Netzausbau: EU fordert Kostenbeteiligung von Big-Tech-Plattformen

Mit dem Programm für die "digitale Dekade", das der Ministerrat final gebilligt hat, machen sich die EU-Gremien nun doch für eine Infrastrukturabgabe stark.

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(Bild: Outflow_Designs / Shutterstock.com)

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Lobbyerfolg auf den letzten Drücker für große europäische Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom, Orange, Telefónica und Vodafone sowie den Branchenverband ETNO: Ihre permanent vorgetragene Forderung, dass insbesondere US-Plattformen wie Amazon, Apple, Google, Meta, Microsoft und Netflix Geld für den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur zahlen sollen, ist jetzt doch in das bis 2030 ausgerichtete EU-Politikprogramm "Weg in die digitale Dekade" eingegangen.

Die endgültige Version des Digitalisierungsplans, die der EU-Ministerrat am Donnerstag final angenommen hat, enthält die einschlägige, lange umkämpfte Klausel: "Alle Marktakteure, die vom digitalen Wandel profitieren, sollten ihre soziale Verantwortung übernehmen und einen fairen und verhältnismäßigen Beitrag zu den öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und Infrastrukturen leisten" Dies sei "zum Nutzen aller Bürger in der Union" entscheidend.

Das Hin und Her im Streit über die so umrissene Infrastrukturabgabe nimmt damit bizarre Züge an: Die Mitgliedsstaaten hatten im Mai in ihrer Position zu der Agenda den alten Wunsch der Telcos zunächst im Einklang mit dem Vorschlag der EU-Kommission aufgegriffen. Der federführende Industrieausschuss des EU-Parlaments hielt wenig später dagegen und verwies auf den unabdingbaren Schutz der Netzneutralität. Über 50 Abgeordnete mehrerer Fraktionen kritisierten im Juli in einem Brandbrief noch einmal die "radikalen" Pläne für eine Big-Tech-Kostenbeteiligung am Netzausbau scharf. Die EU-Bürger seien auf ein freies und offenes Internet angewiesen.

In der Version für das Programm, auf die sich Verhandlungsführer der EU-Gesetzgebungsgremien im Sommer schließlich einigten, fehlte dem Vernehmen nach der umstrittene Satz für einen "fairen" Beitrag der Transformationsprofiteure. Der offizielle finale Text war damals aber noch nicht verfügbar, da er rechtlich und gesetzlich überarbeitet werden musste. Die Passage fand dann – offenbar auf den letzten Metern – doch noch Eingang in die Agenda. Der ETNO begrüßte parallel, dass sie auch Teil der separaten, schon im Januar von der Kommission vorgelegten Europäischen Erklärung zu den digitalen Rechten und Grundsätzen für die digitale Dekade ist.

Die für Digitales zuständige Kommissionsvizepräsidentin Margrete Vestager und Binnenmarktkommissar Thierry Breton sprachen sich in den vergangenen Monaten wiederholt für eine einschlägige Infrastrukturabgabe aus. Der Franzose wollte ursprünglich schon im Herbst einen entsprechenden Vorschlag für ein Konnektivitätsgesetz vorlegen. Dieser lässt aber weiter auf sich warten.

Mit ihrem Beteiligungsappell stellen sich die EU-Gremien gegen die Position ihrer eigenen Experten. Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) befand im Oktober, dass die ständig neu erhobene Klage der Netzbetreiber nach wie vor nicht berechtigt ist. Das Internet hat ihnen zufolge seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, "mit dem zunehmenden Verkehrsaufkommen, den Veränderungen in den Nachfragemustern, der Technologie, den Geschäftsmodellen und der (relativen) Marktmacht der Marktteilnehmer fertig zu werden".

Die verlangten Netznutzungsgebühren "schaden den Verbrauchern und brechen mit dem Status quo, der die rasche Verbreitung des globalen Internets ermöglicht hat", warnt auch die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) in einer aktuellen Stellungnahme. Bei der Behauptung der Provider, dass die Kosten für den Ausbau und die Bereitstellung von Online-Diensten für sie ungerechtfertigt gestiegen seien, handle es sich um einen "Trick", um Monopolgebühren einzustreichen und "den Wettbewerb auszuschalten".

Laut einer jüngst veröffentlichten Analyse des Forschungsinstituts Mason im Auftrag des US-Branchenverbands Incompas haben Content-Anbieter zwischen 2011 und 2022 zusammen fast 900 Milliarden US-Dollar in die Infrastruktur investiert, die ihre Dienste beherbergt, transportiert und bereitstellt. Ziel ist es, die Zuverlässigkeit und Qualität ihrer Dienste weltweit zu verbessern und Latenzzeiten zu verkürzen. Auch Google, Netflix & Co. bauen demnach Seekabel, Datenzentren und Zwischenspeicher an den Rändern des Netzwerks. Dies erspart den Telcos laut der Studie jährlich zwischen 5 und 6,4 Milliarden US-Dollar. Ohne attraktive Inhalte rentierten sich neue Glasfaserstrecken zudem kaum.

Kernvorgaben des Programms für das digitale Jahrzehnt: Alle wesentlichen öffentlichen Verwaltungsdienste sind bis 2030 überall digital verfügbar, 5G ist überall ausgerollt, fast alle Bürger haben digitale Grundkompetenzen. 20 Millionen IT-Experten sollen dann in der EU arbeiten und die meisten Unternehmen Dienste rund um die Cloud, Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data nutzen.

Die Agenda soll die EU in eine digitale Führungsrolle bringen und eine inklusive sowie nachhaltige Digitalpolitik im Dienste der Bürger und der Unternehmen fördern. Zu diesem Zweck werden konkrete Digitalziele in den Bereichen Kompetenzen, sichere und tragfähige digitale Infrastrukturen, digitaler Umbau von Unternehmen und Digitalisierung öffentlicher Dienste festgelegt, die die Gemeinschaft bis Ende des Jahrzehnts erreichen will. Die Mitgliedstaaten sollen nationale strategische Fahrpläne ausarbeiten, um die Vorgaben bis zu ihrer geplanten Überprüfung 2026 zu erreichen. Zuvor hatte die Kommission im Bereich E-Government die Umsetzung nicht kontrolliert.

(bme)