USA: So soll die Netzneutralität abgeschafft werden

Am 14. Dezember werden die US-Republikaner die Netzneutralität abschaffen. Und zwar gründlich. Eine andere Behörde soll "unfaire" ISP belangen, doch die Definition hat es in sich. Um den Verbraucherschutz ist es daher schlecht bestellt.

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Mobilfunkmast

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 8 Min.
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Die US-Republikaner wollen die Netzneutralität in den USA wieder abschaffen. Die Abstimmung in der zuständigen Telecom-Regulierungsbehörde FCC ist für den 14. Dezember angesetzt. Das Gremium ist mit drei Republikanern und zwei Demokratinnen besetzt. Das zentrale juristische Dokument heißt offiziell Restoring Internet Freedom Order (etwa: Anordnung zur Wiederherstellung der Internet-Freiheit). Es wurde Mittwochabend auf die Webseite der FCC gestellt und hat 210 Seiten. heise online fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

Zum Verständnis ist es hilfreich, die Drei Gebote der Netzneutralität für Breitband-ISP in den USA Erinnerung zu rufen:

  • Keine Websperren für rechtmäßige Inhalte, Anwendungen, Dienste oder unschädliche Geräte.
  • Keine Tempobremsen (Throttling) für "legalen Internetverkehr" auf Basis rechtmäßiger Inhalte, Anwendungen, Dienste oder unschädlicher Geräte.
  • Keine Bevorzugung legalen Internetverkehrs gegenüber anderem legalen Internetverkehr im Austausch gegen Zuwendungen jeglicher Art. Auch eigene Inhalte und Dienste dürfen die Breitbandanbieter nicht bevorzugen.

Außerdem gilt eine Wohlverhaltensregel: Breitband-ISP sind "unvernünftige" (unreasonable) Eingriffe oder Benachteiligungen untersagt, und zwar in die Auswahl und die Nutzung legaler Inhalte, Anwendungen, Dienste oder Geräte durch Verbraucher. Zum Schutz des Wettbewerbs ist es zudem untersagt, legale Angebote von Inhalten, Anwendungen, Diensten und Geräten anderer Provider in unvernünftiger Weise zu benachteiligen.

Ajit Varadaraj Pai wurde von Donald Trump als FCC-Vorsitzender nominiert. Pai ist ein ausgesprochener Gegner der Netzneutralitätsregulierung.

Nicht nur sollen nun alle diese Vorgaben gestrichen werden, die drei Republikaner wollen der FCC auch die juristische Grundlage ("Title II") nehmen. ISP sollen nicht länger als Telecom-Anbieter sondern wieder als "Informationsdienste" gelten, denen die Behörde nur wenig vorschreiben kann. Damit entfallen neben der Netzneutralität auch die Datenschutzvorschriften, sowie die Aufsicht über Zusammenschaltungen zwischen Providern sowie über den Zugang zu Infrastruktur, beispielsweise zu Strommasten zur Montage von Leitungen oder Antennen.

Gleichzeitig soll den einzelnen US-Staaten und Kommunen untersagt werden, die Netzneutralität durch eigene Vorschriften lokal einzuführen. Abgeschafft wird zudem der Ombudsmann für das Offene Internet, wie auch das geregelte Beschwerdeverfahren. Betroffene können sich dann nur noch informell bei der FCC beschweren, die dann vielleicht ein Verfahren eröffnet.

Der republikanische FC-Commissioner Michael O'Rielly bei einem Vortrag bei der Free State Foundation. Diese Organisation setzt sich für möglichst regulierungsfreien Kapitalismus ein.

Um den Datenschutz soll sich dem FCC-Antrag zufolge die Handelsaufsicht FTC (Federal Trade Commission) kümmern. Allerdings darf das die Handelsaufsicht gar nicht, wie ein Bundesberufungsgericht nicht rechtskräftig entschieden hat. Demnach hat die FTC keine Kompetenz, wenn die betroffenen Unternehmen in anderen Tätigkeitsbereichen der Telecom-Regulierung unterliegen. Damit wären praktisch alle ISP der FTC-Datenschutzaufsicht entzogen.

Zusätzlich zielt der FCC-Antrag darauf ab, mobile Breitbanddienste nicht mehr als "kommerzielle Funkdienste", sondern als "private mobile Dienste" einzustufen. Das sei besser mit dem Wortlaut eines Budgetgesetzes aus dem Jahr 1993 vereinbar. Damit werden auch die mobilen Breitbanddienste weitgehend der FCC-Regulierung entzogen.

Aus Sicht der Republikaner sind die bestehenden Vorschriften über Netzneutralität unnötig, zudem würden sie Investitionen bremsen. Das Internet würde auch ohne Neutralität gedeihen: "Wir stellen fest, dass die ISP starke Anreize haben, die Offenheit des Internet zu erhalten, und dass das die typischerweise gegenläufigen Interesse, die ein ISP haben könnte, überwiegt", heißt es in dem Antrag.

Das Verbot, die Übertragung legaler Inhalte und Dienste zu bremsen (Throttling) oder ganz zu blockieren, sei überflüssig, weil die Branche das sowieso einhellig ablehne. Bestimmten Inhalten gegen Bezahlung Vorrang im Netz zu gewähren ist aus Sicht der Republikaner sogar von Vorteil für Wettbewerb und Verbraucher. Solche Praktiken würden zu mehr Investitionen und geringeren Preisen führen. Wie sich die höheren Investitionen bei geringeren Preisen rentieren sollen, verrät die FCC nicht. Die Wohlverhaltensregel schließlich sei "nicht im öffentlichen Interesse".

Die FCC verlangt von den Breitband-ISP bald nur noch, eine Reihe von Informationen herauszugeben: Was der jeweilige ISP blockiert, was er bremst, wem er, bezahlt oder unbezahlt, Vorrang einräumt, wie er auf Netzwerküberlastung reagiert, ob und welche Maßnahmen er hinsichtlich bestimmter Programme oder Dienste ergreift (worunter auch Protokoll- oder Port-Sperren fallen), welche Sicherheitsmaßnahmen er setzt und welche Geräte Kunden wie anschließen dürfen. Auch Datenschutzbestimmungen muss jeder Provider veröffentlichen.

Dazu kommen eine Beschreibung der Dienstleistung (samt erwarteter und tatsächlicher Bandbreite und Latenz), deren Preis sowie Aussagen darüber, welche Auswirkungen andere Datendienste auf den Internetzugang haben können – beispielsweise wie die verfügbare Bandbreite sinkt, wenn über die gleiche physische Leitung ein IP-TV-Stream abgerufen wird. Schließlich muss der Anbieter noch eine Beschwerdestelle und deren Prozedere anführen.

Jurist Brendan Carr wurde von Donald Trump zum FC-Commissioner nominiert.

Statistiken über die tatsächliche Netzwerkqualität dürfen die ISP bald wieder geheim halten. Derzeit sind sie beispielsweise dazu verpflichtet, der FCC Packet Loss und die zu Spitzenzeiten verfügbaren Bandbreiten zu melden.

Ein einheitliches Format für die verbliebenen Offenlegungen wollen die Republikaner ausdrücklich nicht vorschreiben. Das verunmöglicht automatische Vergleiche der Angebote. Die ISP haben sogar die Wahl, ob sie die Angaben überhaupt auf ihrer Webseite bereithalten. Alternativ können sie die Informationen auch der FCC schicken, die sie dann auf die FCC-Webseite stellen möchte. Auch das erleichtert Vergleiche unter den mehr als 4.500 ISP nicht gerade.

Die Demokratische FC-Commissioner Jessica Rosenworcel ist eine Verfechterin der Netzneutralität.

Die FCC zieht sich auf die deutlich reduzierten Transparenzbestimmungen zurück. Für den Verbraucherschutz sollen das Kartellrecht sowie das FTC-Gesetz sorgen, welches unfaire und irreführende Geschäftspraxis verbietet. Hält sich ein ISP nicht an seine eigenen Angaben, wäre das eine irreführende Geschäftspraxis, die von Verbrauchern oder der FTC gerichtlich verfolgt werden könnten.

Der Begriff "unfair" wird von der FTC erstaunlich einschränkend ausgelegt: Das Vorgehen muss "substanziellen Schaden bei Verbrauchern" hervorrufen, welche die Verbraucher nicht mit vernünftigen Mitteln vermeiden können und die nicht durch andere Vorteile aufgewogen werden. Solche anderen Vorteile sind leicht zu konstruieren, zumal ein ISP relativ leicht sagen kann, dass ein "fairer" Dienst viel teurer wäre.

Die Amtszeit der Demokratin Mignon Clyburn ist eigentlich Ende Juni abgelaufen. Sie arbeitet vorerst weiter, weil noch kein Nachfolger bestellt wurde.

Das Kartellrecht wiederum richtet sich gegen mögliche "gefährliche Monopole", nicht gegen jede Verletzung der Netzneutralität. Ein Monopol kann entstehen, wenn ein ISP auch Inhalte, beispielsweise TV-Serien oder Nachrichten, produziert, und Mitbewerber mit ähnlichen Angeboten in seinem Zugangsnetz stark behindert oder ausschließt. Allerdings ist eine Kartellklage für die allermeisten Verbraucher völlig unbezahlbar, während eine derzeit noch mögliche Beschwerde bei der FCC gebührenfrei ist.

Realistischerweise bleiben das Justizministerium und die Handelsaufsicht FTC als mögliche Klageführer nach Kartellrecht. Sie sind aber keine Experten in Sache Telekommunikation, und daher wenig geneigt, sich auf einschlägige Gerichtsverfahren einzulassen.

Und sollte einmal ein kartellrechtlicher Prozess angestrengt werden, wäre die Entscheidung eine Einzelfallentscheidung, bei der viele Für und Wider abgewogen würden. Es ließen sich daraus kaum allgemeine Regeln ableiten, die für alle ISP gleich wären. Bei der noch geltenden Wohlverhaltensregel kritisieren die Republikaner diesen Umstand, beim Kartellrecht erkennen sie darin einen Vorteil: "Die [Einzelfallentscheidungen] des Kartellrechts erlauben die regulatorische Demut, die beim dynamischen Internet gefragt ist."

Alles andere als eine Zustimmung zu dem Antrag mit den drei Republikaner-Stimmen gegen die Stimmen der beiden Demokratinnen wäre eine faustdicke Überraschung. Anschließend muss die Entscheidung im US-Amtsblatt Federal Register veröffentlicht werden.

60 Tage nach dieser Veröffentlichung wird der größte Teil der Änderungen in Kraft treten – sofern nicht ein Gericht das mittels Einstweiliger Verfügung verhindert. Sicher ist, dass es Klagen gegen die Abschaffung der Netzneutralität geben wird.

  • Der Antrag Restoring Internet Freedom, Az. WC No. 17-108, im Wortlaut

(ds)