Rot-rote Koalition in Berlin will mehr Videoüberwachung und Handy-Ortung

Die Regierungskoalition in Berlin will das Polizeigesetz des Landes ändern und dabei den präventiven Zugriff der Ermittler auf Kameradaten sowie den Einsatz des IMSI-Catchers zur Gefahrenabwehr zulassen.

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Die rot-rote Regierungskoalition in Berlin will sich dem Trend zu mehr präventiven Befugnissen für die Polizei auf Länder- und Bundesebene nicht verschließen. Laut Berichten von Tageszeitungen der Hauptstadt haben sich die Fraktionen von SPD und der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus daher nun auf einen Entwurf zur Änderung des Polizeigesetz des Landes geeinigt. Kern der Reformpläne ist eine Ausweitung des Zugriffs der Ermittler auf die Videoaufzeichnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und anderer privater Stellen. Dieser soll künftig 24 Stunden lang auch vorsorglich etwa zur Abwehr von Drogendelikten, Graffiti-Sprühereien oder andere Straftaten möglich sein. Darüber hinaus steht neben einer einfacheren Fahndung mit Gendaten eine Ausweitung der Handy-Überwachung auf der Agenda. So soll die Berliner Polizei künftig mit Hilfe des IMSI-Catchers auch zur Gefahrenabwehr Handys orten dürfen.

Mit dem Vorhaben, das am 21. August zunächst vom Berliner Senat verabschiedet und zugleich ins Abgeordnetenhaus zur parlamentarischen Beratung eingebracht werden soll, will Rot-Rot über die Verabredungen im Koalitionsvertrag hinausgehen. Darin war vorgesehen, "in öffentlich zugänglichen Räumen des öffentlichen Personennahverkehrs" wie Bahnhöfen einen schnellen Zugang der Polizei zu Videoaufzeichnungen Privater zu erlauben. Nun sollen die Strafverfolger auch bei Großveranstaltungen im öffentlichen Raum wie Sport- oder Konzertereignissen sämtliche Videodaten etwa der Organisatoren präventiv auswerten dürfen. Bisher war eine solche polizeiliche Nutzung der privaten Videoüberwachung höchstens zur Verfolgung bereits verübter Straftaten im Nachhinein gestattet. Nicht Folge leisten will die Koalition aber einer Forderung der Berliner CDU, die staatliche Videoüberwachung auf öffentliche Plätze auszudehnen. Für den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Kleineidam, ginge "dieser Eingriff zu weit".

An Material für die Polizei herrscht trotzdem kein wirklicher Mangel. Nach einem umstrittenen Modellprojekt in drei U-Bahn-Linien plant die BVG, bis Ende des Jahres alle 170 Bahnhöfe flächendeckend für zwei Millionen Euro mit elektronischen Augen auszurüsten. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) hat hier allerdings mit Nachdruck Einsicht in eine Studie verlangt, mit der die BVG die Wirksamkeit der Videoüberwachung im Rahmen des Tests untersuchen ließ. Einen ersten Antrag auf Akteneinsicht lehnte der Dienstleister für den Personennahverkehr Anfang Juli ab. Gegen diese Entscheidung hat die HU jetzt Einspruch eingelegt.

Auch die BVG unterliegt als Anstalt des öffentlichen Rechts dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz, begründen die Bürgerrechtler ihr Begehr. Dass sich die BVG pauschal auf "Geschäftsgeheimnisse" berufe und auch eine teilweise Einsicht in die Studie ablehne, sei nicht nachvollziehbar. Stattdessen behaupteten die Verkehrsbetriebe ohne weitere Belege anhand der zudem vorzeitig abgebrochenen wissenschaftlichen Untersuchung, die Videoüberwachung sei wirksam. Ohne eine fundierte wissenschaftliche Untersuchung sei fraglich, wie der Senat seiner Verpflichtung nachkommen wolle, die Verhältnismäßigkeit der Kameraaufzeichnungen zu beurteilen. Unabhängige Forschungsergebnisse würden jedenfalls "ein sehr ernüchterndes Bild von der vermeintlichen Wunderwaffe gegen Kriminalität" zeichnen.

Koalitionsintern nicht unumstritten war die zusätzlich geplante Ausdehnung der Handy-Ortung. Dies sei ein heikler Bereich, räumt Kleineidam ein. Man habe "lange verhandelt", erinnert sich auch die Innenexpertin der Linken, Marion Seelig. Ihren Angaben zufolge soll der polizeiliche Einsatz des von Netzbetreibern sehr kritisch beäugten IMSI-Catchers nur in mutmaßlichen Notsituationen wie bei Gefahr für Leib und Leben erlaubt sein. Als Beispiele nannte sie die Suche nach Personen, die sich nach einem Unglück orientierungslos per Mobiltelefon melden, oder nach Vermissten, die ihr Handy möglicherweise bei sich tragen, aber nicht erreichbar sind. Bislang muss stets eine Einwilligung des Besitzers des Kommunikationsgeräts vorliegen, wenn andere es orten wollen. Die Anfertigung von Bewegungsprofilen potenzieller Straftäter werde dagegen nach wie vor nicht erlaubt, sind sich beide Koalitionspolitiker einig.

Die Polizei hatte sich – ähnlich wie in Schleswig-Holstein, dem benachbarten Brandenburg, in Bayern, Hessen oder Rheinland-Pfalz – noch mehr Befugnisse von der Vorlage für die Novelle des "Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin" (ASOG), wie das Polizeigesetz in der Hauptstadt offiziell heißt, erhofft. Weit oben auf der Wunschliste der Beamten stand etwa die verdeckte Kennzeichenfahndung. Auch bei der Video- und Telekommunikationsüberwachung schwebten den Ermittlern noch weniger Restriktionen vor. (Stefan Krempl) / (jk)