Zwischen den Zeiten: Wie die re:publica die Pandemie zu überleben sucht

Rein im Netz fällt es der größten europäischen Konferenz zu Internet und Gesellschaft deutlich schwerer Wellen zu schlagen, als beim analogen Treffen vor Ort.

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Reisten in der Zeit vor der Corona-Pandemie die Internetjünger im Mai in Scharen begeistert nach Berlin, um die Internetkonferenz re:publica zu bevölkern, hält sich die Aufregung vor dem in diesem Jahr wieder digital stattfindenden Event in Grenzen. Die Veranstalter haben den Fahrplan für das dreitägige Programm kurz vor knapp zum Auftakt am Donnerstag mit dem Vorspiel in Form der Media Convention Berlin gerade noch so hinbekommen und veröffentlicht. "In the Meantime" lautet das Motto – es gilt also erneut, die Zeit bis zum nächsten analogen Treffen vor Ort zu überbrücken.

Eröffnete 2019 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) das dreitägige Stelldichein der digitalen Gesellschaft bei der bislang letzten Konferenz mit Publikum in der Hauptstadt, um der re:publica eine große politische Sichtbarkeit zu verleihen, stammt die "Opening Keynote" dieses Jahr von Sascha Lobo. Der Autor gehört seit Jahren zum Inventar der Versammlung und ist immer für eine steile These gut, füllte sonst mit seinem Ausblick auf die Lage der Nation die Hallen, aber eher zum Ausklang am Abend.

Margarethe Vestager ist auch wieder dabei. Die Dänin ist mittlerweile nicht mehr nur EU-Wettbewerbskommissarin, sondern auch noch Vizepräsidentin der Brüsseler Regierungsinstitution für Digitales. Angekündigt wird sie als "schärfste Gegnerin von Big Tech". Sie soll ihre "Vision für ein digitales Europa" darlegen. Viel Neues dürfte ihr dazu aber kaum mehr einfallen – die wichtige Digitalpolitikerin hat ihre großen Pläne mit dem Digital Services Act (DSA) zum Einhegen der großen Plattformen sowie den geplanten Regeln für Künstliche Intelligenz (KI) bereits vorgelegt.

Passend dazu wird Jillian York von der Electronic Frontier Foundation (EFF) die Zukunft der Meinungsfreiheit im Überwachungskapitalismus beleuchten.

Bot die "rp19" vor zwei Jahren noch über 600 Programmpunkte in acht Schienen mit 14 Themenschwerpunkten und knapp 1000 Rednern, von denen sich die Hälfte als weiblich bezeichnete, gibt es dieses Jahr immerhin zwei Streaming-Kanäle. Dazu kommt erneut die Jugendkonferenz Tincon und am Donnerstag die vierstündige Subkonferenz "Civic Coding", auf der Staat und Zivilgesellschaft nach der "KI für alle" suchen und dafür "gemeinsam ein lebendiges Ökosystem gestalten" wollen.

Freunde von Kultur und Politik im Netz dürften auf jeden Fall auch in dem Corona-bedingt reduzierten Angebot fündig werden. Diskutiert wird am Freitag etwa über die "Rückkehr der Netzsperren" mit der jüngst eingerichteten "Clearingstelle Urheberrecht im Internet" (CUII), Schulen nach der Digitalisierung aus der Perspektive eines Zeitreisenden aus dem Jahr 2040 und die in diesen Zeiten obligatorischen Querdenker.

Kostproben aus seinem kürzlich erschienenen Album "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" präsentiert der Rapper Danger Dan in einem Live-Konzert. Am Samstag soll unter anderem die deutsche Twittersphäre vermessen und anhand der "Universalitäts-Indikatoren" der Unesco geklärt werden, wie es dem deutschen Internet geht.

Für die Teilnahme an der re:publica ist dieses Jahr – anders als 2020 – ein Ticket nötig, mit dem die virtuellen Besucher Zugang zur Online-Veranstaltungsplattform erhalten. Die Karte, mit der sich die Live-Streams verfolgen lassen, kostet 25 Euro. Daneben gibt es noch teurere Standard- und Premium-Varianten, die etwa eine Goodie-Box enthalten. Alle Videos sollen später auf den Online-Kanälen der re:publica veröffentlicht werden und kostenfrei abrufbar sein. Die große Hoffnung der Macher ist, dass die rp22 nächstes Jahr wieder ohne die Auflagen der "neuen Normalität" in Berlin stattfinden kann.

Es scheint zwar paradox, dass just eine Konferenz zu Digitalthemen und Aktivismus online deutlich weniger Wellen schlägt als das Original mit Gedränge in den Hallen. Viele Gäste kommen aber nur am Rande wegen des umfangreichen Programms zu der Tagung. Für sie zählt der hohe Netzwerkfaktor. Sehen und gesehen werden ist normalerweise auch hier der heimliche Slogan. Manchen geht es nur darum, mehr oder weniger spontan Bekannten und Kolleginnen und Kollegen über den Weg zu laufen, die man sonst das ganze Jahr über kaum oder gar nicht sieht. Das Internet kann da beim persönlichen Austausch noch nicht ganz mithalten.

(kbe)