EU-Abgeordnete: Nur Gerichte können TK-Vorratsdatenspeicherung stoppen
"Das europäische Parlament wird die Data-Retention-Richtlinie nicht verhindern können", sagte die österreichische EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger anlässlich der Verleihung des Positivpreises der Big Brother Awards an das EU-Parlament.
"Das europäische Parlament wird die Data-Retention-Richtlinie nicht verhindern können", sagte die österreichische EU-Parlamentsabgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne) am Montagabend im Wiener Museumsquartier. "Sie widerspricht der Menschenrechtskonvention. Die Richtlinie wird daher nur auf dem Klageweg verhindert werden können." Bei den in Brüssel vorangetriebenen Plänen geht es um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten will die EU-Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate aufbewahrt wissen.
Lichtenberger hatte gemeinsam mit ihrer Kollegin Maria Berger (SPE) stellvertretend für das Europäische Parlament (EP) die Positiv-Auszeichnung des österreichischen Big Brother Awards erhalten – in Form von Urkunden, Debian-Distributionen und einer Ubuntu-Distribution für jeden österreichischen Fraktionskollegen. Das EP war für die Ablehnung der Softwarepatente und seinen Einsatz gegen die Weitergabe der Daten Flugreisender mit dieser seltenen Ehrung bedacht worden. Bei der eigentlichen Big Brother Award Zeremonie am 25. Oktober waren alle Abgeordneten auf Grund einer Parlamentssitzung verhindert gewesen.
Auch Berger war nicht optimistischer: "Bei der Einschränkung des Anwendungsbereiches, der Verwendung der Bewegungsprofile oder den Aufbewahrungsfristen – da könnte etwas gehen." Als Ansatzpunkte sieht sie die enorme Kostenbelastung für Telcos und Provider sowie die bisweilen technische Unmöglichkeit der Durchführung mancher Forderungen. "Wenn die Anforderungen so gesenkt werden, dass die großen Provider sie sich leisten können, werden sie vielleicht ihren Widerstand in der Hoffnung auf eine Marktbereinigung einstellen", fürchtet Lichtenberger. Das Aus für kleinere Provider käme womöglich manch großem Anbieter nicht ungelegen. Sie bedauere zudem, dass der Widerstand Deutschlands infolge der Zwischenergebnisse der laufenden Koalitionsverhandlungen weggebrochen sei. "Vielleicht bekommen wir deshalb nächstes Jahr einen (negativen) Big Brother Award", meinte Berger.
Positiv bewerteten beide Volksvertreterinnen die Ablehnung der Softwarepatente durch das Europaparlament. Für die Sozialdemokratin ist dies auch der Erfolg einer der ersten europaweit koordinierten Aktionen. "Das war ein gelungenes demokratisches Experiment. In kaum einer anderen Frage gab es so viel Feedback aus der Community", sagte Berger, während Lichtenberger meinte: "Ausgekannt haben sich ja nicht sehr viele (der Abgeordneten). Aber es ist gelungen, eine Situation zu schaffen, in der niemand seine Kernforderungen zur Gänze hätten durchsetzen können." Da in der zweiten Lesung ein Ablehnungsantrag vor allen Abänderungsanträgen abgestimmt werden muss, hätte sich eine Mehrheit dagegen ergeben. Keine Seite wollte eine unausgegorene Mischung verschiedener Standpunkte, die letztendlich auch ihren jeweils eigenen Interessen geschadet hätte. "Das (erfolgreiche Lobbying) hat auch zu einem neuen Selbstbewusstsein bei vielen Kleinbetrieben geführt", meinte die Grüne, "solche Kooperationen gibt es in den meisten anderen Branchen nicht." Beide Abgeordneten stöhnten aber über die Masse gleich lautender E-Mails. "Wenn Sie Glück haben, löscht der Abgeordnete das selbst."
"Die Softwarepatente-Richtlinie ist tot", zeigte sich Lichtenberger überzeugt, "Allerdings versucht (der österreichische EP-Abgeordnete der Volkspartei/Christdemokraten-Fraktion Paul) Rübig, Softwarepatente über das Gemeinschaftspatent wiederzubeleben. Dieses Community Patent steht zurzeit aber an der Sprachenfrage an." Dabei geht es darum, iIn welchen Sprachen EU-Patente eingereicht werden müssen. Auch Berger ist sicher: "Die EU-Kommission ist in der Sache beleidigt und wird keinen neuen Anlauf zu einer Softwarepatente-Richtlinie starten."
Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):
Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:
- Zahlreiche Änderungsanträge zur Richtlinie über TK-Vorratsdatenspeicherung
- Bundesjustizministerin fĂĽr sechsmonatige Speicherung von TK-Verbindungsdaten
- EU-Datenschützer: Tiefer Eingriff in Privatsphäre durch Vorratspeicherung von TK-Daten
- Parlamentskoordinator gegen Vorratspeicherung von Internetverbindungsdaten
- Drei Monate sollen reichen
- Druck auf EU-Parlament wegen Speicherung von Telefon- und Internetdaten
- EU-Parlament lehnt Plan des EU-Rates zur Vorratsdatenspeicherung endgĂĽltig ab
- EU-Datenschutzbeauftragter kritisiert Kommissionsplan zu Vorratsdatenspeicherung
- Wirtschaft und Datenschützer lehnen Pläne der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung ab
- EU-Kommission legt Entwurf zur Speicherung von Telefon- und Internetdaten vor
- Ratsbeschluss zur Speicherung von Telefon- und Internetdaten steht auf der Kippe
- Terrorabwehr vs. Grundgesetz, Wie viel Überwachung verträgt der freiheitliche Rechtsstaat?, c't 17/05, S. 62
- Schily: Terrorabwehr funktioniert in Deutschland gut
- EU-Kommission besteht auf eigenem Vorschlag zur Telefondatenspeicherung
- Unterschriftenkampagne gegen verdachtsunabhängiges Datensammeln
- Heftige Proteste gegen Brüsseler Pläne zur pauschalen Überwachung der TK-Nutzer in c't aktuell
- EU-Kommission will Speicherung von TK-Verbindungsdaten massiv ausweiten
- Speicherung von Telefon- und Internetdaten soll im Herbst beschlossen werden
- Britischer Innenminister: Alle BĂĽrgerrechte mĂĽssen auf den PrĂĽfstand
- Terrorabwehr stellt EU-Balance von Sicherheit und Freiheit in Frage
- LKA-Chef Kolmey: Internet-Verbindungsdaten mindestens ein Jahr speichern
- Innenminister wollen einjährige Speicherung von Verbindungsdaten
- Internet-Verband kritisiert Pläne zur Vorratsspeicherung von TK-Daten
- US-Provider gegen EU-weite Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten
- EU-Parlament stimmt gegen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten
- EU-Rat will Vorratsspeicherung von Telefonverbindungsdaten vorziehen
- FDP: "Keine Vorratsdatenspeicherung durch die europäische Hintertür"
- EU-Rat gibt Gas bei Vorratsspeicherung von TK-Daten
- "Albtraum Vorratsdatenspeicherung"
- Ministerium prĂĽft Protokollierung von Verbindungsdaten bei Anonymisierungsdiensten
- Bundesregierung rĂĽstet weiter fĂĽr die Vorratsdatenspeicherung
- BrĂĽssel steuert auf Eklat bei der Vorratsdatenspeicherung zu
- Speicherung der TK-Verbindungsdaten: Wer bietet weniger?
- Absprachen über Vorratsdatenspeicherung lösen Empörung aus
- Neuer Überwachungsanlauf -- Berliner Hinterzimmergespräche zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, c't 8/05, S. 54
- Vorratsdatensspeicherung in Irland, noch nicht in Europa
- EU-Justizminister legen sich bei TelekommunikationsĂĽberwachung nicht fest
- Proteste gegen geplante europaweite Vorratsdatenspeicherung
- Neue Vorschläge zur Vorratsdatenspeicherung
- Berlin und Brüssel auf Datenjagd -- Der Streit um die pauschale Nutzerüberwachung bei der Telekommunikation spitzt sich zu, c't 23/04, S. 58
- Neuer Anlauf zur Verbindungsdatenspeicherung auf EU-Ebene
(Daniel AJ Sokolov) / (jk)