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Was war. Was wird.

Alles so schön rot hier? Ach, gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter des Internet vergebens, befürchtet Hal Faber, und widmet sich lieber dem alltäglichen IT-Wahnsinn.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zum 440. Geburtstag (und 388. Todestag) des SCO-Kommentators William Shakespeare färbte sich die kleine, feine Heise-Bühne rot, als wäre eine nicht wörtliche 1:1 Kopie von Hamlet im Schlachthof von Hannover aufgeführt worden. War es ein Irrer, der glaubt, dass Shakespeare hier nur von dem Hardware Abstraction Layer HAL zitiert werden darf? Vielleicht war die skriptgesteurte Groll-Aktion ein Protest gegen das Bewertungssystem, vielleicht sollte es eine Attacke auf SCO und die angeblich in den Fall hineinkopierte Microsoft sein. Auf alle Fälle war es genau eine einer dieser haarsträubenden Dummheiten, die immer mehr die letzten Möglichkeiten verbauen, die das Internet noch bietet. Wer unzählige Accounts anlegt und von diesen aus seine Bots in Bewegung setzt, der mag sich ob der vermeintlichen Cleverness der Attacke auf die Schulter klopfen und das minderbemittelte Ego im eigenen verstellten Blick etwas aufgebaut haben -- einen Kopf mit Verstand darinnen wird er oder sie wohl nicht haben. Da macht sich dann statt Shakespeare der Herr Geheime Rat einen Reim darauf:

"Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz."

*** Auf manche Aktionen kann man sich keinen Reim machen, da versagen selbst die Künste des Hilfstisches. Auf den Versuch von SCO, die nicht-wörtliche Kopie in den Mittelpunkt der Gerichtsverfahren zu rücken, ist der Reim einfach. Ausreichend belastende Codezeilen sind Mangelware und was früher war und wem gehörte, versinkt in der Versiegelung der Geschichte. Bleibt die Frage, ob das Gericht die Argumentation akzeptiert. Eine Ablehnung der Klage mitsamt Beendigung des Verfahren, wie dies IBM fordert, würde die clean mean IP-machine platzen lassen, von der Investor Baystar mit der Royal Bank of Canada im Gefolge schwärmt. Welche Beweise diesen Firmen vor ihrem millionenschweren Investment vorgelegt wurden, das ist eine ungeklärte Frage. Vielleicht reichte allein der Name des Anwaltes, David Boies. Er soll Wunder vollbringen, doch nicht unbedingt Gewinn bringend verhandeln. Bleibt die Frage, wer einen Cowboy wie Darl McBride ersetzen kann: "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!"

*** Das Gegenteil von versiegelten Dokumenten sind belastende Texte, die durch eine Unachtsamkeit an die Öffentlichkeit gelangen. Im Fall der Wahlmaschinen von Diebold sind sie bei einer Zeitung gelandet und wurden von ihr zitiert und dort im Internet veröffentlicht, wo die USA schlechten Zugriff haben. Würde es das Trusted Computing mit der Möglichkeit zur Bindung der Dokumente an die Hardware geben, sähe die Klage auf Löschung der Dokumente ganz anders aus.

*** Mit dem Löschen hat es aber oft so seine eigene Bewandtnis, wie Google, nicht nur börsenmäßig in die Schlagzeilen geraten, in letzter Zeit erfahren musste. Mächtig regen sich Datenschützer darüber auf, was Gmail alles können soll. Das schlichte Argument, solche Dienste einfach nicht zu benutzen, wird ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass so genannte Convenience-Software in den Firmen längst auf diese Weise arbeitet. Auch die Spyware schaut sich ungeniert in der Mailbox herum und kopiert alle Nachrichten heraus, die vielleicht nützlich sein können. Ignoriert wird auch die Tatsache, dass es Gigabyte-Mail geben kann, die ohne werbliche Spionage auskommt. Der eigentliche Strauß mit Google geht ohnehin darüber, wer wie die Benutzung von Warenzeichen blockieren kann.

*** In der letzten Woche hatte der Rock'n'Roll Geburtstag und das wurde an dieser Stelle nach Meinung vieler Heiseleser fragwürdig dargestellt, nicht nur wegen der Scorpions.Wenn der Rock ein Museum bekommt, was steht dann in dem Museum? Richtig, die supergeilen Amps mit ihren Röhren. Damit entthronen wir Bill Haley und setzen -- zumindest für diese Woche -- Rocket 88, von Ike Turner und seinen Kings of Rythm bei Sun Records in Memphis 1954 eingespielt, auf den ersten Platz. Jetzt werden wieder Leser protestieren. Es gibt Schlimmeres, zum Beispiel das Geburtstagskind von heute, Renée Zellwegger (35 Jahre) als Janis Joplin. Übrigens ist der Rock'n'Roll nicht die einzige Musike, die ihren 50. begehen kann. Am 18. Mai steigt in New York das Moog-Fest, auf dem Moogs Synthesizer Geburtstag feiert. Vom Trautonium über das Theremin, das Videola und die Clavivox führt der Weg zum Synthi, auf dem natürlich auch großer Rock geboten wurde: You Haven't Done Nothin' von Stevie Wonder könnte man nennen, ohne dass alle gleich Funk rufen, oder?

** Einen satten 50-jährigen Geburtstag feiert heute die Silizium-Solarzelle, die Trägerin vieler Hoffnungen auf eine goldige Zukunft einer Menschheit mit unbegrenzten Energievorräten, auf dass die PCs niemals abgeschaltet werden müssen. Rund geht es ebenfalls bei Guglielmo Marconi zu, der vor 130 Jahren geboren wurde. Auch seine Erfindung sollte viel Gutes bringen, etwa die Menschheit zusammen führen, Kriege verhindern und dergleichen mehr. Ja, früher da gab es noch Visionen -- und Künstler, die im Kreise fuhren, nicht nur biedere Handwerksgesellen.

*** Einen Geburtstag habe ich noch und es ist nicht der siebzigste von Shirley MacLaine, deren esoterische Erleuchtung nicht verhindert, dass wir wehmütig an das Mädchen Irma La Douce zurückdenken, oder daran, wie sie Jack Lemmon dann auch noch im Appartment den Kopf verdrehte und Frank Sinatra in Paris becircte. Eher schon ist es die Nelkenrevolution, der Aufbruch in die Freiheit, den Portugal heute vor 30 Jahren erlebte -- und der wohl die letzte Hoffnung darstellte, dass der Sozialismus nicht an seiner öden Realität ersticken müsste. Eigentlich aber ist es ein trauriger 50. Geburtstag, der dennoch gefeiert werden soll. Gestern wurde Mumia Abu-Jamal 50 Jahre alt. 22 dieser Jahre hat er in der Todeszelle verbracht.

Was wird.

497.196.304 Euro will die EU-Kommission von Microsoft haben, nicht mehr und nicht weniger. Das ist, verglichen mit anderen Microsoft-Ausgaben, ein vergleichsweise günstiger Preis, auch im Lichte der Tatsache, dass Microsoft 5 Jahre lang alle Aussagen der EU-Kommission zum Verfahren souverän missachtet hat. Zwar jammert es aus Seattle, dass die EU das Recht neu erfinde, doch insgeheim freut man sich, so gut weggekommen zu sein. Die befürchtete Code-Öffnung ist vom Tisch und dafür zeigt man sich gegenüber der EU richtig spendabel: Am Montag darf Otto Schily in Aachen das von Microsoft finanzierte European Microsoft Innovation Center (EMIC) offiziell noch einmal eröffnen. Der Reboot erfolgt, weil der Franzose Pierre-Yves Saintoyant ganz im Geiste der Lissabon-Strategie die passenden Projekte gefunden hat und die Forschung aufgenommen werden kann. "Microsoft setzt alles daran, dass Europa im Geiste von Lissabon im Jahre 2010 der wissensbasierteste Wirtschaftsraum der Welt ist", heißt es in der Einladung.

Was ist noch schöner als im wissensbasiertesten Wirtschaftsraum zu leben? In diesen erlauchten Gefilden vorbildliche Erleuchtungen bekommen natürlich. Das vaterländisch stilvolle Essen mit Eva in einem Dunkel-Restaurant nach einem anstrengenden Denktag im Tank von Berlinpolis, wo man für Kunden über Chancen für alle grübeln durfte. Jawohl, noch haben alle alle Chancen: Noch 15 Tage ist Zeit, die Insprirationen zu belohnen, zu denen auch die gehören, die e-Impulse geben können und unter dem Pflaster den Strand nach den Perlen der Unternehmenskommunikation durchharken. Der Kandidat, der genügend Skripte zum Dauerklicken auf den Wahl-Button starten kann, gewinnt 50.000 Euro. Das ist doch was anderes, als die Rotfärbung der Heise-Bewertungen. Solch ein Unsinn kommt von der T-Com und nennt sich Inspire Award. Für andere Preise muss man sich anstrengen und nachdenken, hier kann der geneigte Bobo notfalls ein paar Inder mit dem Dauerklick beauftragen. Phänomenologisch betrachtet gibt es sie noch, die guten Dinge der New Economy.

Dann gibt es noch die Menschen, die es zu den guten alten Dingen zieht, die gerne stanzen, peeken und poken. Sie treffen sich in München zum fünften Vintage Computer Festival Europas in rustikaler Eisenbahnsportleratmostphäre, kurz bevor sich das nächste, wie immer völlig zusammenhanglose WWWW ins Internet traut. Das Schlusswort aber bleibt für Heute dem alten Herrn mit einer Hommage an die öde Welt, in der die letzten belebten Plätze in den Weiten des Netzes wegen der Dummheiten der Script-Kiddies geschlossen wurden:

"Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
Verklungen, ach! der erste Widerklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet."

(Hal Faber) / (jk)