Geschacher um digitalen Polizeifunk geht weiter
Wirtschaft, Sicherheitsbehörden und Bundestagspolitiker haben das Mikadospiel zwischen Bund und Ländern satt -- der Starttermin für die Ausschreibung des Großprojekts für den digitalen Polizeifunk wackelt aber noch.
Wirtschaft, Sicherheitsbehörden und Bundestagspolitiker haben die Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern über die Modernisierung des Funks für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) satt. Starke Worte fielen so auf einem politischen Abend des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zum Streit um die Kostenübernahme bei dem informations- und kommunikationstechnischen Großprojekt am gestrigen Mittwoch in Berlin.
Die um den Auftrag buhlende Industrie habe die "Startlöcher schon so tief gegraben, dass man kaum mehr rausgucken kann", beklagte etwa Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, die Verschleppung des Entscheidungsprozesses. Konrad Freiberg aus dem Vorstand der Gewerkschaft der Polizei sprach von einer "Entsolidarisierung auf staatlicher Seite", die einem "Zusammenwirken" beim Wahrnehmen von Gefahren wie Terroranschlägen und dem Finden von Lösungen entgegenstehe. Der dringliche Appell des Panels lautete, dass der Termin für den Start des Ausschreibungsprozesses Ende des Jahres unbedingt gehalten werden müsse.
Bei den Anwendern in den Sicherheitsbehörden schwingt in der Annäherung an das Thema nach Jahren der Diskussion reichlich Enttäuschung und Zynismus mit. So berichtete der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Albrecht Broemme, aus seiner Erfahrung von Großereignissen: "Regelmäßig klappen zwei Dinge nicht: der Funk und die Verpflegung." Freiberg erkannte einen möglichen Ausweg aus den Kommunikationsengpässen in der Tatsache, dass die Länder bei der Polizei doch momentan Tausende Stellen einsparen würden. "Vielleicht kommen wir auf diesem Wege dahin, dass die Sache finanzierbar wird." Die Polizisten seien inzwischen jünger als die nach wie vor genutzte analoge Funktechnik, unkte Bosbach. Die eingesetzten Geräte könne man nur noch als Schlagwaffe verwenden.
Große Sorgen über die Wirtschaftlichkeit des Polizeifunks plagen auch Carsten Kreklau, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDI. "Die Kosten für die Aufrechterhaltung des bisherigen Systems übersteigen die für das neue bis 2010", gab er zu bedenken. Erfolge die tatsächliche Umstellung erst bis 2016, wie es inzwischen auch schon von staatlicher Seite zu hören sei, entstünden 1,3 Milliarden Euro Mehrkosten. Dabei könnten vom digitalen Behördenfunk innovative Impulse für Nachbarschaftsbereiche wie die Entwicklung unterschiedlichster Applikationen für die Leitstellentechnik ausgehen.
Das Hauptproblem beim Anschub des Digitalisierungsprojekts ist nach wie vor die grundsätzliche Kostenaufteilung zwischen Bund und Ländern. "Wir haben es mit einem politischem Phänomen zu tun, denn eigentlich sind sich alle über alles einig", erklärte Bosbach. Das gelte auch für die Kosten: da gehe man konform in der Ansage, dass "jeweils der andere mehr bezahlen muss." Gespielt werde eine Art politisches Mikado: Wer sich zuerst bewege und nachgebe, habe verloren. Dabei handle es sich um eine Frage der Prioritäten. So warf der Innenpolitiker Bundesinnenminister Otto Schily vor, zwar Geld für Umzüge des Bundeskriminalamts zu haben und mit dem Gedanken an die teure Einführung neuer Uniformen für den Bundesgrenzschutz zu spielen. Beim Polizeifunk beharre der Minister dagegen auf einer Kostenübernahme von nur zehn Prozent. So würde sich die Debatte weiter im Kreise drehen.
Rainer Wend, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, sieht dagegen die "anscheinend überforderten" Finanzpolitiker der Länder als die großen Blockierer an. Oberste Priorität hat für ihn: "Wir müssen jetzt endlich die Ausschreibung in diesem Jahr hinbekommen." Die Höhe der von den einzelnen Parteien zu zahlende Summe und die Zeiträume sollten laut dem SPD-Politiker erst im Lauf des Verfahren festgelegt werden. Auch Jürgen Weber von der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar empfahl, "jetzt die Kernmodelle zu diskutieren und den Vergabeprozess zu gestalten".
Noch vermisst der Professor aber klare Konturen für die Ausschreibung. Konkret verwies er etwa darauf, dass im technischen Expertenbericht der Gruppe "Anforderungen an das Netz" (GAN) von 2002 zwar die Gesamtkosten für den Aufbau und die ersten zehn Jahre Betrieb des Digitalnetzes auf 3,06 Milliarden Euro geschätzt worden seien, dabei aber die Preise für die Aufrüstung der Leitstellen und die Endgeräte noch nicht berücksichtigt wären. Sollte EADS mit seiner Funktechnik Tetrapol (in Konkurrenz mit Tetra, unter anderem von Motorola) zum Zuge kommen, spannte Weber den Bogen der schon bei der Ausschreibung zu berücksichtigenden Fragen weiter, könnte bei den Endgeräten die Kostenreduktion durch Wettbewerb nicht greifen. Der Rüstungskonzern habe schließlich eine monopolähnliche Stellung bei Tetrapol. (Stefan Krempl) / (jk)