Verzagtheit der Wirtschaft beim digitalen Behördenfunk beklagt

Auf einem Politischen Abend des BDI hielten Politiker und Behördenvertreter der Industrie vor, den Markt rund um das geplante Funkgroßprojekt von Bund und Ländern zu verschlafen.

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Auf einem Politischen Abend des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hielten Politiker und Behördenvertreter der Wirtschaft vor, den Markt rund um das geplante Funkgroßprojekt von Bund und Ländern zu verschlafen. "Wir hatten die Kataloge der Industrie gesehen und uns gedacht, da müsste sich doch ein öffentliches Netz in einer Großstadt rechnen", erklärte Günter Krebs, Leiter BOS Digitalfunk in Hamburg, wo während der Fußballweltmeisterschaft bis Mitte Juli eines der größten Inselprojekte zum Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) laufen soll. "Dann haben wir das Erschrecken in Gesichtern der Industrie gesehen", erinnerte sich Krebs an erste Vorgespräche über die Anmietung eines Funknetzes vor zwei Jahren. Zu Preisverhandlungen sei es gar nicht mehr gekommen. Stattdessen, ärgert sich der Polizist, habe die Wirtschaft "ein verdammtes Geschäft vergeigt".

Inzwischen konnten die Hamburger nach einer Ausschreibung zwar T-Systems, R&S Bick und Motorola dafür gewinnen, ein TETRA-Netz zeitweise nach Hamburg zu bringen. Rund 150 Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr erhalten in dem Mitte Juli bereits wieder auslaufenden Projekt neue Handgeräte. Zudem werden 20 Fahrzeuge mit mobilen Funkeinheiten bestückt. Krebs wirft den Netzbetreibern und Geräteherstellern aber weiter "Zaudern und Zagen" vor. Als einzige Antwort auf den Mietwunsch sei allein die Frage nach dem "Business Case" gekommen. Die vollständige Umstellung haben die Hamburger nun nach dem WM-Intermezzo für die Jahre 2007 bis 2010 im Visier, wobei Krebs dann auf mehr Engagement bei der Wirtschaft hofft. Als prinzipielle Vorteile der Digitaltechnik im Vergleich zu dem "auch gar nicht so schlechten analogen System" nannte er etwa die Möglichkeiten, einen Kanal allein für Führungskräfte einzurichten und die Gespräche zu dokumentieren oder zur parallelen Ansprache diverser Gruppen, sowie die "immens bessere Sprachqualität".

Gerold Reichenbach, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz im Innenausschuss, vermisst nach jahrelangen Debatten um das digitale BOS-Funknetz ebenfalls "ein Stückchen Bereitschaft der Industrie, sich auf den neuen Markt einzulassen". Die Telekommunikationsausrüster sind seiner Ansicht nach "auf eine Paketlösung fokussiert". Dabei sei es wichtig, etwa für Kommunen vernünftige Leasing-Systeme oder andere Finanzierungsmodelle zu finden. Erste Landkreise würden sich nämlich bereits überlegen, doch beim Analogfunk zu bleiben, auch wenn dieser vor der Haushaltsaufstellung noch als veraltet gegolten hätte. Der Wirtschaft warf Reichenbach ein Stück weit Schizophrenie vor: "Die gleichen Industrievertreter, die sagen, ihr fordert zu viel Steuern, kommen am andern Tag und sagen, der Staat muss mehr investieren". Innere Sicherheit koste in Zeiten neuer Bedrohungen wie des fortschreitenden Klimawandels, des Terrorismus und der Verwundbarkeit moderner Infrastrukturen nun einmal Geld und darauf "müssen wir uns einstellen".

Wie es mittelfristig jenseits der WM-Pilotversuche mit dem geplanten Aufbau eines bundesweiten integrierten Netzes für alle Sicherheitsbehörden weiter gehen wird, ist noch mit vielen Fragezeichen behaftet. Zumindest das Vergabeverfahren des Bundesinnenministeriums läuft zwar bis Ende Juni. Doch es handelt sich um ein "sehr komplexes Projekt", gibt Ralf Göbel, Obmann der CDU/CSU-Bundestagfraktion im Innenausschuss, zu bedenken. Insbesondere müssten die "spezifischen unterschiedlichen Bedürfnisse und unzählige Nutzer mit eigenen Ansprüchen" unter einen Hut gebracht werden. Auch Krebs fühlt sich daher an die Probleme mit der Lkw-Maut erinnert. "Zudem wissen immer noch nicht exakt, wie die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern laufen soll", verwies Göbel auf den entscheidenden Knackpunkt. Bis Mitte des Jahres wolle die Große Koalition aber die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen und die Organisationsstruktur schaffen.

Ernst Burgbacher, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, hielt der Wirtschaft die Stange: "Wir wollen die Privaten einbinden, der Staat kann es nicht alleine". Auch er gab aber zu, dass das Zusammenspiel beim Digitalfunk bislang nicht gut funktioniere. Die Politik sei mit Schuld an der Situation, da sie "kein Modell angeboten hat, das Wirtschaft entsprechend unter Druck gesetzt hätte". Schon auf EU-Ebene se die Chance zu Absprachen und zur Festlegung eines technischen Standards verpasst worden. Carsten Kreklau von der Hauptgeschäftführung des BDI erinnerte allgemein an die Verantwortung des Staates im Sicherheitsbereich, die dieser nicht auf die Industrie abwälzen könne. Er begrüßte daher, dass sich die Regierungsparteien für eine Entschädigungsregelung für die Hilfe bei der Telekommunikationsüberwachung stark machen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble lobte er, weil dieser entgegen dem Übereifer seines Vorgängers auch bei der Vorlage eines nationalen Plans zum Schutz der Infrastrukturen wieder den Dialog mit der Wirtschaft suche und auf bereits vorhandene Vorschläge aus deren Reihen stärker eingehe.

Zur Ausstattung von Behörden und Organsiationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) mit Digitalfunktechnik siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)