Was war. Was wird.
En ese Tren ibamos todos. Und doch: Deja la vida volar. Wir aber bereiten uns nach kurzem Innehalten wieder auf das Ratten-Rennen CeBIT vor, merkt Hal Faber an.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Heute ist der internationale Pi-Tag. Pi ist eine lange Zahl, in der jedermensch seinen Geburtstag finden kann. Pi ist eine lange Zahlenreihe, in der jede Zahl vorkommt, ein Zahlenzug des Zufalls. Zufällig starben 200 Menschen in Spanien, in Zügen, in denen sie bunt zusammengewürfelt zur Arbeit oder zur Schule anrollten. En ese Tren ibamos todos -- in diesem Zug fuhren wir alle.
*** Am 11. März soll Europa seinen 11. September gehabt haben, heißt es nun. "Der Terrorismus rückt näher", verkündete Bundestagspräsident Thierse. Dabei zeigt das Beispiel Pi, dass es kein näher oder ferner geben kann, wenn es sich um den Terror der al-Quaida handelt. Sicher sind wir, hat unser oberster Sicherheitsminister und frischgebackener Bild-Kolumnist Schily den Befund erstellt, weil es die ETA war, europäisch und berechenbar -- die baskischen Separatisten von Euskadi ta Askatasuna aber distanzierten sich bereits, während Schilys spanische Kollegen im Vorfeld der Wahl die ETA-Theorie so lange aufrechtzuerhalten suchen, bis selbst die eigenen Experten dem nicht mehr ganz glauben wollen. Wozu aber haben wir Experten, die die Handschrift einer Wahnsinnstat lesen können? Das Bekennerschreiben der "Brigade Abu Hafs al-Masri / al-Quaida", das die Zeitung Al-Quds als E-Mail erhalten hat, soll authentisch sein, weil im Header die Namen arabischer Server auftauchen, die niemand sonst kennen würde. Die Brigade meldete sich auch, als die USA ihren Stromausfall hatte.
*** Sicherer wollen wir werden, fordern die Überwachungsstaatler, die jedem Bürger auf dem Bahnhof einen Bundeswehr-Soldaten zur Seite stellen wollen. Das von Microsoft entwickelte E-Mail Porto gegen Spam soll auf einmal Terroristen identifizieren helfen. Das FBI bekommt, was es schon lange wollte, weitere Schritte aus dem Reich der Satire sind angedacht. Mit Erleichterung wird in Deutschland die Nachricht kommentiert, dass ab dem kommenden Montag die Biometrie beim Personal den Frankfurter Flughafen sichert, und das gleich dreifach, mit Gesichtserkennung, Iris und Fingerabdruckkontrolle. Routiniert schickt der künftige Hochsicherheitstrakt Deutschland sein Mitgefühl nach Spanien, um sich wichtigeren Dingen zu widmen. Etwa der Tatsache, dass sich ein jüdischer Architekt bei den denkmalsfähigen Deutschen für einen jüdischen Witz entschuldigen muss. Die symbolische Politik ist noch lange nicht am Ende. Politiker sind nicht klüger als das Land, über dessen Pisa-Werte sie zetern.
*** Ob die Leser des Heisetickers klüger werden, wenn sie all die Nachrichten lesen, die zum Thema SCO in, ja wirklich, einer einzigen Woche so anfallen, ist schwer die Frage. Immerhin haben wir alle die einmalige Möglichkeit, hinter die Kulissen einer Auseinandersetzung zu schauen, wie Linux als billige wasserartige Ressource der IT-Grundversorgung mit Hilfe von Gerichten und erfahrenen Investoren wie Baystar Capital privatisiert werden soll. In anderen Fällen, in denen Baystar das nötige Kapital lieferte, gab es nicht jene quelloffene Gemeinschaftsdetektei, die jedes Faktoid aufspürt. Aufgespürt wurde auch der geheimnisvolle Herr Anderer, der mit Halloween X möglicherweise das wichtigste Dokument des Prozesses geschrieben hat. In einer Art, die an den großen Kimble erinnert, hat Anderer den gewöhnlichen Menschen das Große Ganze erklärt und das profunde Missverständnis der GPL offenbart, die ihn wie Darl McBride und viele andere antreibt. Die Frage, welcher Unrat sich im Linux-Code verstecken könnte, interessiert einen Strategen wie Anderer längst nicht mehr.
*** Ich ist ein Anderer, das wissen wir seit Freud. Die Freude am Code, der Sex-Appeal der Technik, die Geilheit der Gadgets erfahren wir trotz aller Werbeverbote im täglichen Einsatz, der häufig einfach geile Sachen ans Tageslicht bringt. Doch es gibt Grenzen. Auch wenn ein cooles Teil wie der Power Macintosh heute seinen 10. Geburtstag feiert, so kommen gute alte Handwerkszeuge wieder in Gebrauch und selbst die oft verlachte Kommandozeile wird wieder rehabilitiert. Bald wird noch der DOS-Prompt richtig sexy -- drüben bei Symlink ergötzen sich die Geeks bereits wieder am guten alten ASCII-Porno.
*** Passend zum Pi-Tag kann man heute den 125. von Albert Einstein begehen. Die bedeutendste Person des 20. Jahrhunderts wurde von den Nazis verketzert und von den Amerikanern beschnüffelt. Mit Paul Ehrlich können wir einen zweiten großen jüdischen Wissenschafler feiern, der heute seinen 150. Geburtstag hat. Und, damit diese Wochenschau auch den richtigen musikalischen Drive bekommt, darf Johann Strauß nicht fehlen, den die Nazis mit einer veritablen Urkundenfälschung entjudeten. Vor 200 Jahren kam der Komponist auf die Welt, der heute die Kommunikationsknochen der Technosexuals zum Tönen bringt. Ja, wenn die Musi klingt, dann ist es an der Zeit, sich an die 10 besten deutschen Pop-Songs zu erinnern, die zu einer Liste wachsen wollen. "Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei..." der Scherben ist schonmal ein lyrischer Anfang, "Bill Gates, komm fick mit mir .." von Welle Erdball wohl das Ende. Es muss ja nicht immer der preisenswerte Udo Lindenberg sein, dem wir das schöne Lied über Bielefeld verdanken. Oder gab es nur in Schweden eine Pop-Kultur?
*** Wenn diese Zeilen online gehen, sollte das groĂźe DARPA-Rennen in seine heiĂźe Phase treten oder vielleicht schon beendet sein. Die Tatsache, dass Roboter die besseren Autofahrer sind, zeigt jeder Dummy-Crash. Fehlt nur noch der Sonntags-Flame, ob die Intel-Technik des roten Teams dem AMD-gepowerten Motorrad der Geisterreiter Paroli bieten kann.
Was wird.
Das große Ratten-Rennen namens CeBIT steht vor der Tür, der Nachrichtenticker hat sich längst ins Grüne verfärbt. Wie jedes Jahr naht die Gewissensfrage: Hannover oder nicht? Für den Einen ist es die Deutsche Casemod Meisterschaft, die die Messe erträglich macht. Ein Anderer wird sich am Terroristenstopper, dem Reisepass mit biometrischen Merkmalen erfreuen, den die Bundesdruckerei präsentiert. TAZ-Leser werden freudig zu den Ständen laufen, an denen die ersehnten vertrauenswürdigen Chips präsentiert werden, die verbohrte Datenschützer bekämpfen. Wer vor der Messe entspannt dösen will, hat dazu bei einem Besuch des ICT-Forums Gelegenheit.
Angesichts der Tatsache, dass mit Johann Strauß heute ein großer österreichischer Pop-Musiker seinen Geburtstag feiert, sollen die eGovernment-Days nicht unerwähnt bleiben, mit denen die Austrokraten Anschauungsunterricht über moderne Software im Büro-Einsatz bekommen. Auch für Geschäftsleute wie Darl McBride bietet sich ein Termin an: Im fernen San Francisco startet die Open Source Business Conference, die im Untertitel als "Home of Open Source Capitalism" gepriesen wird. Für die quelloffenen Kapitalisten ist der heute vor 121 Jahren gestorbene Karl Marx wirklich tot.
En ese Tren ibamos todos: Und weil wir alle in diesem groĂźen Zug fahren, ende ich mit einem Lied von Viktor Jara fĂĽr alle Leser: Deja la Vida Volar (Lass das Leben fliegen). (Hal Faber) / (jk)