Nord Stream 1: Putin deutet offenbar gekürzte Gaslieferungen an

Bleiben Gaslieferungen nach Deutschland auch nach Beendigung der Arbeiten an Nord Stream 1 gedrosselt? Russlands Präsident Putin deutet das jetzt an.

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(Bild: INSAGO / Shutterstock.com)

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Aktuell werden an der Pipeline Nord Stream 1 Wartungsarbeiten vorgenommen. Seit Tagen gibt es angesichts der Spannungen rund um den Ukraine-Krieg Spekulationen darüber, ob die Gaslieferungen von Russland nach Deutschland nach Beendigung der Arbeiten wieder – und wenn ja, in welchem Umfang – aufgenommen werden. Die EU-Kommission etwa rechnet mit einem dauerhaften Erdgas-Stopp.

Russlands Präsident Putin hat nun offenbar weitere Einschränkungen bei der Gaspipeline Nord Stream 1 angedeutet. Das berichtet unter anderem die Süddeutsche Zeitung am Mittwochmorgen. Demnach soll der Kremlchef am Rande eines Treffens mit seinem iranischen Kollegen Ebrahim Raisi und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in Teheran gesagt haben, dass die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline Ende Juli deutlich fallen könnte, sollte Russland die in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten. Die Süddeutsche Zeitung bezieht sich auf eine Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass.

Nord Stream 1 wird seit dem 11. Juli routinemäßig gewartet, ab Donnerstag (21. Juli) soll die Pipeline wieder Erdgas nach Deutschland liefern. Falls das auf Dauer nicht passiert, könnte das Deutschland deutlich härter treffen als Russlands Präsident Wladimir Putin, hatte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem Deutschlandfunk zu Beginn der Woche gesagt.

Seit Juni hat Russlands staatlicher Energieriese Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland dem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge um mehr als die Hälfte der täglichen Höchstmenge reduziert – auf 67 Millionen Kubikmeter. Begründet wurde dies mit der fehlenden Turbine von Siemens Energy, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte das als vorgeschobenes Argument. Das nun drohende Szenario wird unter Bezugnahme auf die Nachrichtenagentur Tass in dem Bericht so skizziert: Sollte Russland die Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende des Monats wegen der notwendigen Reparatur eines "weiteren Aggregats" die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline auf 33 Millionen Kubikmeter zu fallen.

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Die Nachrichtenagentur DPA berichtet unter Berufung auf die russische Agentur Interfax, Putin habe in der Nacht zum Mittwoch Lieferungen auch nach der Wartung angekündigt. "Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", zitiert die russische Agentur Interfax Putin der DPA zufolge. Gleichzeitig warnte er demnach vor einem weiteren Absenken der Liefermenge. Sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die Durchlasskapazität nochmals deutlich zu fallen. "Dann gibt es nur 30 Millionen Kubikmeter am Tag."

Die in Kanada reparierte Turbine wurde wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bislang nicht wieder an Russland übergeben. Zuletzt hatte die kanadische Regierung auf Bitten Berlins entschieden, die Turbine von Siemens Energy an Deutschland zu übergeben, womit sie wieder eingebaut werden kann. Damit solle Russland ein Vorwand für den endgültigen Stopp der Gaslieferungen oder deren anhaltende Drosselung genommen werden, hieß es. Moskau betont aber, bis jetzt weder die Maschine noch die dazu gehörigen Dokumente bekommen zu haben.

Das Gasturbinentriebswerk ist laut dem russischen Lieferanten Gazprom wichtig für die Kompressorstation Portowaja, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Das Bundeswirtschaftsministerium hingegen hatte betont, es handele sich um eine Ersatzturbine. Es sei ein russischer Vorwand, dass wegen der Wartung dieser Turbine der Gasfluss habe gedrosselt werden müssen. Trotz ukrainischer Proteste hatte Kanada die Ausfuhr der reparierten Turbine genehmigt, sie soll auf dem Weg nach Russland sein, wurde am Montag berichtet. Gazprom hatte zuvor weitere Zweifel an der Wiederaufnahme der Lieferungen durch Nord Stream 1 geweckt.

Auch Putins Äußerungen in Teheran lassen nun darauf schließen, dass auch nach Ende der Wartungsarbeiten und selbst bei Einbau der Turbine die Pipeline möglicherweise nicht wieder auf volle Leistung hochgefahren würde. Denkbar wäre, dass Moskau so die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 erzwingen will. Die Pipeline ist seit 2021 fertig gebaut, es fehlen aber noch die Zertifizierungsunterlagen. Das Genehmigungsverfahren für die Leitung wurde von Deutschland nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ausgesetzt.

Über die Pipeline Nord Stream 1, die über gut 1200 Kilometer von Russland durch die Ostsee nach Lubmin in der Nähe von Greifswald verläuft, wurden 2021 etwa 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland geliefert. Das ergibt grob gerechnet 590 Milliarden kWh. Insgesamt wurden laut BDEW in Deutschland 1003 Milliarden kWh Erdgas verbraucht. Momentan liefert Russland nach West- und Zentraleuropa noch Erdgas über eine Gasleitung, die durch die Ukraine verläuft.

Die Routinewartung der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 1 ist bis kurz vor dem planmäßigen Abschluss ohne größere Probleme verlaufen. Bis Dienstagabend stand nach Aussage eines Unternehmenssprechers aus Sicht der Nord Stream AG Gaslieferungen ab Donnerstag nichts im Weg. Andernfalls müsste die Betreibergesellschaft den Markt in festgelegter Weise informieren. Eine entsprechende Meldung gab es auch bis Mittwochmorgen nicht.

Bereits am Mittwoch (20.07.2022) könnte sich abzeichnen, ob Gazprom am Folgetag wieder Gas fließen lässt. Normalerweise meldeten Transportkunden am jeweiligen Vortag geplante Liefermengen an, erklärte eine Sprecherin des Netzbetreibers Gascade. Das Unternehmen betreibt die beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin.

Entsprechende Anmeldungen - sogenannte Nominierungen - seien Voraussetzung, damit nennenswerte Mengen transportiert werden können. Bis kurz vor der tatsächlichen Lieferung könnten die Anmeldungen allerdings noch verändert werden.

(tkn)