Millionenbeute zurückgeholt: Gericht lässt Smart Contract umprogrammieren​

Hunderte Millionen Dollar in Kryptomünzen waren weg. Doch manche Smart Contracts kann man umprogrammieren. Ein Tabubruch in der Kryptowelt.

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Mehrere große Tresorschließfächer, wovon einige geöffnet und leer sind

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Kryptomünzen im Wert von damals gut 320 Millionen Dollar hat ein Dieb im Februar des Vorjahres gestohlen. Ein Jahr später ist er die Beute wieder los: Auf Anordnung eines englischen Gerichts wurde der Code eines Smart Contracts umprogrammiert. Dadurch konnte sich das Opfer seine Münzen zurückholen, und sogar noch ein paar mehr.

Ihren Ausgang nimmt die Geschichte im Februar 2022: Ein Unbekannter nutzt einen Fehler der Blockchain-Brücke Wormhole und im Design bestimmter Smart Contracts aus, um auf der Blockchain Solana aus dem Nichts 120.000 Einheiten der Kryptowährung Ethereum eintragen zu lassen. Dann räumte er seine neue Münzen ab. Der Schaden für Wormhole-Betreiber Jump Crypto lag damals bei umgerechnet mehr als 320 Millionen US-Dollar. Damit handelt es sich bis heute um einen der größten bekannt gewordenen Krypto-Hacks. (Eine Krypto-Brücke soll Transaktionen zwischen verschiedenen Blockchains ermöglichen, keine neuen Münzen erzeugen.)

Anschließend hat der Dieb aber nicht versucht, seine Beute in echtes Geld zu tauschen. Stattdessen schob er seine Kryptomünzen ein bisschen umher, um sie dann fast ein Jahr lang liegen zu lassen. Erst Anfang 2023 kam wieder Bewegung in die Sache. Der Täter nutzte die Beute, um riesige Wetten auf Kryptowährungen abzuschließen. Im Zuge dieser Unternehmungen legte er seine Münzen in zwei sogenannte Vaults des Oasis-Protokolls. Dieses Protokoll wird von der englischen Firma Oaza Apps Ltd. betrieben. Die Vaults sind eine Art Konto und angeblich frei von Kontrolle Dritter.

Der Wormhole-Täter nutzte die von ihm dort eingelegten Kryptomünzen als Sicherheit für ein Darlehen in Stablecoins der Währung DAI – er schloss also eine Wette auf steigende Kurse der Kryptomünzen ab. Gleichzeitig erteilte er sogenannte Stop-Loss-Order. Die Idee dahinter ist, etwaige Verluste dadurch zu begrenzen, dass automatisch Verkäufe erfolgen, wenn ausgewählte Kurse bestimmte Schwellen erreichen – bevor die Kurse noch schlechter werden. Umgesetzt wird das bei Oasis durch sogenannte Smart Contracts, die im Fall des Falles automatisch aktiv werden.

Smart Contracts beruhen auf Software, deren Sourcecode für die Teilnehmer in der Regel einsehbar ist. Von ihrer Grundidee her sind einmal geschlossene Smart Contracts unveränderlich; aufgrund von Bugs hat das aber zu Heulen, Zähneklappern und Millionenverlusten geführt. Daher sind veränderliche Smart Contracts immer häufiger. Dazu zählen auch die vom Wormhole-Täter genutzten Stop-Loss-Order.

Diese Smart Contracts haben zwölf Schlüssel; Updates der Software müssen mit vier dieser zwölf Schlüssel bestätigt werden. Vorgesehen ist außerdem, dass Updates erst nach 30 Minuten schlagend werden – wer genau aufpasst, soll seine Kryptowerte noch herausholen können, bevor der neue Code des Smart Contract greift.

Am 21. Februar 2023 wurde ein weiterer Schlüssel zu den Stop-Loss-Smart-Contracts hinzugefügt – für nicht einmal zwei Stunden. In dieser Zeit wurde der Programmcode der Smart Contracts umgeschrieben und einige Transaktionen ausgelöst. Das führte dazu, dass die in den beiden Vaults hinterlegten Beutemünzen in einem völlig anderen Vault landeten. Dieser wird wohl von Wormhole-Betreiber Jump Crypto oder einem Treuhänder kontrolliert.

Jump zahlte umgehend das vom Täter aufgenommenen DAI-Darlehen zurück, so dass der Betreiber des Oasis-Protokolls keinen finanziellen Schaden hat. Die zurück-erbeuteten 137,537 Ethereum-Münzen sind sogar gut 17,500 Ethereum mehr, als der Täter voriges Jahr aus dem Nichts generiert hat und die Jump Crypto dann ersetzen musste. Der Ethereum-Kurs ist in der Zwischenzeit allerdings deutlich gefallen. Nach Abzug des DAI-Darlehens dürfte Jump Crypto immerhin Kryptomünzen im Gegenwert von zirka 140 Millionen Dollar zurückergattert haben, also nicht ganz die Hälfte des Schadens aus dem Vorjahr. Nach weniger als zwei Stunden wurde der zusätzliche Schlüssel des Smart Contract wieder gelöscht.

Offengelegt haben die Verantwortlichen diese Vorgänge zunächst nicht. Richtig geheim waren sie aber nicht, weil die Codeänderungen und Transaktionen öffentlich einsehbar sind. Aufgefallen ist das Ganze den Betreibern von Blockworks Research, die die Vorgänge im Detail erläutern.

Erst nach dieser Veröffentlichung hat Oasis-Betreiber Oazo App eine kurze Stellungnahme veröffentlicht: "Am 21. Februar haben wir eine Anordnung des High Court for England and Wales erhalten, alle notwendigen Schritte zu setzen, die zum Abruf bestimmter Assets (…) führen würden. Das wurde (…) mit Oasis-Schlüsseln und einer vom Gericht autorisierten Partei umgesetzt. Wir können auch bestätigen, dass die Assets sogleich an ein Wallet der autorisierten Partei übertragen wurden."

Aber hätte der Vault-Inhaber nicht eine halbe Stunde Zeit gehabt, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, bevor die Code-Änderungen greifen? Jein. Die Warteschleife beruht ja auch nur auf Softwarecode. Der erste Schritt der Umprogrammierung war daher, die Wartezeit von 30 Minuten auf null herunterzusetzen. Also musste der Vault-Inhaber seiner Entreicherung machtlos zusehen.

In der Welt der Kryptozocker ist der Eingriff vom 21. Februar ein Tabubruch. Die Branchenphilosophie stellt darauf ab, frei von äußeren Einflüssen zu sein. Niemand soll eigenmächtig über die Assets Dritter entscheiden oder Transaktionen rückgängig machen – selbst wenn das hilft, Verbrechensopfer zu entschädigen. Die Oasis-Betreiber haben hier nicht einmal versucht, den Gerichtsbeschluss zu bekämpfen, sondern ihn noch am selben Tag umgesetzt – und sich erst dann dazu geäußert, als ein Außenstehender auf die Vorgänge aufmerksam machte. Warum sollen sie auch eigenes Geld in so ein Verfahren stecken.

Den Gerichtsbeschluss selbst oder auch nur sein Aktenzeichen hat Oazo Apps nicht veröffentlicht. Eine Anfrage heise onlines lässt die Firma bislang unbeantwortet. Die englische Justiz erteilt ohne Angabe des Aktenzeichens keine Auskunft. Daher kann heise online den Inhalt des Gerichtsbeschlusses bislang nicht verifizieren.

Der High Court of England and Wales ist inzwischen durchaus mit Kryptowährungsthemen vertraut und geht dabei auch kreativ vor. In einem anderen Verfahren [2023] EWHC 340 (KB) hat das Gericht im Februar entschieden, Dokumente mittels Airdrop in bestimmte Wallets zuzustellen. Damit wird ein als NFT-Dieb vermuteter Ausländer offiziell über das gegen ihn angestrengte Verfahren informiert. Damit darf das Gericht ohne sein Mittun entscheiden.

Der in England lebende australische Computerwissenschaftler Craig Wright führt an dem Gericht mehrere parallele Verfahren. Wright behauptet, Bitcoin unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto erfunden zu haben. Auf diese nicht bewiesene Behauptung aufbauend wirft er verschiedenen Parteien Urheberrechtsverletzungen vor, darunter mehreren Bitcoin-Blockchains, die sich von der ursprünglichen Bitcoin-Blockchain abgespalten haben, auch dem Betreiber einer Webseite, der das ursprüngliche Bitcoin-Whitepaper zum Download anbietet.

Zudem prozessiert Wright als Opfer eines Diebstahls von Schlüsseln zu Bitcoin-Wallets. Er möchte wieder auf seine Bitcoin zugreifen können, und verlangt, dass dafür vier verschiedene Bitcoin-Blockchains umprogrammiert werden. Der High Court of England and Wales hat das Verfahren als aussichtslos eingestellt, doch das zuständige Berufungsgericht hat entschieden, dass Wrights juristische Theorien nicht aussichtslos sind und das Erstgericht das Verfahren weiterführen muss. Vielleicht müssen Bitcoin-Programmierer also bald die Blockchain manipulieren.

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Angesichts dieser Entscheidung des übergeordneten Berufungsgerichts ist es keine Überraschung, dass der High Court of England and Wales nun die Umprogrammierung von Smart Contracts anordnet. Das Verbrechensopfer Jump Crypto ist dadurch teilweise entschädigt worden.

(ds)