Keine Pflicht zur Herausgabe der Nutzerdaten von Filesharern in der EU
Der Europäische Gerichtshof hat eine Klage spanischer Musikproduzenten abgewiesen, wonach Telefonica Nutzerdaten von Filesharern herausgeben sollte. Die EU-Mitgliedsstaaten dürfen unter Beachtung der Grundrechte aber auch andere Regelungen treffen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine Klage spanischer Musikproduzenten abgewiesen, wonach Telefonica Nutzerdaten von Filesharern herausgeben sollte. Laut dem am heutigen Dienstag veröffentlichten Urteil (Az.: C-275/06) gibt es keine europäische Vorgaben, die einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern vorschreiben. Die Kammer hat somit zunächst die Privatsphäre von Tauschbörsen-Nutzern geschützt. Sie hält aber auch allgemein fest, dass die EU-Mitgliedsstaaten in Eigenregie Regelungen zur Herausgabe von Nutzerinformationen hinter ermittelten IP-Adressen an Unternehmen etwa der Musik- und Filmindustrie treffen können. Dabei seien aber die Grundrechte zu beachten.
In dem nun entschiedenen Rechtsstreit ging es um das Begehren des Musikproduzentenverbands Productores de Músicade España (Promusicae) nach den Daten von Kunden, die mit dynamischer IP-Adresse über das Telefonica-Netz Urheberrechtsverletzungen in der Tauschbörse KaZaa begangen haben sollen. Das Gericht Juzgado de lo mercantil in Madrid hatte zunächst den Zugangsanbieter dazu aufgefordert, die gewünschten Informationen herauszugeben. Dieser Entscheidung widersetzte sich der Provider mit Hinweis darauf, dass er laut spanischem Recht nur im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung oder zum Schutz der inneren Sicherheit Auskunft über Nutzerdaten erteilen dürfe.
Der EuGH gab Telefonica Recht. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens im Hinblick auf einen effektiven Schutz des Urheberrechts keine Pflicht zur Mitteilung personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorsehen. Laut der Entscheidung gebieten eine solche Pflicht zu Auskunftsregelungen weder die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr oder die Urheberrechtsrichtlinie noch die Direktive zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums oder die Datenschutzrichtlinie für die elektronische Kommunikation. Die Mitgliedstaaten müssten bei der Umsetzung aller dieser Vorgaben "ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherstellen". Dabei sind dem Urteil nach auch andere allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, wie etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu berücksichtigen. Insgesamt müssten die Mitgliedsstaaten ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherstellen.
Bei der heiklen Frage der Schaffung eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs überlässt der Gerichtshof die Verantwortung so den nationalen Gesetzgebern. Die Mitgliedsstaaten haben ihm zufolge die Möglichkeit, eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen, sind aber auch nicht dazu gezwungen.
Die Generalanwältin Julian Kokott hatte zuvor ein stärkeres Plädoyer für den Schutz der Privatsphäre der Nutzer abgeben. Ihre Empfehlung lautete, die Praxis der Übergabe von Kundendaten von Internet-Providern an Privatunternehmen in Zivilverfahren generell nicht zuzulassen. Die EuGH-Juristin schrieb in ihrem Schlussantrag, dass die EU-Datenschutzbestimmungen "die Weitergabe von personengebundenen Verkehrsdaten nur an die zuständigen staatlichen Stellen erlauben, nicht aber eine direkte Weitergabe an die Inhaber von Urheberrechten, welche die Verletzung ihrer Rechte zivilrechtlich verfolgen möchten". Sie legte weiter dar, dass eine weite Auslegung des Begriffs des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen den Schutz personenbezogener Verbindungsdaten sowie den Schutz des Kommunikationsgeheimnisses weitgehend entleeren würde.
Hierzulande will die Bundesregierung einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch mit dem heftig umstrittenen Entwurf für ein Gesetz zur besseren Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum schaffen. Damit könnten auch private Firmen auf zu Abrechnungszwecken gespeicherte Verbindungsdaten sowie auf Kundendaten wie Name oder Anschrift zugreifen. Nicht erlaubt werden soll der Unterhaltungsindustrie dagegen der Zugang zu den für sechs Monate auf Vorrat zu speichernden Verbindungsdaten. Bislang gibt es aber weder in der Politik noch in der Wirtschaft gedankliche oder technische Ansätze, wie die im Rahmen der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung erhobenen Nutzerspuren von den bisher bereits aufbewahrten Abrechnungsdaten getrennt werden könnten. Im Bundesrat waren vor kurzem zudem bereits Stimmen laut geworden, welche die Vorratsdaten auch für zivilrechtliche Zwecke nutzbar machen wollten.
In einer ersten Reaktion begrüßte Malte Spitz, Mitglied des Bundesvorstands der Grünen, das Urteil. Damit setze der Europäische Gerichtshof "den immer neuen Methoden und Wünschen der Musik- und Filmindustrie klare Grenzen". Der Datenschutz im Internet werde damit deutlich gestärkt. Die Entscheidung "wird Strahlkraft für ganz Europa entfalten", glaubt Spitz. Sie mache zudem deutlich, "das es eine intensive Abwägung zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und des Datenschutzes geben muss – der Datenschutz aber stärker wiegt". Der Grüne forderte vor diesem Hintergrund die Bundesregierung auf, "jegliche Vorhaben zu einem solchen zivilrechtlichen Anspruch der Industrie in den anstehenden bundesdeutschen Gesetzgebungsverfahren zu unterlassen".
Vertreter der Rechteinhaber ziehen eine andere Schlussfolgerung: Die Forderung nach Ausgewogenheit bedeutet laut Christian Sommer, dem Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), aber auch, "dass der Datenschutz – so wichtig dieser auch ist – eben nicht als Totschlagargument gegen die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen herhalten kann und darf." Insofern erwartet Sommer nach der Klarstellung konsequenterweise, "dass ein Ungleichgewicht zulasten der Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums bei den momentanen Gesetzgebungsverfahren ausbleibt". (Stefan Krempl) / (jk)