27C3: Hacker zwischen Wikileaks, Zensurbestrebungen und Chaos
Rob Gonggrijp, Gründer des Amsterdamer Providers XS4ALL, erklärte der Hackergemeinde bei der Eröffnung des 27. Chaos Communication Congress, dass die kommenden Jahren für alle chaotisch würden, die Datenreisenden diesen Zustand aber noch am besten meistern könnten. Schließlich gilt das Motto: "We come in peace".
Rob Gonggrijp, Gründer des Amsterdamer Providers XS4ALL, erklärte der Hackerszene bei der Eröffnung des 27. Chaos Communication Congress (27C3) am heutigen Montag in Berlin, dass die kommenden Jahre nach dem durch Wikileaks ausgelösten "Cablegate" nicht ganz einfach zu meistern seien. Die Veröffentlichung hunderttausender zuvor als geheim eingestufter US-Diplomatenpapiere "wird den Druck in Richtung Internetzensur erhöhen", meinte der frühere Herausgeber des Magazins Hack-Tic. Das FBI und US-Geheimdienste drängten bereits auf ein neues Gesetz zur Internetüberwachung, wonach ihnen Provider verschlüsselte Kommunikation im Klartext übergeben müssten. Insgesamt nähmen weltweit die Versuche zu, die Internet-Freiheiten einschließlich der Informationsfreiheit massiv einzuschränken.
Die Hackergemeinschaft teile die Prinzipien von Wikileaks, aber nicht alle ihre Angehörigen befänden sich in einem "Krieg" mit einer Supermacht, betonte Gonggrijp: "Wir wollen die Meinungsfreiheit nicht gefährden." Der Niederländer kritisierte in diesem Sinne die Aktivistenvereinigung Anonymous. Es bringe nichts, die Server von PayPal oder Mastercard, die Wikileaks den Geldhahn abdrehten, kurzzeitig lahmzulegen und damit ein wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Echte" Hacker würden dabei aber zumindest nicht ihren Klarnamen in den Metadaten verschickter Pressemitteilungen lassen, stichelte Gonggrijp. Wer noch keine ausreichende "Reife" als Datenreisender erreicht habe, sollte sich besser nicht ans Netz anschließen.
Für den Hacker betreten Regierende und Bürger mit Wikileaks und vergleichbaren Whistleblower-Plattformen im Internet gemeinsam Neuland. "Viele Politiker erkennen, dass ihre Berater ihnen auch nicht mehr sagen können, was abgeht." Sie hätten zwar das Steuer in der Hand, könnten es aber nicht mehr wirklich bewegen, geschweige denn herumreißen. Die meisten bemühten sich daher nur, halbwegs entspannt dreinzublicken und zu hoffen, "dass der Unfall später passiert". Dies öffne die Bühne für zehntausende Spindoktoren, die ihren Dreh der Wahrheit der Öffentlichkeit zu verkaufen suchten. Hacker und Geeks wüssten auch nicht alle Antworten auf die gegenwärtigen Probleme, aber hätten zumindest Teile davon.
Generell blieb Gonggrijp bei seiner skeptischen Sicht von 2005, dass die Hackergemeinde nach dem 11. September 2001 und den danach aufgebauten Überwachungsinfrastrukturen "den Krieg verloren" habe. Er sieht die Folgen aber nicht mehr so fatal wie vor fünf Jahren. Es werde wohl etwas "chaotischer" in den kommenden Jahren – und viele Nachrichtenseiten sähen dann ähnlich aus, wie heute schon das auf Verschwörungen spezialisierte Blog des Hackers Fefe. Die Datenreisenden nicht nur vom Chaos Computer Club (CCC), der den Kongress traditionell nach Weihnachten veranstaltet, verstünden aber bereits etwas besser als der Rest der Welt, "wie Chaos funktioniert" und zu meistern sei. Auch eine kleine Gruppe gedankenreicher Menschen könne so die Welt verändern, dafür seien nach wie vor ausreichend Nischen vorhanden.
Gonggrijp hält es daher für wichtig, den Zusammenhalt und das Vertrauen zwischen den Hackern zu stärken. Er plädierte daher dafür, auch das Jahrestreffen im immer mehr aus allen Nähten platzenden Berliner Congress Center (bcc) am Alexanderplatz "vorsichtig wachsen zu lassen" und einen größeren Veranstaltungsort zu suchen. In diesem Jahr hatte der CCC die begehrten rund 4000 verfügbaren Viertagestickets für 70 Euro pro Stück nur im Vorverkauf unters Volk gebracht. Der Kongress war damit innerhalb weniger Stunden weit im Vorfeld ausverkauft, einzelne Tageskarten soll es nur noch vom Dienstag an in überschaubaren Mengen geben. Dadurch würde trotz der Streaming-Angebote zuviel "frisches Blut" außen vor gehalten und am Besuch der Konferenz gehindert, monierte Gonggrijp. Dass dem Chaos Communication Congress mit einer Vergrößerung ein ähnliches Schicksal ereile wie die als Massenveranstaltung ohne großen Networking-Faktor verschriene Defcon in Las Vegas, glaubt der Hackerveteran nicht. Diese habe auch schon bei geringeren Besucherzahlen an Problemen wie Saufgelagen und zu vielen Teilnehmer aus Militär und Regierung gelitten.
Jeremie Zimmermann, Sprecher der Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net, warnte ebenfalls davor, dass "zunehmende Kräfte" aus Politik und Wirtschaft das Netz angriffen. Dabei werde vor allem auch der Aufhänger der "Pirateriebekämpfung" und die Durchsetzung von Urheberrechten bemüht, wie die Verhandlungen zum umkämpften ACTA-Abkommen zeigten. "Wir müssen eine Schlacht um die Köpfe schlagen", forderte Zimmermann die Hacker daher auf. Es gehe um das Abstecken psychologischer Rahmenwerke. Deutlich zu machen sei etwa, dass "tauschen und teilen kulturfördernd ist". Kultur und Wissen existierten letztlich nur, wenn sie geteilt würden. Wikileaks sicherte Zimmermann volle Unterstützung zu. (pmz)