Zukunft der Lieferdienste: Getir sammelt neues Geld – Bewertung bricht ein

Getir sammelt trotz Abwertung bei Investoren 500 Millionen Dollar. Anpassungen des Geschäftsmodells könnte die Lieferdienst-Branche vielleicht retten.

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(Bild: Dutchmen Photography/Shutterstock.com)

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Der türkische Lieferdienst Getir sammelt in einer Finanzierungsrunde 500 Millionen Dollar von Investoren ein. Gleichzeitig fällt die Bewertung auf 2,5 Milliarden Dollar – zu Beginn des Jahres 2022 wurde das Unternehmen noch mit knapp 12 Milliarden Dollar bewertet. Der anhaltende Abschwung auf den Risikokapitalmärkten zwinge Gründer und Investoren dazu, drastisch reduzierte Bewertungen zu akzeptieren, um überhaupt noch neue Mittel aufzubringen, berichtet die Financial Times (FT).

Das Geld stamme unter anderem von der Abu Dhabi Wealth Fund Mubadala Investment Company, die Risikokapitalgruppe G Squared und dem Investor Michael Moritz, die alle bereits zuvor in das Unternehmen investiert hätten. Die Finanzierungsrunde soll demnach noch in diesem Monat abgeschlossen werden. Trotz der enormen Herabsetzung der Bewertung, gehöre die Finanzierungsrunde zu den größten Transaktionen Getirs dieser Art in diesem Jahr und unterstreiche laut FT den Vorteil etablierter Unternehmen, auch unter schwierigen Bedingungen das Vertrauen der Investoren aufrechtzuerhalten.

Lieferdienste wie das 2015 gegründete und in Istanbul ansässige Unternehmen Getir gehörten während der Pandemie zu den Gewinnern, inzwischen wurden die meisten Konkurrenten verkauft oder wieder geschlossen. Im Dezember 2022 übernahm Getir das Berliner Start-up Gorillas für rund 1,14 Milliarden Dollar. Im August kündigte das Unternehmen den Rückzug aus 17 deutschen Städten und die Entlassung von 2.500 Beschäftigten an.

Stephan Soroka, der Lieferboxen und weiteres Zubehör an Lieferdienste verkauft und den europäischen Markt beobachtet, erklärt im Interview mit Businessinsider, dass On-Demand-Delivery ein kapitalintensives Geschäft ist. Neben der Kundengewinnung seien Micro-Fullfillment-Center – kleine Logistikzentren für die schnelle Auslieferung – nötig und die Personalkosten hoch, da man aufgrund der knappen Zeitfenster jederzeit ausreichend Fahrer zur Verfügung haben müsse. Die Rechnung gehe nicht so einfach auf, da Kunden nicht bereit seien, für den schnellen Service angemessen zu zahlen – es handele sich schließlich um Luxus.

Das Geschäft rechne sich schlichtweg nicht, zumal die Lieferung von Waren in zehn bis 15 Minuten keine Notwendigkeit sei. Zu Beginn der Quick-Commerce-Welle, angefeuert durch Corona-Ausgangssperren, hätte aber viel Geld bereitgestanden und jeder davon profitieren wollen – im Idealfall durch den Verkauf eines Lieferdienst-Start-ups für viel Geld. Man sei zudem davon ausgegangen, dass die Branche nicht so schnell in Finanzierungsprobleme gerate.

Eine Möglichkeit für eine finanziell stabile Grundlage sieht Soroka in Konsolidierung und Aufgabe des 15-Minuten-Versprechens. Effizientere Routen für einen sinnvollen Einsatz der vorhandenen Ressourcen sei nötig. Aggregatoren, Delivery Hero etwa, würden bereits über eine bestehende Logistik und Kunden verfügen und könnten auf ihren Touren zusätzlich On-Demand-Services anbieten. Für klassische Einzelhändler wie Aldi oder Rewe seien Lieferangebote ebenfalls eine Möglichkeit, Kunden einen Extra-Service zu bieten – allerdings nicht in 10 Minuten. Zeitfenster von 30 bis 60 Minuten oder Terminlieferungen würden ausreichen, um Touren effizienter zu gestalten.

Zudem habe Delivery Hero den Vorteil, dass sie bereits über ausreichend Daten verfügen und wissen, wer wann was benötige. Um erfolgreich zu sein, müsse man supereffizient sein, hier hätten Aggregatoren einen Vorteil. Auch wenn Aldi Süd kürzlich seinen eigenen Lieferdienst als Test gestartet hat und Rewe beim Schnellieferdienst Flink eingestiegen ist, könne man das nicht mit Quick-Commerce vergleichen. "On-Demand-Delivery ist Convenience Shopping, ist Luxus, wie gesagt. Eine Lieferung von Aldi ist kein Luxus, das ist schon eher eine Notwendigkeit", erklärt Soroka im Interview mit Businessinsider.

Getir zieht sich nicht nur aus mehreren deutschen Städten zurück, nach der rasanten weltweiten Expansion konzentriere der Lieferdienst seine Aktivitäten auf die fünf Länder USA, Türkei, Großbritannien, Niederlande und Deutschland. "Wir haben ein Kapitel über exzessives Wachstum und exzessive Kapitalverpflichtungen aufgeschlagen", sagte einer der Mitarbeiter, das Geschäft der On-Demand-Lebensmittellieferung sei "ein Paradebeispiel für das Zeitalter der Exzesse".

Die weltweite Risikokapitalfinanzierung von Start-ups sei in den 12 Monaten bis März um mehr als 50 Prozent eingebrochen, berichtet die Financial Times.

(bme)