Rot-Grün macht Ernst mit dem Akteneinsichtsrecht
Die Koalition hat sich auf einen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz geeinigt. Er kann so vom Bundestag noch kurz vor der Weihnachtspause in 1. Lesung beraten werden.
Die rot-grüne Koalition hat sich am Dienstag auf einen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz geeinigt. Das bislang durchgängige Prinzip des Amtsgeheimnisses soll umgekehrt werden in ein allgemeines Recht der Öffentlichkeit auf Akteneinsicht. "Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen", schreibt Paragraph 1 fest. Zur Begründung heißt es, dass "der Zugang zur Information und die Transparenz behördlicher Entscheidungen eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung von Bürgerrechten ist".
Eine lebendigere Demokratie erhofft sich die Regierungskoalition von dem Gesetz, da die Bürger die Aktivitäten des Staates besser kritisch begleiten könnten. Eine alte Wunschvorstellung der Grünen soll so Wirklichkeit werden. Zugleich sehen die Parlamentarier in den verstärkten Kontrollmöglichkeiten "auch ein Mittel zur Korruptionsbekämpfung". Eine "Internetklausel" soll dafür sorgen, dass Behörden über das Internet "Informationen ebenso wie vorhandene Pläne und Verzeichnisse allgemein zugänglich machen".
Um einen Erstling handelt es sich bei dem neuen Entwurf nicht. Zwei Entwürfe des Bundesinnenministerium stießen bei den rot-grünen Abgeordneten aufgrund der vorgesehenen Abschirmung ganzer Ministerien vor den Auskunftsansprüchen auf Ablehnung. Die Fraktionsexperten griffen daher selbst zur Feder. Bis zuletzt legte ihnen die Ministerialbürokratie Steine in den Weg, was die Vorbereitungen stark verzögerte. Noch Ende vergangener Woche hatte das Kanzleramt wegen Bedenken des Bundesinnenministeriums eine schriftliche Intervention gestartet. Aufhänger war die Fristsetzung in dem Entwurf, der zufolge die Information dem Antragsteller "unverzüglich" -- bei komplexen Anfragen spätestens "mit Ablauf von zwei Monaten" -- zur Verfügung zu stellen ist. Doch der Termin bleibt drin, beschloss die Koalition jetzt. Der Entwurf kann so vom Bundestag am Freitag noch kurz vor der Weihnachtspause in 1. Lesung beraten werden.
An vielen anderen Stellen mussten die Abgeordneten große Verhandlungsbereitschaft zeigen. So nimmt der Katalog der Ausnahmen, in denen kein Informationsanspruch besteht, in Paragraph 3 mit seinen 14 Punkten über eine Seite ein. Außen vor bleiben Informationen, deren Bekanntwerden "nachteilige Auswirkungen" habe könnte etwa auf die internationalen Beziehungen, auf "militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr", Bereiche der inneren oder äußeren Sicherheit, auf Kontrollaufgaben der "Finanz-, Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden" oder auf Angelegenheiten der externen Finanzkontrolle. Nachrichtendienste sowie Verschlusssachen sind ebenfalls tabu. Anfragen können sogar mit der Begründung abgewiesen werden, dass "fiskalische Interessen des Bundes" tangiert würden.
Industrieverbände, deren Mitglieder sich bei Großprojekten mit dem Staat wie bei der LKW-Maut auch künftig nicht in Verträge schauen lassen wollen, haben sich ferner mit der Forderung nach einem breiten Schutz von Geschäftsgeheimnissen und geistigem Eigentum durchgesetzt: Zugang darf nur gewährt werden, wenn der Betroffene eingewilligt hat. Sind personenbezogene Daten im Spiel, kann eine Behörde abwägen, wessen Interesse an den begehrten Informationen überwiegt. Als weiterer Knackpunkt könnten sich die Gebühren erweisen: Der Informationszugang soll zwar "wirksam" in Anspruch genommen werden können. Ein genereller Gebührenerlass, wie ihn das Verwaltungskostengesetz ermöglichen würde, wird jedoch nicht zugelassen. Theoretisch könnte eine Behörde eine Kostenerstattung von bis zu 500 Euro veranschlagen.
Insgesamt bleibt der Entwurf so in einigen Bereichen hinter dem im April präsentierten Vorschlag zivilgesellschaftlicher Gruppen zurück. Absolut sicher scheint sich Rot-Grün mit dem Vorhaben zudem nicht zu sein: Das Gesetz soll zunächst auf fünf Jahr befristet, zwischenzeitlich aber ausgiebig evaluiert werden.
Für notwendig erachtet die rot-grüne Koalition das Gesetz dennoch, um mit "innerstaatlichen, europäischen und internationalen" Entwicklungen Schritt zu halten. Nicht nur in den USA sind die Informationsrechte gegenüber der Verwaltung seit 1966 verbrieft. Auch in der EU bildet Deutschland bislang gemeinsam mit Luxemburg das Schlusslicht bei der Informationsfreiheit. Hierzulande sind dem Bund zudem Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einen Schritt voraus beim Abschneiden der alten Verwaltungszöpfe. (Stefan Krempl) / (anw)