Untergräbt das System des geistigen Eigentums die westliche Marktwirtschaft?

Noch drängen die USA und die EU auf die Einführung strikter Regeln zum Schutz geistigen Eigentums in Schwellenländern, doch auch die Furcht macht sich breit, dass der Westen bald selbst teure Lizenzen einkaufen muss.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 241 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.

Das Drängen der USA und anderer westlicher Staaten zur Einführung strikter Regeln zum Schutz geistigen Eigentums in Schwellenländern wie China könnte sich bald als Bumerang erweisen. "Heute sind wir die Erfinder und die anderen die Lizenznehmer", gab Kenneth Cukier, Redakteur beim Wirtschaftsmagazin The Economist, auf der Verbraucherschutzkonferenz im Rahmen des Trans Atlantic Consumer Dialogue (TACD) in Brüssel über "die Politik und die Ideologie des geistigen Eigentums" zu bedenken. "Aber wären wir bereit, von anderen Lizenzen zu kaufen?" Der Regulierungsexperte ist sich sicher, dass "die nächsten großen Innovationen aus Asien kommen". Vermutlich würde der Westen dann die jetzt noch forcierten Schutzmechanismen für Ideen im Eigeninteresse aufbrechen wollen. Cukier stellte jedoch klar: "Wenn wir internationale Regeln schaffen, müssen wir auch gewillt sein, sie zu befolgen".

Ein Umdenken auf der politischen Ebene hat angesichts dieser Bedrohung der westlichen Marktdominanz bereits eingesetzt. So überraschte Bruce Lehman, langjähriger Berater der Clinton-Regierung in Fragen des geistigen Eigentums und einer der Väter mehrerer umstrittener internationaler Rechtsabkommen auf Ebene der WIPO (World Intellectual Property Organization) und der WTO (World Trade Organization), auf der Tagung mit der Aussage, dass sich das TRIPS-Abkommen (trade-related aspects of intellectual property rights) zur Verbreitung geistiger Eigentumsrechte nach westlichem Muster "für die USA als großer Fehler herausgestellt hat". Es werde meist vergessen, dass die Vereinigten Staaten damit auch Zugang zu vielen ihrer Märkte gegeben hätten. Dies beziehe sich auch auf Länder mit niedrigen Lohnverhältnissen und ohne Auflagen beim Umweltschutz. Es sei daher kein Wunder, dass etwa selbst Apples iPod und damit eines der Vorzeigeprodukte der US-Hightech-Wirtschaft in China gefertigt werde. Dass ein Großteil der Profite trotzdem in Cupertino bleibt, habe Apple allein der Eigentümerschaft am geistigen Eigentum an dem Abspielgerät zu verdanken.

Doch auch die Schutzwirkung von Patent-, Urheber- und Markenrechten könnte sich bald als negativer Wirtschaftsfaktor für den Westen erweisen. Die Gesetzgeber und Drahtzieher internationaler Handelsvereinbarungen sehen sich damit in einem Dilemma. Antony Taubman von der WIPO stellte die Situation in den Worten des Philosophen Soeren Kierkegaard dar: "Tu etwas oder tu nichts, du wirst es in jedem Fall bereuen". Das von ihm mitbetreute Intergovernmental Committee on Intellectual Property and Genetic Resources, Traditional Knowledge and Folklore (IGC) schlage sich daher bereits seit Jahren mit der Frage herum, ob das Ziel des Diskussionsprozesses überhaupt ein internationaler Vertrag sein sollte. Schließlich würde von der einen Seite befürchtet, dass mit der Verankerung geistiger Eigentumsrechte in traditionellen Gesellschaften deren Kulturen in eine "Zwangsjacke" gesteckt und bestehende Werte überlagert werden könnten. Andererseits werde aber auch in Frage gestellt, ob es überhaupt Berechtigungen für die Existenz öffentlicher Domänen und Allmenden gäbe.

Unbeirrbar hält derweil die EU-Kommission an ihrem Kurs fest. "Wir haben die klare Linie, dass wir das E-Business und die Rechtehalter stärken wollen", betonte Leonardo Cervera Navas von der Generaldirektion Binnenmarkt. Nur mit durchschlagkräftigen Schutzrechten könnten Rechtehalter ihre Geschäftsmodelle ins Internet verlagern. Dem von der Zivilgesellschaft erhobenen Anspruch auf einen besseren Zugang zum Wissen will sich die Kommission aber dennoch nicht ganz verschließen. Das Thema sei auf der politischen Agenda, betonte der bekennende "Eurokrat". Konkret eine Rolle spiele es etwa bei der Evaluierung der Urheberrechtsrichtlinie von 2001 oder im Rahmen der Initiative zum Aufbau einer digitalen Bibliothek in Europa.

Für Verbraucherschützer und Wissenschaftler haben das breitbandige Internet und P2P-Netze dagegen bereits ganz neue ökonomische Modelle etabliert, für die sich ein unreformiertes System des geistigen Eigentums als Hindernis erweist. "Die digitale Revolution hat die Bedingungen für einen neuen, kollaborativen Produktionsmodus geschaffen", führte Mark Cooper, Forschungsdirektor der Consumer Federation of America, aus. Es mache keinen Sinn mehr, digitale Güter wie Musik oder Filme künstlich rechtlich oder mithilfe technischer Restriktionen zu verknappen. Gerade P2P habe die kosteneffektive Verbreitung einst rarer Ressourcen ermöglicht und eine Demokratisierung der Kreation digitaler Werke vorangetrieben. P2P übersetzt Cooper daher mit "People 2 People". Schon im Fall Napster hätten die Verbraucher letztlich zur Selbsthilfe gegriffen und die Musikindustrie gezwungen, von ihren mit CD-Verkäufen erzielten Überschüssen einen Teil zurückzugeben. Generell würden inzwischen 60 bis 70 Prozent der Inhalte im Netz von den Nutzern erstellt, zitierte der Verbraucherschützer aus aktuellen Studien mit Blick auf Weblogs oder Podcasting.

Auch Luc Soete, Wirtschaftswissenschaftler an der United Nations University of Maastricht, sprach von einer "kreativen Aktivierung" durch das Internet, dank der immer mehr "Amateure" enorme positive, im Prinzip nicht mehr "aufzubrauchende" Werte und Werke schaffen würden. Historisch betrachtet wären schon immer "Kollaboration und altruistisches Verhalten" die wichtigsten Antriebsfaktoren wirtschaftlichen Handelns gewesen, weniger Tendenzen zur Kommerzialisierung der Lebenswelt. Noch fehle es aber den Ökonomen an Maßstäben, um etwa den Wert der Erstellung von freier Software zu messen und ins erwirtschaftete Bruttosozialprodukt von Volkswirtschaften einzufügen. Generell seien dessen Wachstumsraten auf einer schier grenzenlose Privatisierung von Raum, Zeit und Information zurückzuführen, wobei Kreativität, Innovation oder nicht-kommerzielle Arbeit nicht berücksichtigt würden.

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den GesetzesentwĂĽrfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)