Neuer Widerstand in der SPD gegen die Vorratsdatenspeicherung
Im Lichte der Telekom-Bespitzelungsaffäre hat der SPD-Datenschutzexperte Jörg Tauss die Protokollierung der Nutzerspuren wieder zur Disposition gestellt, während die Grünen und der CCC ein strengeres Vorgehen gegen "Datenverbrechen" fordern.
Im Lichte der Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom hat der SPD-Datenschutzexperte Jörg Tauss die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten wieder zur Disposition gestellt. Deutschland habe zwar mehr oder weniger nur Mindestanforderungen der entsprechenden EU-Vorgabe zur monatelangen Protokollierung der Nutzerspuren ins nationale Recht gegossen. "Aber ob diese minimale Umsetzung nicht vielleicht auch schon ein Stück zu viel ist, darüber muss diskutiert werden", sagte der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion am heutigen Dienstag dem SWR. Weiter forderte er endlich ein Gütesiegel für Betriebe mit vorbildlichem Datenschutz.
Die Bürger sind über die sechsmonatige Aufbewahrung von Verbindungs- und Standortdaten von Telefon- und Handy-Gesprächen sowie Internet-Zugängen laut einer Umfrage geteilter Meinung. 48 Prozent befürworten das geltende Gesetz, wie eine gerade vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vorgestellte Forsa-Erhebung ergab. 46 Prozent haben das Gesetz demnach dagegen Ende Mai als unnötigen Eingriff in ihre Freiheitsrechte empfunden. 27 Prozent der 1002 Befragten hatten von der im Januar eingeführten Speicherung von Telekommunikationsdaten noch nichts gehört. 52 Prozent gaben an, wegen der Maßnahme gegebenenfalls davon abzusehen, per Telefon, Handy oder E-Mail Kontakt zu Beratungsstellen aufzunehmen. Der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern und Datenschützern forderte einmal mehr einen sofortigen Stopp der Vorratsdatenspeicherung.
Der IT-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Bernhard Beus, und Verbände der Telekommunikationsbranche haben sich bei ihrem gestrigen Treffen zunächst nur darauf verständigt, die bestehenden Datenschutzmechanismen weiter zu analysieren. "Dann werden wir sehen, ob überhaupt weitergehender Handlungsbedarf besteht", erklärte August-Wilhelm Scheer, Chef des Branchenverbands Bitkom. Die derzeitige Debatte um neue Gesetze lenke von der Nutzung der schon vorhandenen Handlungsmöglichkeiten ab. Deshalb unterstütze der Bitkom den Vorschlag des Bundesdatenschutzbeauftragten, dessen personelle und finanzielle Ausstattung zu verbessern.
Bei der Opposition gehen die Proteste gegen den laschen Umgang mit dem Datenschutz bei der Telekom und anderen Firmen derweil weiter. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, bekräftigte seine Forderungen nach einer Aufnahme des Datenschutzes ins Grundgesetz: "Es muss klar sein, dass es einen Kernbereich privater Lebensführung für alle Bürger gibt, an die weder der Staat ran darf noch die Unternehmen." Die Innenexpertin der Grünen, Silke Stokar, will von Schäuble wissen, wie die Kommunikationsdaten der Bürger in Zukunft besser geschützt werden sollen. Die Telekommunikationswirtschaft muss ihrer Ansicht nach verpflichtet werden, sich einem staatlich kontrollierten Datenschutzaudit zu unterziehen. Dies werde kriminellen Missbrauch zwar nicht in jedem Fall ausschließen, zwinge die Firmen aber, Datenschutz und Datensicherheit permanent zu optimieren. Zudem brauche der Bundesdatenschutzbeauftragte eine Zentralstellenfunktion mit eigenständigen Kontrollrechten für die Wirtschaft.
Eingeschaltet in die Debatte hat sich auch der Chaos Computer Club (CCC), der auf eine grundlegende Neuordnung des Datenschutzes und eine "Ächtung von Datenverbrechen" in Deutschland pocht. Angesichts der jüngsten massiven Datenskandale sei die Zeit gekommen, durch wirksame Maßnahmen Unternehmen und Behörden zu verpflichten, so wenig Daten wie möglich zu speichern und den Umgang damit strenger zu kontrollieren. Das vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zur digitalen Intimsphäre begründete Recht auf Schutz vor der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen müsse endlich in konkrete Gesetze gefasst und in der Praxis umgesetzt werden.
Im Einzeln drängt die Hackervereinigung etwa auf einen vollständigen Verzicht auf die Erhebung und Aufzeichnung nicht für Abrechnungszwecke benötigter Verbindungsdaten, eine rechtliche Sanktionierung von Datenschutzvergehen und die Einführung eines Schadenersatzanspruches. Vorstände und Geschäftsführer sollten laut CCC persönlich für den missbräuchlichen Umgang mit persönlichen Informationen haftbar gemacht werden. Den Bürgern sollte ein uneingeschränktes Auskunftsrecht gegenüber Unternehmen zu den über sie vorgehaltenen Daten, deren Weitergabe und Verwendung eingeräumt werden, ein Transfer in andere Länder nur mit Zustimmung der Betroffenen erfolgen dürfen. Nicht zuletzt machen sich die Hacker gemeinsam mit Datenschützern für eine Stärkung der Position der Datenschutzbeauftragten und einen besseren Schutz von "Whistleblowern" stark.
Der Telekom-Skandal macht für den CCC auch deutlich, "dass es keinen Grund für einen Vertrauensvorschuss für Unternehmen und Behörden in puncto Datenschutz und Privatsphäre gibt". Wenn es schon bei der Bespitzelung von Journalisten und Aufsichtsräten keine Hemmungen gebe, müsse der einfache Bürger annehmen, "Freiwild für jeden Datenschnüffler zu sein". Bewegungs- und Kommunikationsprofilen etwa von Journalisten und Abgeordneten könnten eine unmittelbare Gefährdung von politischer Willensbildung und Demokratie darstellen. (Stefan Krempl) / (jk)