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Was war. Was wird.

Ein Ruck ist durch Deutschland gegangen. Die Begriffe sind mehrdeutiger geworden. Ging dieser Ruck auch durch Hal Faber? Eine Buchstabenzwangsfixierung hat er jedenfalls bei sich noch nicht festgestellt.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die deutsche Sprache ist eine schöne Sprache. In keiner anderen prangen die goldenen Sternlein so klar, kann man dem kranken Nachbarn so schlicht im kalten Abendhauch den Tod mit dem Morgenstern wünschen. Die deutsche Sprache hat, bei aller Schlichtheit, jedoch den Fehler, investitionshemmend zu sein. Nehmen wir nur den berühmten Ruck, der nicht durch Deutschland gegangen ist. Natürlich deshalb, weil es keine Ruckstrukturfindungskommission gab, die die Arbeit nach dem Ruckaufsichtsbeamtenversorgungsgesetz aufnahm und sich an die Vorschläge der Ruckzuckexpertenrunde hielt. So konnte aus dem schnellen Ruck nichts werden. Ähnlich sieht es bei der Schwerlastverkehrsabgabeverordnung aus. Zwar gab es hoffnungsvolle Anfänge, etwa ein Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz, das durch eine Verkehrsinfrastukturfinanzierungskomission beschlossen wurde, welchselbige die gewichtsstreckenbezogene Autobahngebühreneinführungausschreibung Ende 1999 in das Bundesausschreibungsblatt hievte, doch dann kamen die Consultants.

Über 130 Consultants powerpointeten, was das Zeug hielt und schufen ohne jegliche Fließverkehrsexpertenausgrenzungsrunde in einer schlichten Arbeitsgemeinschaft Beratergruppe best of Breed den neuen deutschen Exportschlager LKW-Maut. Maut, wie "massenweise allesmögliche uferlos tricky" implementieren. Für die Plemperei und Trölerei folgt die Strafe auf den Fuß und trägt den schönen schweizerdeutschen Namen Trölbusse. Die ereilt nicht nur den Geschäftsführer Rummel, der ruhig auf den Aufsichtratsposten der Paderborner Firma OMP zurückkehren darf, die von Rummel den Auftrag erhielt, die OBU-Software zu programmieren. Ein Nebengedanke: Die Maut-Verträge sind bekanntlich geheim, mit der seltsamen, scheinbar überall akzeptierten Begründung, dass wichtige Hard- und Software-Patente gefährdet sind. Dass Patente dazu da sind, Erfindungen öffentlich präsentieren zu können, dieses Mantra der Softwareindustrie und ihrer wissenschaftlichen Verbündeten kennt offensichtlich niemand. Unwissenheit nennt's die schöne deutsche Sprache, was im Griechischen oder Lateinischen als idiotes daherkommt.

*** Die deutsche Sprache zerfällt also in eine Dichter- und eine Beamtensprache, in Sternlein und Arbeitsamt. Aber weil es geruckt hat in Deutschland, sind die Begriffe mehrdeutiger, ist die Sprache komplizierter geworden. Der Dichter ist eine Ich-AG, die als Randfigur des papierproduzierenden Gewerbes geführt wird, und das nicht vom Arbeitsamt, sondern natürlich von der Arbeitsagentur. Auch Firmen haben, durch den Ruck geschüttelt, ihre Sprache gewechselt. Das ist nicht immer gut gegangen, man denke nur an die deutsche Telekom, die von einer Zwangsfixierung auf das t und die Farbe Magenta heimgesucht ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Darmstadtium als Sitz der Zentrale von T-Online angegangen wird.

*** Heute vor 55 Jahren starb der Sprach- und Theaterkritiker Alfred Kerr, der sich dereinst über den Reichstag mokierte. Mit einer kleinen einfachen Unterweisung würde er sich schnell wieder zurechtfinden. Es ist, wie es war, bevor Hitler das rosa Kaninchen stahl. Aber wer weiß heute noch, wer Hitler war und wo Braunau liegt? Österreich freut sich über Califarnoldania und den ausgebildeten Ökonom Schwarzenegger, der mit Carly Fiorina eine echte Terminatorin in sein Team holte. Heute vor 511 Jahren wurde das Land der unbegrenzten Möglichkeiten übrigens von Christophorus Columbus er/gefunden.

*** Wie unbegrenzt die Möglichkeiten sind, zeigt das Beispiel der SCO Group im Land der unbegrenzten Geschmacklosigkeiten. Immerhin: bei SGI sind ein paar Zeilen entdeckt worden, die möglicherweise SCO-Rechte verletzen, obwohl ihre Herkunft nicht gänzlich geklärt ist. Für SCO reicht das. Während Prozessgegner wahre Breitseiten abfeuern und die Herausgabe der gesamten Linux-Lotterie erzwingen wollen, wehrt SCO diesen Schritt nonchalant als unwichtig ab, um ungerührt die Roadshow zu starten, die bald auch nach Deutschland kommen soll. Daneben will man auch England besuchen. Im Gewaber der Nebelschwaden hilft es, den großen Engländer Shakespeare zu zitieren:

"Wer den Leuten alles glauben will, was sie sagen, dem hilft nicht die Hälfte von dem, was sie tun."

Ein Satz, der vor allem für Analysten schwer verständlich ist. Rob Enderle einstmals von Microsoft bezahlter Kämpfer gegen OS/2, lobt die monolithische Konzeption im Stil von Microsoft, die seiner Ansicht nach einfacher zu einem sicheren System umgebaut werden kann. Jedenfalls dann, wenn man nicht standardisierte Rechner rigoros verschrottet. Einen anderen Blick offerierte diese Woche die deutsche Mummert Consulting unter dem etwas irreführenden Titel Pinguin auf Eis. Man muss lange lesen, bis man erfährt, wie gut Pinguine mit dem Eis zurecht kommen.

*** Ja, die Welt ist voller schlechter Nachrichten. Neil Postmann starb am vorigen Sonntag und hinterlässt das Feld Medienkritikern wie Glotz und Bolz. Die SZ würdigt Daniel Küblböck als Erbe des Pop. In den USA ist zum Jahrestag der Verhaftung von General Pinochet ein Buch über die Zusammenarbeit von CIA und Pinochet erschienen. Die USA (nochmal) haben die Spanische Grippe zu Forschungszwecken wiederbelebt, während anderswo Nobelpreisträger klagen, nicht genug Viren zu bekommen. Schon kommt das sterile Computern auf. Doch wie sollen alle diese Nachrichten gleichgültig genossen werden, wenn nicht mit einem guten Trostpflaster? Einfach abschalten und sich ein Bierchen holen.

Was wird.

Die deutsche Sprache kennt ihn als Großer Bruder, doch die Schweizer sprechen lieber vom Big Brother, wenn sie die Jury vorstellen und stolz darauf sind, 52 Kandidaten gefunden zu haben. Auch die Deutschen sprechen vom Big Brother und meinen nicht Mega-Organisationen im Stil von ver.di. Während in Europa die Preise hier und dort vergeben werden, freut sich Deutschland über die Teilnahme an der Fußball-EM 2004. Noch mehr freuen wir uns freilich alle auf den ganz großen Bang, die Fußball-WM 2006, zu der jeder Fußballfan Eintrittskarten mit seinen biometrischen Merkmalen bekommt und sich über sein Konterfei als Holographie bewundern kann. Der gute alte Tesafilm kommt so zu neuen Ehren. Hey, Großer Bruder: dann nehme ich lieber das Weltschmerzpflaster und schaue und höre den Rumble in the Jungle. Rette mich, schwarzer Supermann. (Hal Faber) / (anw)