US-Richter deutet Neuverhandlung des ersten Filesharing-Prozesses an

Nach dem 222.000-Dollar-Urteil gegen Jammie Thomas steht das Verfahren vor einer Wiederaufnahme. Der vorsitzende Richter will nach der mündlichen Anhörung am gestrigen Montag bis Ende September eine Entscheidung treffen.

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Nach anfänglichem Triumph droht der US-Musikindustrie nun ein schwerer Rückschlag: In dem ersten Prozess, in dem eine Filesharing-Klage tatsächlich vor einem Schwurgericht verhandelt und die Angeklagte zu hohem Schadensersatz verurteilt wurde, stehen die Zeichen klar auf Wiederaufnahme. In einer mündlichen Anhörung am gestrigen Montag verdeutlichte der vorsitzende Richter Michael Davis entsprechende Absichten.

Das Verfahren gegen Jammie Thomas hatte weltweit Aufsehen erregt. Zum ersten Mal war es der amerikanischen Musikindustrie gelungen, eine Verurteilung wegen der Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke über ein Filesharing-Netzwerk zu erreichen. Thomas war von den Geschworenen der Urheberrechtsverletzung in 24 Fällen für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 222.000 US-Dollar verurteilt worden.

Zur zunächst angekündigten Berufung wird es nun wohl nicht kommen. Stattdessen stehen die Zeichen auf eine Neuverhandlung des Verfahrens. Davis hatte Monate nach dem Urteil einen "offensichtlichen Fehler" in seinen Anweisungen für die Geschworenen eingeräumt. Auf Betreiben der Klagevertretung hatte der Richter die Jury instruiert, dass die bloße Bereithaltung von Musikstücken im "Shared"-Ordner des Kazaa-Clients der Beklagten bereits einen Verstoß gegen das US-Copyright bedeute.

An dieser Auslegung ist die gesamte vom US-Verband RIAA koordinierte Klagekampagne der Musikindustrie aufgehängt. Kritiker und mit den Verfahren beschäftigte Anwälte widersprechen dieser Interpretation des Gesetzes und verweisen auf die entsprechende Textstellen im Copyright. Ihrer Meinung nach verlange das Gesetz den Nachweis einer tatsächlich erfolgten Weitergabe des Materials an Dritte. Die RIAA könne in den Verfahren aber lediglich den Download durch von ihr autorisierte Ermittler nachweisen.

Richter Davis hatte seinen Fehler erkannt, nachdem ihm ein in dieser Frage eindeutiges Urteil aus seinem Gerichtsbezirk zur Kenntnis gebracht worden waren. "Das ist die Präzedenz der ich folgen muss", sagte er am Montag laut einem Bericht des US-Magazins Wired. Davis will nun bis Ende September entscheiden. Thomas‘ Anwalt Brian Toder rechnet fest mit einer Wiederaufnahme. Für die RIAA wäre das ein schwerer Rückschlag: Die Kernargumentation, an der die zahlreichen Filesharing-Klagen aufgehängt sind, steht in Frage.

Der Verband hatte zuletzt den erfahrenen Anwalt Donald Verrilli zu dem Verfahren hinzugezogen, um die Argumente der Branche bei der gestrigen Anhörung zu präsentieren. Verrilli forderte den Richter auf, das Urteil stehen zu lassen. Anderenfalls würden die Anforderungen an die Beweisführung bei Urheberrechtsverletzungen im Internet zu hoch gesetzt. Damit würden die Rechteinhaber faktisch ihres exklusiven Verbreitungsrechts beraubt.

Zum Fall Capitol vs. Thomas siehe auch:

(vbr)