SPD-Innenpolitiker: Terrorismusdebatte lenkt von Infrastrukturproblemen ab

Gerold Reichenbach, Berichterstatter für Innere Sicherheit der SPD-Bundestagsfraktion, hat "Scheindiskussionen" über Details wie heimliche Online-Durchsuchungen kritisiert, während der allgemeine Katastrophenschutz auch bei der IT-Infrastruktur leide.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 92 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Gerold Reichenbach, Berichterstatter für Innere Sicherheit der SPD-Bundestagsfraktion, hält die gegenwärtige Debatte über Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus und die zugleich geforderten Präventionsbefugnisse etwa fürs Bundeskriminalamt für irreführend. Der Terrorismus sei nach Erkenntnis der Geheimdienste noch nicht in der Lage, Anschläge durchzuführen, welche über die "Qualität alltäglicher Gefahren" hinausgehen würden, sagte der Abgeordnete am Mittwoch auf der Konferenz "Bürgernahe Sicherheitskommunikation für Städte und Gemeinden" in Berlin. Es handle sich somit vor allem um ein "politisch-psychologisches Phänomen". Die Terrordiskussion lenke daher von Problemen wie dem allgemeinen Katastrophenschutz oder der immer größeren Abhängigkeit von kritischen Infrastrukturen ab.

Wer sich mit der Stromversorgung oder Pandemien beschäftige, weiß Reichenbach zufolge, dass auf diesem Feld früher oder später echtes Ungemach drohe. Die Abläufe etwa einer echten Grippe-Epidemie seien klar, es sei dann mit einem Ausfall von bis zu 30 Prozent der Bevölkerung in allen Bereichen zu rechnen. Wenn der "Domino-Effekt" der Dampferpanne im Emsland zudem "durchgelaufen" wäre, "hätten wir wochenlang keinen Strom mehr gehabt". Botnet-Attacken könnten zudem bundesweit "wichtige Steuerungselemente lahm legen", ohne dass der Bund überhaupt zuständig wäre. "Das sind die Dinge, auf die wir uns vorbereiten müssen."

Konkret mit Sorge erfüllt den Sozialdemokraten trotz aller bereits erlassenen Skizzen zur Umsetzung nationaler Pläne zum Schutz kritischer Infrastrukturen etwa, dass "wir früher gehärtete Infrastrukturen hatten". So habe es beispielsweise Notstromaggregate für Telefonnetze gegeben. Heute habe der sich im Aufbau befindliche Digitalfunk der Behörden mit Sicherheitsaufgaben eine "Pufferzeit von acht Stunden". Der "erste größere Stromausfall wird uns erwischen", prophezeit Reichenbach daher. Zugleich bedauerte er, dass das Thema des Selbstschutzes gegen Katastrophen in Misskredit geraten und lange verdrängt worden sei. Sein Resümee: "Wir sind nicht für Infrastrukturausfälle gerüstet".

Den heftigen Streit über die Einführung einer Lizenz fürs BKA zu heimlichen Online-Durchsuchungen erscheint dem SPD-Innenpolitiker in diesem Lichte als Teil von "Scheindiskussionen über Details". Am Ende entscheidend sei bei allen Gesetzesverschärfungen und neuen Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden, "dass ich materielle Ressourcen zur Umsetzung habe". Persönlich habe er aber "mehr Probleme mit privaten Überwachungskameras und Daten, die zu hunderttausenden gesammelt werden, als mit staatlichen Maßnahmen". Die Telekom-Bespitzelungsaffäre sei da sicher nur die Spitze eines Eisbergs viel größerer Missbrauchsfälle.

Bernhard Witthaut, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), beteuerte zunächst: "Wir sind sehr sicher aufgestellt." In Katastrophenfällen funktioniere das Zusammenspiel zwischen den Sicherheitsbehörden gut. Eine große Gefahr sehe er aber im fortschreitenden Trend zur Privatisierung, da so kaum noch Material und Personal vorzuhalten seien. In den Ländern gebe es im Gegensatz zum BKA etwa nur 250 bis 500 Internetermittler bei rund 240.000 Polizeibeamten insgesamt. Es gebe daher einen permanenten Streit mit den Innenministern um die nötige Ausbildung entsprechender Techniker, die zugleich auch noch mehrere Sprachen beherrschen müssten.

Zu gegenwärtigen Überwachungsvorhaben äußerte sich Witthaut ambivalent. Die geplante Ausforschung von IT-Systemen verteidigte er, da die Fahnder dem Stand der Technik auch hier nicht hinterher hängen dürften. Die Polizei wolle aber "im Prinzip nicht Daten auf Vorrat sammeln", beäugte der Kriminalbeamte die vom Gesetzgeber beschlossene verdachtslose Protokollierung von Nutzerspuren skeptisch. Die Daten würden aber gebraucht, "um Straftaten nachzuvollziehen" und diese in gewissem Rahmen präventiv abzuwehren.

Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), Constanze Kurz, beäugte einen Ausbau staatlicher Beschattungsmaßnahmen dagegen insgesamt skeptisch. Objektiv gesehen bringe eine verstärkte Videoüberwachung etwa nicht mehr Sicherheit, spontane Gewaltdelikte würden auch nicht verhindert. Ein einzelner "Bundestrojaner" koste zudem 200.000 Euro, demzufolge die politischen Entscheidungen über die Ressourcenverteilung bei der Polizei wohl in die falsche Richtung gingen. Zudem dürfe man nicht verwechseln, "ob jemand freiwillig seine Daten abgibt oder ob der Staat Informationen wie bei der Vorratsdatenspeicherung mit seinem Gewaltmonopol einholt". Mit den verschärften Hackerparagraphen habe Deutschland zudem ein "Standortproblem" im Sicherheitsbereich. Teile der einschlägigen Firmen und Experten würden abwandern, da sie hierzulande nicht mehr arbeiten könnten.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)