Staatssekretär: "Wir wollen Weltmeister bei der RFID-Technik werden"
Mit einer Förderung im zweistelligen Millionenbereich will die Bundesregierung helfen, den deutschen Technologievorsprung bei Funkchips auszubauen. Doch Datenschützer rufen zum Boykott von Produkten mit RFID auf.
Mit einer Förderung im zweistelligen Millionenbereich will die Bundesregierung helfen, den deutschen Technologievorsprung bei Funkchips zu halten und auszubauen. "Wir wollen Weltmeister bei der RFID-Technik werden", erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Peter Hintze, im Vorfeld einer Fachkonferenz zu den Chancen der Mini-Chips in Berlin. Sein Haus hat ein Forschungsgutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, wie die Entwicklung der funkbasierten Identifikationstechnik hierzulande am günstigsten zu gestalten ist. Ergebnisse sollen Anfang 2007 vorliegen. Schon jetzt fördert das Bundesforschungsministerium die Grundlagenforschung rund um RFID und automatisierte Warenkontrollsysteme mit bis zu 30 Millionen Euro im Jahr. Das Wirtschaftsministerium hat in seinem Haushalt darüber hinaus etwa 40 Millionen Euro für angewandte RFID-Forschung bereitgestellt.
Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik und Vorstandsvorsitzender des industrienahen Informationsforums RFID, zeigte sich erneut begeistert darüber, dass "die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist". Sobald sich Dinge heutzutage in Bewegung setzen würde, gehe es um die "smarten" Labels. Es handle sich dabei um eine "Hochtechnologie, wie sie typisch ist für den Standort Deutschland". So sei die Chip- und Softwaretechnologie rund um RFID aus deutschen Firmen weltweit führend. Ein Unternehmen hierzulande wollte etwa noch in diesem Jahr den ersten funktechniktauglichen Polymer-Chip auf den Markt bringen, was die Stückpreise dann deutlich unter zehn Cent pro RFID-Label drücken könnte.
Besonders erfreut zeigte sich ten Hompel über "mehr und mehr reale RFID-Anwendungen". Konzerne wie Merck oder Metro würden momentan planen, die Funktechnik durchgängig in ihre Prozessketten einzubinden. Als vorbildliche praktische Einsatzgebiete nannte er etwa die Verfolgbarkeit von Fleischbeständen, die Kontrolle der Ersatzteilversorgung beim A380 von Airbus sowie die Medikamentenverteilung und Kontrolle von Patienten in Krankenhäusern – oder die Fußball-Weltmeisterschaft. Hier haben die Funkchips auf den Tickets seiner Ansicht nach geholfen, "die WM ein gutes Stück sicherer zu machen". Das Konzept der lückenlosen Kontrolle der Stadionbesucher beim Einlass gilt allerdings als gescheitert.
Gleichzeitig warnte der Vertreter des Informationsforums vor einer zu starken Regulierung der Technik. "Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Wirtschaft motivieren, jetzt konsequent zu investieren", betonte ten Hompel. Anderseits seit der Technologievorsprung nicht zu halten. Der Fraunhofer-Forscher brachte dabei auch ins Spiel, dass etwa Korea die RFID-Entwicklung "mit über dreistelligen Millionenbeträgen" fördere. In das gleiche Horn stieß Heinz-Paul Bonn, Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom und Vorstandsmitglied im Mittelstandsausschuss des BDI. "Wir haben VHS und MP3 erfunden und nicht vermarktet", erklärte der Kölner Unternehmer. Jetzt böte RFID eine "neue Chance, dem Mittelstand eine leistungsfähige Dimension zu geben". Für erforderlich zum vollen Erblühen der Technik hält es Bonn noch, die Sendeleistung der Funkchips zu erhöhen und dafür ein höheres Frequenzband im UHF-Bereich freizugeben. Auch die Interoperabilität zwischen RFID-Lösungen müsse über internationale Standardisierungsprozess noch erhöht werden. Geld vom Staat sei für "firmenübergreifende Investitionen" nötig, um "Deutschland in den internationalen Leistungsverbund einzubinden".
Nicht zuletzt erklärte Bonn, dass sich die Wirtschaft bei der Identifikationstechnik "keine Unsauberkeiten mit dem Datenschutz leisten" könne. Die Industrie lehnt in diesem Bereich zusätzliche gesetzliche Regelungen vehement ab und stützt sich dabei etwa auf ein neues Gutachten von Bernd Holznagel, Direktor des Instituts für Informations-, Medien- und Telekommunikationsrecht (ITM) in Münster. Ihm zufolge ist "das deutsche Datenschutzrecht auf hohem Niveau und verbietet unter anderem Speicherungen personenbezogener Daten ohne die Einwilligung der Betroffenen". Es schaffe so einen ausreichenden Rechtsrahmen für alle heute bekannten Nutzungsformen der RFID-Technik. Hintze sah ganz in diesem Sinne ebenfalls keine Notwendigkeit zu weiterem gesetzgeberischen Handeln.
Wirtschaftsvereinigungen wie das Konsortium GS1 Germany oder die European Expert Group for IT-Security (EICAR) haben jüngst Papier zur Selbstregulierung bei der RFID-Verwendung vorgelegt. Damit sollen Richtlinien für den Masseneinsatz der Funktechnik auf Basis des elektronischen Produkt-Code (EPC) in Anwendungsbereichen mit Verbraucherbezug geschaffen werden. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) und der Datenschutzverein FoeBuD haben die Kritik an diesen Leitfäden aber im Umfeld der Fachkonferenz des Informationsforums und des Wirtschaftsministeriums noch einmal verstärkt. Insbesondere die Vorlage von GS1 Germany halten sie "aus der Sicht der Verbraucher" für "wertlos".
Absichtsvoll naiv erscheint den beiden zivilgesellschaftlichen Organisationen vor allem die aufgestellte These, dass ein Personenbezug von RFID-Produktkennungen nur in Ausnahmefällen vorliege, also etwa, wenn ein Unternehmen in der Lage sei, seine eigenen Daten ohne unverhältnismäßigen Aufwand mit persönlichen Kundeninformationen in Beziehung zu setzen. "Diese Voraussetzung wird jedoch in modernen Warenhäusern durch jede Videoüberwachung, jedes Kundenkartensystem und jede Nutzung des EPC für elektronische Kassiervorgänge erfüllt", erklären die Bürgerrechtsvertreter. Ihrer Ansicht verfügt der Handel "auch nicht ansatzweise über ein Datenschutz- und Verbraucherschutzkonzept für den Einsatz von RFID". Er sei nicht bereit, die klare Zusicherung zu geben, RFID "nur offen, zeitbegrenzt und zweckgebunden in Konsumartikeln zu verwenden". Resümee der Datenschützer: Angesichts der "ergebnislosen" Gespräche mit der Industrie gebe es für Verbraucher nur eine sinnvolle Reaktion, nämlich den Kauf von Produkten mit RFID abzulehnen. (Stefan Krempl) / (jk)