Das Zeitalter der Ammoniak-Schiffsantriebe steht bevor

Schifffahrt ist eine große Quelle von Kohlendioxid. Ammoniak soll die Ozeanriesen dekarbonisieren. Die Motorenentwicklung ist ein deutsch-schweizerisches Duell.

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LNG-Schiff

Ein Schiff unterwegs – hier ein LNG-Tanker.

(Bild: The Mariner 4291 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Die Schifffahrtsindustrie sucht dringend nach Wegen, um ihre Kohlendioxid-Emissionen zu senken. Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die Verwendung des Wasserstoffträgers Ammoniak als alternativer Kraftstoff, der CO₂-frei verbrennt. Der Schweizer Marinemotorenhersteller WinGD gab jetzt bekannt, seine ersten ammoniakbetriebenen Schiffsmotoren auszuliefern.

Der erste Motor ist für einen Flüssiggas- und Ammoniak-Tanker von Exmar LPG BV, einem Joint Venture zwischen der belgischen Schiffsmanagementgesellschaft Exmar und Seapeak, einer auf Gastransport spezialisierten Reederei. Das Schiff wird ab 2025 in der südkoreanischen Werft Hyundai Mipo Dockyard gebaut und soll 2026 den Liniendienst aufnehmen.

Der Auftrag ist ein Zeichen für den zunehmenden Wettbewerb auf dem aufstrebenden Markt für ammoniakbetriebene Ozeanriesen. Auch der deutsche Motorenhersteller MAN Energy Solutions zielt darauf ab, bereits 2024 einen kommerziell verfügbaren Zweitakt-Ammoniakmotor auf den Markt zu bringen, gefolgt von einem Umrüstpaket für den schrittweisen Umbau bestehender Schiffe ab 2025.

Als Partner fand MAN japanische Unternehmen: 2021 unterzeichnete das deutsche Unternehmen eine Absichtserklärung mit dem Schiffbauer Mitsui E&S Machinery Co. sowie Mitsui O.S.K. Lines. Doch das ist erst der Anfang. Immer mehr Reeder springen auf die Technologie auf wie allein die Auftragsbücher von WingGD zeigen.

Der schweizerische Konzern und die belgische Reederei- und Cleantech-Gruppe CMB.TECH haben im Januar eine Vereinbarung über die Entwicklung von ammoniakbetriebenen Zweitaktmotoren unterzeichnet. Im September folgte eine Vereinbarung mit dem südkoreanischen Schiffbauer Samsung Heavy Industries (SHI), um bei Schiffen mit Ammoniakantrieb zusammenzuarbeiten.

WinGD-Vertriebsleiter Volkmar Galke erklärt den Trend mit einer Voraussage, die viele in der Branche teilen: "Ammoniak wird bis Mitte des Jahrhunderts zu einem Mainstream-nachhaltigen Schiffskraftstoff und Energieträger werden." In Japan wird die Chemikalie sogar als Brennstoff für Gaskraftwerke oder zur Beifeuerung in Kohlekraftwerken gesehen.

Der Grund für die Wette auf Ammoniak ist die schwierige Dekarbonisierung der Schifffahrtsindustrie, eine der Hauptquellen für CO₂-Emissionen. Laut der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) stößt die Seeschifffahrt rund 940 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aus und ist für rund 2,5 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Ohne Eindämmungsmaßnahmen sollen die Emissionen in den nächsten drei Jahrzehnten um mindestens 50 Prozent steigen. Deshalb hat die IMO Anfang Juli ein neues Ziel zur Dekarbonisierung der Schifffahrt beschlossen, die Emissionen der Schifffahrt bis 2050 netto vollständig zu dekarbonisieren, entweder durch karbonneutrale Kraftstoffe oder Kohlendioxidabscheidung an Bord von Schiffen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die Branche entwickelt mehrere Wege zur Emissionsreduzierung. Der Einsatz von Segeln oder elektrischen Antrieben ist einer, andere Kraftstoffe im Mix sind Erdgas, Methanol und auch Wasserstoff. Ammoniak hat einige Vorteile, die dazu beitragen könnten, eine nachhaltige Schifffahrtsindustrie zu schaffen. Es kann aus Stickstoff und Wasserstoff hergestellt werden. Und wenn der Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser mit Sonnen- oder Windstrom erzeugt wird, gilt er sogar als karbonneutral.

Darüber hinaus bauen Lösungen mit Ammoniak auf etablierten Technologien und Infrastrukturen auf, da die Chemikalie für die Düngerproduktion eingesetzt wird. Das könnte den Weg zu einer nachhaltigen Produktion verkürzen. Die Entwicklung ist jedoch nicht ohne Herausforderungen.

Eine ist die Produktion: Es ist energieintensiv Ammoniak, einer Verbindung aus Stickstoff und Wasserstoff, herzustellen. Zudem basiert die heutige Wasserstoffproduktion oft auf Kohle oder Gas als Basis, wodurch teure Carbon-Capture-Technologien notwendig werden, um das frei werdende Kohlendioxid wieder einzufangen.

Ein anderer ist, dass Ammoniak giftig und korrosiv ist – zwei Faktoren, die beim Design von Schiffen, Tanks und Motoren berücksichtigt werden müssen. Emissionen von Stickstoffoxiden (NOx) sind ein weiterer Faktor, den die Unternehmen aber versprechen, unter den Emissionsrichtlinien zu halten.

Lloyd's Register, eine Schiffs-Klassifikationsgesellschaft und unabhängige Risikomanagement-Organisation, veröffentlichte bereits im Juni neue Empfehlungen für Design und Betrieb von ammoniakbetriebenen Schiffen. Im September folgte die weltweit erste grundsätzliche Genehmigung (AiP) für Zweitaktmotoren von WinGD, die mit Ammoniak betrieben werden. Der Chef von Lloyd's Register, Nick Brown, erklärte die Bedeutung des regulativen Meilensteins damals: "Die Schifffahrtsindustrie muss darauf vertrauen können, dass neue Technologien sicher eingesetzt werden können, während sie weiterhin mehrere Übergangspfade evaluiert."

Auch die Internationale Seeschifffahrts-Organisation beschleunigt die Ausarbeitung von Richtlinien. Anfang Oktober kündigte sie an, dass der Unterausschuss für die Beförderung von Ladung und Containern bei der Entwicklung von vorläufigen Richtlinien für die Sicherheit von wasserstoff- und ammoniakbetriebenen Schiffen "große Fortschritte" gemacht habe. Angesichts der Dringlichkeit des Themas für Regierungen und Reeder will der Unterausschuss bis September nächsten Jahres vorläufige Richtlinien vorlegen. Damit dürfte sich dann das Tor in die Ammoniakschifffahrt endgültig öffnen.

(jle)