EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung tritt in Kraft
Die EU hat die heftig umstrittene Direktive zur verdachtsunabhängigen Überwachung der elektronischen Nutzerspuren veröffentlicht. Damit laufen jetzt die Fristen für Nichtigkeitsklagen beziehungsweise zur Umsetzung an.
Die EU hat die heftig umstrittene Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten veröffentlicht. Am Donnerstag erschien der Text zur verdachtsunabhängigen Überwachung der elektronischen Nutzerspuren im Amtsblatt der EU (PDF-Datei). Damit beginnen die Fristen für Nichtigkeitsklagen beziehungsweise zur Umsetzung der Vorschriften.
Zwei Monate lang besteht die Möglichkeit, beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Direktive Einspruch zu erheben. Irland etwa hatte bereits bei der Verabschiedung der Richtlinie angekündigt, auf diesem Weg gegen das Gesetz vorzugehen. Der Regierung in Dublin behagt die von Brüssel gewählte Rechtsgrundlage nicht, da dabei das EU-Parlament ein Mitspracherecht hatte. Zudem müssen die Vorschriften für den Telefonbereich von den Mitgliedsstaaten bis zum 15. September 2007 in das nationale Recht aufgenommen werden. Für die Aufbewahrung der verlangten Internet-Daten besteht eine ausgeweitete Frist bis zum 15. März 2009. Diese gilt aber nur für Länder wie Deutschland, die bei der formalen Bestätigung der Richtlinie im EU-Rat eine entsprechende Absichtserklärung abgaben.
Gemäß der Richtlinie müssen Telekommunikationsanbieter in der EU künftig sechs bis 24 Monate lang Verbindungs- und Standortdaten vorhalten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, VoIP oder beim Internet-Zugang anfallen. Die Datenberge sollen dazu dienen, Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger zu erstellen. Die Liste der konkret vorzuhaltenden Daten ist lang und umfasst im Internetbereich etwa Benutzerkennungen sowie Name und Anschrift des Teilnehmers, dem eine IP-Adresse, Kennung oder Rufnummer bei VoIP zum Kommunikationszeitpunkt zugewiesen war.
Datenschützer haben die Bestimmungen wiederholt als schweren und größtenteils ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte der 450 Millionen EU-Bürger kritisiert. Für sie zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung ab, da künftig prinzipiell jeder Nutzer verdächtig sei. Angesichts zahlreicher Umgehungsmöglichkeiten für ernsthafte Schwerverbrecher herrschen auch Zweifel an der Effektivität der Überwachungsmaßnahme.
In Deutschland sind die Pläne zur Umsetzung der Richtlinie nach einem Bundestagsbeschluss im Februar bereits relativ weit gediehen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Bestimmungen zur pauschalen Aufzeichnung der Nutzerspuren "mit Augenmaß" und in den "Mindestanforderungen" umzusetzen. Die Speicherdauer soll bei sechs Monaten liegen. Doch noch ist unklar, welche Datentypen die Telekommunikationsanbieter genau vorhalten sollen und wer Zugriff auf die Informationshalden erhält. Umkämpft ist insbesondere, dass gemäß dem Parlament Ermittler nicht nur bei schweren Straftaten in den Datenbergen schürfen dürfen. Vielmehr sollen die Strafverfolger auch über eine Ausweitung der Richtlinie bei "mittels Telekommunikation begangener" Delikte Zugang zu den Vorratsdaten erhalten. Dies könnte sich zum Beispiel auf Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen beziehen.
Der EU-Abgeordnete Alexander Alvaro hat in diesem Zusammenhang bereits eine Anfrage an die Kommission gestellt. Der FDP-Politiker will wissen, ob die "schweren Straftaten" bei der Umsetzung im einzelnen aufgeführt werden müssen und ob die von Deutschland geplante Aufbohrung der Zugriffsmöglichkeiten mit der Richtlinie vereinbar ist. Justizkommissar Franco Frattini hatte schon vor der Verabschiedung des Gesetzes zugegeben, dass sich die Mitgliedsstaaten eine breite Hintertür offen gelassen haben. Dem Italiener zufolge muss aber jegliche Ausweitung mit allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzipien in Einklang zu bringen sein.
Der Elmshorner Jurist Patrick Breyer hält die gegenwärtigen deutschen Zugriffsregelungen von der Richtlinie für "nicht gedeckt". Für sämtliche der darin genannten Verbindungs- und Standortdaten sei "eine Vorratsspeicherung zu den in Artikel 1 Absatz 1 der genannten Richtlinie aufgeführten Zwecken ausdrücklich vorgeschrieben". Bereits aus den deutschen Grundrechten, aber auch aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot sei herzuleiten, dass nur ausnahmsweise zur Verhinderung und Verfolgung schwerer Straftaten in die vertrauliche Telekommunikation der Bürger eingegriffen werden darf. Dies gelte gleichermaßen für Inhalte, Umstände von und Beteiligte an einer Kommunikation, denn die "technische Differenzierung von Inhalts-, Verkehrs- und Bestandsdaten" sei "ohne Bedeutung für ihre Nutzungs- und Verwendungsmöglichkeiten". Generell sei die Richtlinie als "Dammbruch" in Richtung eines Orwellschen "Sicherheitsstaates" abzulehnen. (Stefan Krempl) / (ghi)