Richter verbietet US-Behörden Kontakt mit "social media companies"

Für Verwirrung sorgt die einstweilige Verfügung eines US-Bundesgerichts. Es verbietet vielen Bundesbehörden Kontakt mit Firmen, die Soziale Netzwerke betreiben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 150 Kommentare lesen
Menschen auf U-Bahn-Bahnsteig, die auf ihre Handys starren

(Bild: William Perugini/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

Eine Reihe von US-Bundesbehörden darf keinen Kontakt mit "social media companies" haben, von bestimmten Ausnahmen abgesehen. Das Verbot hat das US-Bundesbezirksgericht für das westliche Louisiana als einstweilige Verfügung ausgesprochen. Selbst direkte oder indirekte Hinweise auf womöglich unzulässige Postings sind den betroffenen Behörden damit untersagt. Die einstweilige Verfügung gilt bis zum Abschluss des Hauptverfahrens, was noch Jahre dauern kann. Die Aufregung in den USA über diese Einschränkung der Regierung ist groß.

Kläger sind fünf Einzelpersonen sowie die beiden republikanisch regierten US-Staaten Louisiana und Missouri, die angeben, die Interessen ihrer Bürger zu vertreten. Sie werfen der US-Regierung vor, seit 2017 Betreiber sozialer Netzwerke dazu zu zwingen, bestimmte Inhalte entweder zu löschen oder zwar online anzubieten, aber nicht breit zu streuen. Das sei Kompetenzüberschreitung, Verstoß diverser Vorschriften über die Durchführung von Verwaltungsaufgaben sowie ein Verstoß gegen den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung. Letzterer verbrieft das Recht auf Freie Rede: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances."

Die Kläger stoßen sich daran, dass Bundesbehörden sowie einige Nichtregierungsorganisationen Betreiber Sozialer Netzwerke dazu gedrängt haben, gegen Missinformation und Desinformation speziell zu Krankheiten und deren Ursprung, Behandlung und Vorbeugung vorzugehen, aber auch gegen Kampagnen zur Reduktion der Impfbereitschaft. Außerdem sollten sie Maßnahmen gegen unwahre Behauptungen auf ihren Plattformen über Rassismus, über Finanzdienstleistungen, über Blaulichtorganisationen, über die Durchführung von Wahlen und deren Fälschung, sowie gegen die Verbreitung gehackter Daten und russische Kampagnen zur Beeinflussung von US-Wahlen ergreifen.

Die Beklagten stellen laufende Kontakte und Treffen grundsätzlich nicht in Abrede. Doch hätten sie die Plattformbetreiber lediglich zu überzeugen versucht und niemanden zu etwas gezwungen. Die Kläger und der Bezirksrichter hingegen sind der Auffassung, dass die Zensurentscheidungen der Betreiber sozialer Netze juristisch den Behörden und ihren Amtswaltern zuzurechnen sind, weil deren Druck so stark sei. Als Beispiel für diesen Druck dient im Verfahren die lange Diskussion um eine Reform des Paragrafen "Section 230", sowie die öffentliche Unterstützung von US-Präsident Joe Biden für kartellrechtliche Untersuchungen von Datenkonzernen – während Mark Zuckerberg kartellrechtliche Verfahren als existenzielle Bedrohung für den Facebook-Konzern Meta Platforms bezeichnet hat.

Beklagt sind von Biden abwärts eine Reihe von US-Ministerien, Behörden und deren Beamte. Das Verbot trifft aber nur einen Teil, nämlich das Gesundheitsministerium, das Nationale Institut für Allergien und übertragbare Krankheiten (NIAID), die Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC), die Statistikbehörde, das FBI, das Justizministerium, die Behörde für IT-Sicherheit (CISA), das Ministerium für Heimatsicherheit, das Innenministerium, sowie eine lange Reihe namentlich genannter Mitarbeiter dieser Einrichtungen und des Weißen Hauses. Präsident Biden selbst ist nicht direkt betroffen.

Die einstweilige Verfügung enthält jedoch Ausnahmen: Erlaubt bleiben Hinweise auf kriminelle Aktivität und Verschwörungen, Bedrohungen der Nationalen Sicherheit, illegale Wahlkampffinanzierung, Hacks von Wahlsystemen, ausländische Beeinflussung, kriminelle Versuche der Wahlbehinderung, Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit, Lügen über Wahlrechte und die Durchführung von Wahlen, sowie sonst Kontaktaufnahme mit dem Ziel der Löschung oder Reduktion von Online-Postings, die nicht durch den ersten Zusatzartikel der Verfassung geschützt sind. Damit wird nicht deutlich, was jetzt wirklich genau verboten ist.

Auch mit wem genau Kontakte verboten sind, führt die Gerichtsentscheidung nicht exakt aus. Lediglich in einer Fußnote wird auf den schwammigen Begriff der "social media companies" eingegangen: "'Social-media companies' include Facebook/Meta, Twitter, YouTube/Google, WhatsApp, Instagram, WeChat, Sina Weibo, QQ, Telegram, Snapchat, Kuaishou, Qzone, Pinterest, Reddit, LinkedIn, Quora, Discord, Twitch, Tumblr, Mastodon, and like companies." Nicht alle genannten Entitäten sind Companies, und nicht alle genannten Companies betreiben soziale Netzwerke. Besonders merkwürdig ist der letzte Eintrag in der Liste, Mastodon: Es gibt zwar eine Mastodon gGmbH, doch betreibt sie die Mastodon-Server, deren Open-Source-Software sie entwickelt, nicht. Vielmehr betreiben und kontrollieren unabhängige Dritte die diversen Mastodon-Server, darunter auch Heise Medien. Unklar ist, was alles unter "ähnliche Firmen" fällt.

Schließlich verbietet die Gerichtsentscheidung den Betroffenen noch, mit der Election Integrity Partnership, dem Virality Project, dem Stanford Internet Observatory "oder "jedem ähnlichen Projekt oder Gruppe" zusammenzuarbeiten, um gegen bestimmte Inhalte sozialer Netze vorzugehen. Was unter "ähnlichen Projekten oder Gruppen" zu verstehen ist, und was nicht, bleibt offen. Ungewöhnlich ausführlich ist hingegen die Begründung: Selten widmet ein US-Bundesrichter einer einstweiligen Verfügung 155 Seiten.

Nicht durchgedrungen sind die Kläger mit ihrem Antrag, die Klage als Sammelklage im Namen von Millionen Menschen führen zu dürfen. Die Rechtsvertreter der Beklagten kritisieren, dass die Gerichtsentscheidung das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Freie Meinungsäußerung der Beklagten verletze. Außerdem sei die Entscheidung zu undeutlich und verstoße damit gegen geltendes Recht. Rechtsmittel werden folgen.

Das Verfahren heißt Missouri et al v Biden et al und ist am US-Bundesbezirksgericht für das westliche Missouri unter dem Az. 3 : 22- CV- 01213 anhängig.

(ds)