuble fühlt sich missverstanden, die SPD empfindet den Bundesinnenminister als "große Belastung" und die Union sieht sich von der SPD bei verdeckten Online-Durchsuchungen und beim BKA-Gesetz hingehalten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 267 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.

Mit den hochsommerlichen Temperaturen steigt auch das Thermometer in der Debatte um die innere Sicherheit, den Schutz vor Terroranschlägen und den Ausbau des Überwachungsnetzes weiter an. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble fühlt seine jüngsten Überlegungen im Umgang mit potenziellen Terroristen und "Gefährdern" missverstanden und rudert teilweise zurück. In der SPD wird der CDU-Politiker dennoch inzwischen als "große Belastung für die Koalition" empfunden. Die Union wiederum fühlt sich von den Genossen bei der Novelle des BKA-Gesetzes und der damit von ihr verknüpften Befugnis fürs Bundeskriminalamt zu verdeckten Online-Durchsuchungen weiter hingehalten.

Schäuble sagte in Interviews mit ARD und ZDF, es sei ihm bei den Äußerungen über die Tötung von Terroristen um den militärischen Kampf gegen die Terrororganisation al-Qaida und die rechtliche Stellung der Soldaten im Völkerrecht und im Verteidigungsfall gegangen. Daraus sei die Fehlinterpretation entstanden, "als wolle irgendjemand eine gesetzliche Regelung zum Abschuss von Terrorverdächtigen. Das will niemand, ich schon gar nicht". Der Minister warnte aber davor, die Debatte über Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus zu tabuisieren: "Die terroristische Bedrohung ist ernst. Die Sicherheitsbehörden brauchen die notwendigen gesetzlichen Instrumente." Auf die Frage, ob er eine andere Republik wolle, betonte Schäuble: "Nein, wirklich nicht." Er wolle "gerade nicht in verfassungsrechtlichen Grauzonen handeln." Wichtig sei es ihm vielmehr, klare Rechtsgrundlagen zu haben. Dafür will der Minister unter Umständen das Grundgesetz ändern. Ob nicht auch auf diese Weise der Rechtsstaat unterlaufen werden könnte, thematisierte Schäuble nicht.

Auslöser des Streits sind nach wie vor Überlegungen des Ministers in einem Interview mit dem Spiegel vor einer Woche. Schäuble hatte darin unter anderem gefordert, so genannten Gefährdern unter Umständen die Benutzung von Internet oder Handys zu verbieten. Dazu seien keine Gesetzesänderungen nötig, erläuterte er jetzt. So sei im Aufenthaltsrecht bereits geregelt, dass Menschen, die ausgewiesen seien, die man aber nicht abschieben könne, bestimmte Einschränkungen – etwa bei der Nutzung von Kommunikationswerkzeugen – auferlegt werden könnten. Als "völlig ungeklärt" hatte Schäuble zudem eine eventuelle Beteiligung Deutscher an möglichen Tötungsaktionen von Top-Terroristen etwa in Afghanistan bezeichnet. Der Minister wörtlich: "Wir sollten versuchen, solche Fragen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären und Rechtsgrundlagen schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten."

Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach interpretiert diese Äußerung nun im Interview mit dem Deutschlandfunk so, dass Schäuble "nicht gesagt hat, wörtlich oder auch nur sinngemäß, er würde jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen, der die gezielte Tötung mutmaßlicher Terroristen zum Inhalt hätte". Richtig sei allerdings, "dass wir heute eine völlig andere Bedrohungslage haben als zur Zeit des Kalten Krieges und dass wir darüber sprechen müssen in unserem Lande". Da gebe es Schutzlücken, insbesondere beim BKA-Gesetz und Luftsicherheitsgesetz sowie bei der Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen, die dem Terrorismus dienen. Als "Politik paradox" der SPD bezeichnete er in diesem Zusammenhang den Streit um die heimliche Ausforschung von Festplatten. Eingeführt habe sie ein SPD-Staatssekretär unter Ex-Innenminister Otto Schily, Schäuble habe das "rechtswidrige Treiben" nach massivem Druck von allen Seiten gestoppt. "Jetzt wird er dafür von der SPD hart kritisiert, und das ist schon schäbig", empört sich Bosbach. Die Union werde aber nicht locker lassen, da es "um den Schutz des Landes und 82 Millionen Menschen vor dem internationalen Terrorismus" gehe.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries warnte gegenüber dem Sender, "dass man solche Überlegungen überhaupt nur anstellt, die mit den wesentlichen Grundprinzipien unserer Verfassung nicht übereinstimmen". Der Innenminister habe als Verfassungsminister eine besondere Verantwortung und sollte nicht solche Gedankenspiele in die Öffentlichkeit bringen. Es gehe Schäuble nicht um das kurzfristige Einsperren etwa von Hooligans, wie dies in den Polizeigesetzen der Länder geregelt sei. Vielmehr sei die Rede allgemein von Gefährdern, "wo wir nicht wissen, ob sie heute, in einem Jahr oder in drei Jahren gegebenenfalls Taten begehen. Man könne aber niemand aus einem Verdachtsmoment heraus "für den Rest seines Lebens festsetzen".

Zypries bedauerte, dass Schäuble die Schritte, "die er unternehmen könnte", wie etwa die mit Ausnahme der Regelung zu Netzbespitzelungen weitgehend abgestimmte Novelle des BKA-Gesetzes ins Verfahren zu bringen, nicht mache. Es sei durchaus üblich, Streitfragen wie das Durchforsten privater PCs und Speicherplattformen im Netz mit mehr Distanz über den Bundestag und die parlamentarische Beratung noch mit einzuführen. "Wir haben immer gesagt, wir müssen bei der Online-Durchsuchung zunächst mal klarmachen, was ist es eigentlich überhaupt, was kann man da machen, wie aufwendig ist es, wofür ist es überhaupt erforderlich, wofür brauchen die Sicherheitsbehörden das, an wie viele Fälle ist gedacht." Elementar sei die verfassungsrechtliche Einstufung, also vor allem der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Das sei in diesem Fall "sicherlich ausgesprochen schwierig". Deswegen müsse man erst auch mit den "technisch versierten Menschen sprechen". Da bräuchten die Juristen Hilfe von Informatikern. Eine Lösung bis Ende August, wie sie der Union momentan vorschwebt, kann sich Zypries daher nicht vorstellen.

Für den Innenexperten der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hat Schäuble derweil das Klima zwischen Schwarz-Rot schwer belastet. Jetzt habe der Minister für seine Vorstöße zur Terrorismusbekämpfung selbst "vom Bundespräsidenten die rote Karte bekommen", sagte er der Frankfurter Rundschau. Der Konflikt um die innere Sicherheit schaffe "wechselseitig schwindendes Vertrauen" innerhalb der Koalition. Bei dieser Ausgangslage werde eine künftige Zusammenarbeit schwierig. Eine Rüffel versetzte Schäuble auch der niedersächsische Ministerpräsident und CDU-Vize Christian Wulff in der Bild-Zeitung: "Das gezielte Töten ­ von wem auch immer ­ ist mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar und eine Debatte darüber unverantwortlich." (Stefan Krempl)

Siehe dazu auch:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)