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Was war. Was wird.

Manche Offenbarungen von KI, Informatik und Politik zeugen nicht von göttlicher Eingebung, sondern verweisen auf Wittgenstein: Würde doch nur die Philosophie in allzu vielen Bereichen nicht als vernachlässigbare Disziplin betrachtet, trauert Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Warnung vorab. Heute sind nicht wie letztlich sieben Minuten Ficken das zentrale Thema der kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene. Heute wird es schwer philosophisch. Wer keine Neigung hat, das Philoso Vieh zu melken, der kann jetzt die ausgetretenen Pfade und Holzwege verlassen. Wir anderen schunkeln zur Einstimmung mit dem großen finnischen Troubadour Numminen und dem großen österreichischen Philosophen Wittgenstein: Wovon man nicht sprechen kann .... Wobei die Credits für die von mir wiederholt gebrauchten Philoso Viehtreiber nicht fehlen dürfen: Das Wort wurde von Mynona im großen Schweizer Kabarett Voltaire des Hugo Ball kreiert, in dem alpenländisch beeinflussten Holzfäller-Sketch. Aus dem eine britische Truppe schließlich diesen schönen Holzfällersong machte. Solchermaßen sind wir schwer in das Sein Geworfene traurig genug gestimmt, um die zentrale Botschaft dieser Woche zu empfangen: Die Singularität ist nah! Frohlocket! Jauchzet!

*** Ich gestehe, dass ich erst knapp vierhundert Seiten von der großartigen Offenbarung Singularity des megacoolen Philosophen Ray "Ich bin ein Singularitarian" Kurzweil geschafft habe. Dennoch bin ich begeistert in den nächsten Laden gestürzt, eine Festplatte zu kaufen, auf der in Bälde mein Gehirn downgeloadet oder gedownloaded oder lowdowngedönst wird. Dann, wenn der Mensch seine biologische Bindung an das schwache Fleisch lösen kann und nur noch aus Geist und Bits besteht. Doch wo ich die sieben Minuten Ficken in tiefe, tiefe Ewigkeit verwandeln will, bleibt maximal Seagate übrig, mit 5 Jahren Garantie. Wer keine 650 Seiten Kurzweil lesen möchte, dem biete ich hier die philosophische Kurzfassung: panta rhei.

*** Jaja, die akademischen Philosophen werden jetzt an ihrem Heraklitorus fummeln, ich aber halte mich lieber an den größten Singulär aller Zeiten, an Bill Gates, wie er bei Kurzweil vorkommt: "Everything of value is fleeting." Im Interview mit Ray Kurzweil, für ungeduldige Wichser zu lesen ab Seite 374, fragt Ray Kurzweil nach, wie dieser Fluss zu einer höheren Menschenheit verbessert werden kann. Ein Orgasmus ohne Ende? Gates ist Microsoft ist Microsoft ist Microsoft ist Microsoft. Oder, um es in Gates' Worten zu kleiden: "True, that's why we need to keep innovating." Innovation bei Microsoft! Vor diesem lauteren Innovationsdurst muss auch das christliche Weihnachtsgeschäft zurücktreten: Vista und Office kommen später, weil noch schwer innoviert wird. Nur Firmenkunden kommen vorher in den Genuss der schnieken Software, aber das auch nur, weil viele Software Assurance-Verträge auslaufen.

*** Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, wonach die Verzögerungen mit dem noch unvollkommenen, nicht wirklich funktionierenden DRM-System zu tun haben, so gibt es für die Jungs in Redmond Trost: Auch die KPdSU ist nicht an einem Tag gegründet worden. Mit einem liebevollen Blick auf die Abweichler Trotsky, Bucharin und Allchin stimmen wir den großartigen Song an, der dereinst auf dem Alexanderplatz von den Blauhemden der FDJ gesungen wurde: Hallo, guter Kommunist! Denn wenn sich die KPDRM daran macht, das Privateigentum an Medieninhalten abzuschaffen, dann ist es an der Zeit, den Unfug zu kommentieren, den die neue deutsche Digitale Schutzstaffel produziert. Das Delikt wird vielleicht "verschärfter vorsätzlicher Bagatellschaden" heißen und mit drei Jahren Haft der "fahrlässige Herbeiführung einer Kernexplosion" entsprechen.

*** Natürlich will es hinterher niemand gewesen sein, der für das digitale Ermächtigungsgesetz der Medienindustrie gestimmt hat. Diese Industrie, die mit einer eigenwilligen Variante der Philosophie des Als-Ob ohne Unterlass bewusst falsche Annahmen in die Welt setzt, kann sich freuen. Lassen wir das ganze Elend Revue passieren und freuen uns, dereinst den Nachkommen erzählen zu können. Wir sind dabei gewesen, damals, als wir entmündigt wurden, über die Daten in unseren Computern selbst zu bestimmen. Und haben natürlich nichts gewusst.

*** Tja, da schaut man dann mit dem Ofenrohr ins Gebirge: "Das neue Recht sorgt sich weniger um die Urheber als um diejenigen, die deren geistiges Eigentum vermarkten. Es achtet vor allem die Interessen der Verwertungs- und Geräte-Industrie; aus dem Urheberrecht wird ein gewerbliches Schutzrecht", kommentierte ein bekannter Kollege. Aber wie kann es auch anders sein, da Wissen überhaupt eine knappe Ressource in diesen Tagen geworden ist. Was hat man von einer Justizministerin zu halten, die von sich behauptet, die Masche von Logistep nicht zu kennen, aber gleichzeitig zu behaupten, dass 99,9 Prozent aller Verfahren eingestellt werden? Die P2P-Fahnder wird es freuen, dass sie beim Wettbewerb für den besten Strafvollzug ihren bescheidenen Beitrag leisten können. Das Wissen als knappe Ressource sorgt für Beschäftigung:In diesem unseren Land wird Web 2.0 als wunderbare Einnahmequelle von Juristen entdeckt, die Angst verbreiten wollen. All das im Auftrag von Firmen, denen Blogger sauer aufstoßen und die sich nicht zu schade sind, in einer Pressemitteilung solche Sätze zu schreiben:
"Wir hoffen, dass es in Zukunft nicht erneut zu dieser Art der Verleumdung kommt. Darüber hinaus möchten wir klarstellen, dass wir auch in Zukunft gegen Personen vorgehen werden, die die Euroweb Internet GmbH und/oder Einzelpersonen des Unternehmens in der Öffentlichkeit herabwürdigen oder anders schaden wollen."
Der deutsche Mittelstand, der von solchen Firmen ins Netz gebracht wird, darf in einer Landkantine oder beim Hendlwirt um die Ecke seinen Kummer über den aktuellen Stand der Meinungsfreiheit in Deutschland ersaufen. Weil der Mensch ein Mensch ist, muss ein Integrations-Fragebogen her, die knappe Ressource Wissen bei den Einländerern zu testen. Nicht auszudenken, welch ein Schaden ein Fremdling unserem Mittelstand zufügen kann, wenn er nicht weiß, warum Beethoven Schillers Ode an die Freude coverte.

*** Freude? Wo bleibt das Positive? Müssen wir in dieser kurzlebigen Zeit denn nicht feiern, dass Mac OS X fünf Jahre alt geworden ist? Oder lieber gleich einen neuen Desktop für seine witzigen Eyegimmicks loben, der noch gar nicht in trockenen Tüchern ist? Schließlich wird er bereits von kundiger Seite verissen, ehe er gestartet ist.

*** Ach ja, das Positive, das suchen auch andere Leute, drei Jahre, nachdem der neueste Blitzkrieg der Geschichte begann, der in einen Bürgerkrieg unter Beteiligung von US-Truppen mündete. Man muss es ja nicht gleich mit den Peinlichkeiten der 80er Jahre versuchen, diese Bilanz einer US-Regierung zu kommentieren, die mit nicht weniger als mit dem Anspruch angetreten ist, eine neue Weltordnung zu schaffen. Suchen wir lieber nicht das Positive, vielleicht findet dann auch ein Herr Bush nach Hause. Aber gut, solange Prince noch solche Alben vorlegt und die Vernunft nicht ganz aus der Öffentlichkeit veschwindet, ist auch für die USA nicht aller Tage Abend. Beim Irak bin ich mir da nicht so sicher.

Was wird.

Das Schmuckstück deutscher Philosophie habe ich mir für den Schluss vorbehalten. In dieser Woche wurde mit dem "agilen Adler" Paule (der wie ein besoffener Linux-Pinguin aussieht) schließlich die "zielgruppenübergreifende Sympathiefigur" deutscher Mannschaftlichkeit präsentiert. Paule ist schon ne Klasse besser als der von einem Moslem gefertigte Vogel im deutschen Bundestag. "Der Ball ist rund" und andere philosophische Lehrsätze deutscher Fußballtrainer zeugen von der ganzen ontologischen Qual des "Wir werden Weltmeister". Beim mäßigen Spiel gegen die USA ließ die Polizei alle Klinsmann-kritischen Transparente entfernen, danach verbat sich der Bundestrainer jegliche Kritik an seinem System und wünschte sich eine gleichgeschaltete Presse. Die geschichtlich begründete Unfreiheit deutscher Spieler, die gegen frei auftretende Bürger antreten müssen, wird hoffentlich schon in der Vorrunde ein Ende haben. Dass diese Truppe "spielen" kann, ist genau so ein Unsinn wie die behauptete symbiotische Beziehung von Fußball und Computer. Das eine kann nicht ohne den Anderen? Na, hier sollte jemand seinen Sartre nochmal genauer lesen, insbesondere das Blick-Kapitel in das Sein und das Nichts.

Es gibt ja noch die Variante Alles oder Nichts: In der kommenden Woche werden die Verträge beim größten IT-Projekt der Welt unterzeichnet. Die elektronische Gesundheitskarte will getestet werden. Millionen von Bundesbürgern freuen sich darauf, endlich Herr über ihre Daten zu werden und nicht länger durch eine dumme Versichertenkarte geknechtet zu sein. Das ist alles gut hegelianisch gedacht. Oder ist das alles nur heiße Luft? Wie zitierte ein Kenner deutscher Philosophie zur CeBIT-Eröffnung vor einem Jahr Heinrich Heine:

Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.

... freilich ohne den Passus von den auf platter Erde lebenden anderen Völker, den jeder Ausländerfragebogenentwicklungsbauftragter auswendig hersagen kann. Also, auf, auf in die Luft! Sind wir nicht alle ein bisschen Paule? (Hal Faber) / (jk)