Ruf nach freiwilliger Vorabprüfung von Telemedien

Der Bundesverband digitale Wirtschaft will beim Jugendschutz mit einem System zur Alterskennzeichnung in Vorleistung treten und kritisiert in einem Gutachten zugleich zu hohe Auflagen für die Reinhaltung des Internet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 41 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW) will beim Jugendschutz mit einem freiwilligen System zur Alterskennzeichnung von Telemedien in Vorleistung treten. Dafür sollte in einem ersten Schritt die Selbstklassifizierung durch Anbieter gefördert werden, erklärte Dieter Frey bei der Vorstellung eines Rechtsgutachtens (PDF-Datei) zur Evaluierung des umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV). Auf der zweiten Ebene sei ein "System zur freiwilligen Vorabprüfung" sinnvoll für "qualifizierte Inhalte" wie Online-Spiele oder übers Netz abrufbare Filme, führte der Rechtsanwalt und Mitverfasser der Studie am heutigen Freitag in Berlin aus.

Die Bewertung anhand klarer quantitativer und qualitativer Kriterien für die entsprechenden Angebote sollte die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) als "One-Stop-Shop" übernehmen. Die Einrichtung könne sich dabei notfalls über Kooperationsvereinbarungen etwa mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Fachwissen hinzuholen.

Von dem Aufbau des abgestuften freiwilligen Kontrollsystems erhofft sich die Branche mehr Rechtssicherheit für die eigenen Dienste. In dem Gutachten wird generell die Einführung des Verfahrens der "regulierten Selbstregulierung" als innovativer Ansatz begrüßt. Gleichzeitig bemerkte Frey aber, es bedürfe einer klareren Trennlinie, "wer was macht und die Verantwortung trägt". Dabei plädiert das Gutachten im Einklang mit einer früheren Stellungnahme des Bitkom-Verbands für den Entscheidungsvorrang und die Stärkung der privaten Selbstregulierung. Unklare Abgrenzungen von Kompetenzen zwischen den verschiedenen staatlichen und privaten Jugendschutzeinrichtungen sollten beseitigt und mehr Transparenz geschaffen werden.

Der seit April 2003 geltende JMStV verpflichtet Anbieter von "Telemedien", Jugendschutzbeauftragte zu bestellen oder sich an eine Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen und lizenzierte Filterprogramme einzusetzen, um Kindern und Jugendlichen den Zugang zu pornografischen, aber auch allgemein "entwicklungsbeeinträchtigenden" Inhalten zu verwehren. Der Staat überwacht vor allem mit Hilfe der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) die Einhaltung der Regeln. Momentan führt das Hamburger Hans-Bredow-Institut eine Evaluierung des Staatsvertrags und des parallel in Kraft getretenen Jugendschutzgesetzes (JuSchG) durch, der im kommenden Jahr eine Novelle folgen soll. Dazu will sich der BVDW frühzeitig in Position bringen.

Bei dem ins Spiel gebrachten System zur Alterskennzeichnung legte Frey Wert darauf, dass etwa "nicht jedes Weblog das freiwillige Verfahren durchlaufen sollte". Bei "kleineren Inhalten" sei der Weg der Selbstklassifizierung beispielsweise über das Labelverfahren der ICRA (Internet Content Rating Association) besser. Birgit Roth von der Deutschen Telekom räumte ein, dass das ICRA-Labeling aller öffentlicher Seiten ihres Hauses "ein gewisser Kostenfaktor" gewesen sei. Die damit ermöglichte nutzerautonome Filterung von Inhalten sei dies aber wert. Mike Cosse von Microsoft betonte, dass niemand aus der Wirtschaft "eine verpflichtende Vorabkontrolle von Inhalten will". Dies wäre der GAU der Selbstregulierung. Verschärfungen seien abzulehnen, allein eine bessere Umsetzung der bestehenden Regelungen sei wünschenswert. Auch Ralf Capito von Vodafone machte sich für eine Stärkung der Selbstregulierung stark, da sie näher an den Unternehmen und Verbrauchern sei und so mehr erreiche als der Staat.

Im Kompetenzstreit rund um die "Ko-Regulierung" rangelt die Wirtschaft vor allem mit der KJM. Diese bewerte Jugendschutzprogramme und Altersverifikationssysteme zu streng und veröffentliche nicht einmal ihre kompletten Entscheidungen, bemängelte Frey. Beide technischen Schutzverfahren würden daher in der Praxis noch keine entscheidende Rolle spielen, da die Prüfbehörde vor allem beim Nutzer ansetzenden Filtersystemen bisher jegliche staatliche Anerkennung verweigert habe. Der Anwalt hielt der KJM vor, als Kriterium auch die Gewährleistung des weltweiten Jugendschutzes im Internet aus Deutschland heraus anzuführen. Die Anerkennung der technischen Schutzsysteme sei daher der FSM selbst überlassen werden.

Als "Fremdkörper" in der regulierten Selbstregulierung machte Frey die Mainzer Einrichtung jugendschutz.net aus. Diese sei als gemeinnützige GmbH, die zu 100 Prozent von der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz gehalten wird, schwer einzuschätzen. Von ihr angesprochene Website-Betreiber könnten häufig nicht unterscheiden, ob es sich um eine hoheitliche Maßnahme oder einen privaten Hinweis handle. Die Firma sollte daher angesichts ihres bisherigen Auftretens besser in eine Behörde integriert werden.

Weiter beklagte der Gutachter die "Inländer-Diskriminierung" hiesiger Telemedien-Anbieter durch den nationalen Gesetzgeber. Angesichts der Stärkung des Herkunftslandprinzips in der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste würden deutsche Firmen hier teilweise einem schärferen Jugendschutzregime unterliegen als Wettbewerber in anderen europäischen Ländern. Nach den Bestimmungen der novellierten Fernsehrichtlinie müsse ein Angebot, das in einem Markt rechtmäßig eingeführt wird, nämlich mit wenigen Ausnahmen auch in anderen Ländern zugelassen werden. Als Ausweg empfahl Frey, die Selbstregulierung auch international zu stärken und auf dieser Ebene zu einem harmonisierten Standard zu kommen.

Im Gutachten selbst wird weiter unter anderem eine zu unscharfe Regelung für die Inanspruchnahme für Verstöße gegen den JMStV durch Sperrungsverfügungen bemängelt. Hier müssten "belastbare" Kriterien formuliert werden. zumal auch Verwaltungsgerichte bei einer denkbaren Vielzahl gleich gelagerter Sperranweisungen bereits Bedenken im Hinblick auf deren Verhältnismäßigkeit hegen würden. Auch seien Regelungen für die Kostenerstattung von Zugangsanbietern vorzusehen. (Stefan Krempl) / (vbr)