Signal auf Grün für Softwarepatentrichtlinie des EU-Rates
Der Ausschuss der Ständigen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten hat den Weg für die offizielle Verabschiedung der Ratsposition über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" für Anfang nächster Woche frei geräumt.
Der EU-Rat wird seine heftig umstrittene Version der Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" höchstwahrscheinlich Anfang nächster Woche abnicken. Die beiden entscheidenden Vorbereitungsgremien, die Mertens-Gruppe, sowie der Ausschuss der Ständigen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten (Coreper), haben für den noch ausstehenden formalen Akt der Besiegelung des Gemeinsamen Standpunktes vom Mai auf dem letzten Treffen der Ministerrunde in Brüssel in den vergangenen beiden Tagen den Weg frei gemacht. Nach ungewöhnlich langen Verzögerungen könnte die niederländische Ratspräsidentschaft so den Luxemburgern das EU-Steuer für das erste Halbjahr 2005 im Softwarepatentbereich ohne eine drückende Altlast in die Hand geben.
Der Preis für den Befreiungsschlag ist allerdings hoch: So ignorieren die niederländischen Regierungsvertreter nicht nur das Votum ihres eigenen Parlaments. Ferner mussten die Niederländer gehörigen diplomatischen Druck etwa auf die polnische Regierung ausüben, da diese sich öffentlich von der Ratsposition distanziert hatte. Trotz neuer Stimmverhältnisse nach der EU-Erweiterung hat sich so offiziell kein Land für eine Neuverhandlung des nur mit einer hauchdünnen Mehrheit festgezurrten Standpunktes vom Mai ausgesprochen. Dies wäre theoretisch auch jetzt noch möglich, würde aber nicht der Verfahrensgläubigkeit der EU-Bürokraten entsprechen. Das Papier dürfte daher just vom Landwirtschafts- und Fischereirat einfach durchgewunken werden.
Alle Mitgliedsstaaten hätten eingesehen, dass die Gesetzgebung "nicht mehr funktionieren würde, wenn wir jetzt den Kurs wechseln", begründet ein Sprecher der niederländischen Präsidentschaft die Eile am Ende des Ratsverfahrens. Es handle sich um eine "komplexe", aber "keineswegs extreme" Vereinbarung, betonte er. Unterschiedlichsten Positionen sei Rechnung getragen worden.
Das sehen nationale Parlamente wie der Bundestag, EU-Abgeordnete sowie das Lager der Softwarepatentgegner völlig anders. "Die nationalen Patentverwalter in der Arbeitsgruppe für geistiges Eigentum des Rats haben den Vorschlag des Europäischen Parlaments verworfen, ohne auch nur eine intelligente Kritik -- geschweige denn einen kohärenten Gegenentwurf -- zu entwickeln", schimpft Hartmut Pilch, Vorstand des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII). Damit hätten sie das Richtlinienprojekt an den Rand des Schiffbruchs gebracht. FFII-Vertreter verweisen zudem darauf, dass eine qualifizierte Mehrheit für die Ratsposition direkt bei ihrer formellen Bestätigung vorliegen müsse, nicht bei der "Probeabstimmung". Erst mit dem abschließenden Akt werde der Standpunkt juristisch verbindlich.
Auch Florian Müller, Manager der Kampagner NoSoftwarePatents.com fasst sich angesichts des wackeligen Verfahrens an den Kopf: "Weil Diplomatie anscheinend schwerer wiegt als Demokratie, wird der Rat nächste Woche etwas absegnen, das den Namen 'Gemeinsamer Standpunkt' in keinster Weise verdient." Dass es sich um eine "Farce" handele, zeigt für Müller, dass mehrere Länder trotz ihrer Zustimmung im Frühjahr davon abweichende Erklärungen abgeben wollen. "Erst entscheiden, dann wieder entwerten", laute anscheinend das Motto. Der FFII fordert die Bundesregierung auf, sich zumindest ebenfalls über diesen Umweg gemäß des Auftrags des Bundestags klar von der Ratsposition zu distanzieren.
Die Hoffnungen der Softwarepatentgegner -- und anscheinend der Länder, die zusätzliche Erläuterungen abgeben wollen -- liegen nun vor allem auf dem EU-Parlament, das sich nach der Verabschiedung des Standpunkts der Minister in 2. und 3. Lesung mit dem Richtlinienprojekt erneut auseinandersetzen muss. Da dabei eine absolute Mehrheit im neu gewählten Parlament zu Stande kommen müsste und diese vermutlich nur über deutliche Zugeständnisse an die Ratsposition erreicht werden könnte, verfolgen sie auch den Plan zum Neustart des gesamten Verfahrens vehement weiter. "Einerseits wird diese Frage im neuen Jahr auf der Tagesordnung des zuständigen Rechtsausschusses des Parlaments stehen", erklärt Müller. Andererseits werde eine Gruppe von Abgeordneten der drei größten Fraktionen dieser Tage einen entsprechenden Antrag einreichen.
Zum Thema Softwarepatente siehe auch:
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- Grüne sehen keinen Verhandlungsspielraum bei Softwarepatenten
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- Ein Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Ministerialdirektor Elmar Hucko über Softwarepatente, Urheberrecht und geistiges Eigentum veröffentlichte c't in Ausgabe 16/2004: "Das Urheberrecht kennt kein Recht auf Privatkopie", c't 16/2004, S. 158
- Befürchtungen um einen "Patentkrieg" Microsofts gegen Open Source
- Patente als potenzielle Waffe Microsofts gegen Open Source
- Bitkom gegen Softwarepatent-Umfrage des Wirtschaftsministeriums
- Wirbel um Softwarepatent-Umfrage
- Gefahr für den IT-Mittelstand, Die Softwarepatent-Richtlinie des EU-Rates erhitzt die Gemüter, c't 13/2004, S. 22
- Die Brüsseler Patentschlacht, Der Streit um EU-Softwarepatente in der vorletzten Runde, c't 12/2004, S. 60
- Softwarepatentgegner werfen Brüssel Verlogenheit vor
- EU-Staaten über Softwarepatente einig
- Europaparlament gibt reinen Softwarepatenten einen Korb
(Stefan Krempl) / (jk)