DatenschĂĽtzer: "Unschuldige geraten in die Anti-Terrordatei"

Nach dem Start des Datenbankverbunds von Polizeien und Geheimdiensten gibt es weiter verfassungsrechtliche Bedenken gegen das neue Ermittlungsinstrument. Oppositionspolitiker sprechen von einem "Datenmoloch".

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 169 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Im Umfeld des symbolischen Startschusses für die Anti-Terrordatei am Freitag haben Datenschützer an ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Dateiverbund von 38 deutschen Sicherheitsbehörden erinnert. Bei dem neuen Ermittlungsinstrument handle es sich an sich zwar nicht um einen "Super-Gau", erklärte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gegenüber Focus Online. Er sei sich aber sicher, "dass auch Unschuldige dort hineingeraten werden". Das Problem liege vor allem an der Erfassung von so genannten Kontakt- und Begleitpersonen. Dabei könne es sich etwa um Bewohner eines Studentenheims handeln, in dem ein vermeintlicher Terrorverdächtiger lebt.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hatte bei der Freischaltung der Datei neben der Einmaligkeit und Effizienz der Informationszusammenführung insbesondere die "vollständige Wahrung von Datenschutz" gelobt und etwa auf Auskunfts- und Kontrollrechte der Bürger gegenüber den beteiligten Behörden verwiesen. Diese seien jedoch "durch gesetzliche Regelungen stark eingeschränkt oder teilweise sogar ausgeschlossen, vor allem bei verdeckt gespeicherten Daten der Nachrichtendienste", hält Schaar dem entgegen. Der Bundesdatenschützer kritisierte weiter, dass über die neue Vernetzung elektronischer Akten "auch ungesicherte Informationen, die von einem Nachrichtendienst kommen, zur Polizei gelangen."

Auch die Landesdatenschutzbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol, sieht mit der Anti-Terrordatei eine "außerordentlich Besorgnis erregende Entwicklung" einhergehen. Schon jetzt werde darüber diskutiert, ob andere Bereiche von Personen jenseits von Terrorverdächtigen in die Datei aufgenommen werden sollen. Sie sehe hier "eine bedenkliche Ausweitungstendenz und eine Aufweichung des Trennungsgebotes von Geheimdiensten und Polizei", sagte die Datenschützerin dem WDR. Zugleich bezeichnete Sokol es als sehr zweifelhaft, "ob wir mit dieser Datei tatsächlich Terroristen aufspüren können". Die neue Generation, "wie wir sie beispielsweise bei den Anschlägen in London oder den fehlgeschlagenen Attentaten mit den Kofferbomben in NRW erlebt haben, werden wir wahrscheinlich in einer solchen Datei nicht wieder finden". Dabei habe es sich um Personen gehandelt, "die vorher komplett unauffällig gelebt und dann wie aus dem Nichts ein Attentat verübt haben oder verüben wollten".

Der im Forum von heise online mit einer "roten Welle" bei den Kommentarbewertungen begleitete Start der Anti-Terrordatei stieß zudem auch bei Oppositionspolitikern auf Unbehagen. Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte, die Regierung untergrabe rechtsstaatliche Standards. Außerdem sei diese Datei "ein dicker Datenmoloch und damit kein wirksames Instrument zur Terrorbekämpfung", knüpfte sie an die Proteste der Grünen bei der Verabschiedung des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes im Bundestag an. Die Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, beklagte, dass "wieder einmal im Namen der Illusion von Sicherheit ein Stück Freiheit aufgegeben" worden sei und brachte ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken vor.

Die Vize-Vorsitzende der FDP-Fraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sprach von einem "zu durchlässigen System". Die innenpolitische Sprecherin der Liberalen, Gisela Piltz, begrüßte den Informationsaustausch im Prinzip. Er hätte jedoch auf Grunddaten eingeschränkt bleiben müssen. Ihre Fraktion forderte die Bundesregierung auf, "die tatsächliche Praxis des Umgangs mit der Anti-Terrordatei frühzeitig zu evaluieren". Dabei sei auf den Verbesserungsbedarf für den Datenschutz und den tatsächlichen Nutzwert des Fahndungsinstruments abzustellen.

In der Anti-Terrordatei sind zunächst 13.000 Personen erfasst. Wie der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) am Freitag ausführte, soll es sich dabei zu rund 75 Prozent um ausländische Staatsangehörige handeln. Mitglieder der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern, welche den Verbund 2006 nach langjährigem Streit auf den Weg gebracht hatten, begrüßten das neue Instrument zum Informationsaustausch einstimmig. Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) etwa bezeichnete die Datei als "zentrales Instrument" im Kampf gegen den Terrorismus. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) begrüßte die neuen Möglichkeiten ebenfalls und freute sich, dass sein Land "von Beginn an dabei ist".

Zu den Auseinandersetzungen um die die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terrordatei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch die Ăśbersicht ĂĽber die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terrordatei:

(Stefan Krempl) / (jk)