Der Krieg im Libanon und die Infrastruktur Israels

"Die täglichen Hisbollah-Raketen lösen eine furchtbare menschliche Tragödie aus, und eine wirtschaftliche und finanzielle Tragödie, schaden aber weniger der Infrastruktur", berichtet eine Einwohnerin Haifas.

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Der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon führt zu Sterben und Leid auf beiden Seiten der Grenze. Während die israelische Armee die Hisbollah und ihre Infrastruktur zerstören möchte, trifft sie dabei laufend Zivilisten, bisweilen auch unbeteiligte Militärs der UNO sowie der libanesischen Armee und zerstört die Infrastruktur im Libanon. Die Hisbollah dagegen hat die Auslöschung Israels zum Ziel, alleine in den letzten Wochen hat sie tausende Raketen auf Israel abgefeuert. Jeanine, eine 53 Jahre alte Einwohnerin Haifas, schilderte heise online ihre Eindrücke: "Die täglichen Hisbollah-Raketen lösen eine furchtbare menschliche Tragödie aus, und eine wirtschaftliche und finanzielle Tragödie, schaden aber weniger der Infrastruktur." Zumindest in Haifa funktionieren Festnetz, Internet, Stromversorgung, Fernsehen und Radio. Öffentliche Verkehrsmittel verkehren nach einem reduzierten Fahrplan.

Jeanine kennt ihre Stadt seit 33 Jahren und möchte nicht mit vollem Namen genannt werden. Sie ist selbstständig, schreibt für ihre Kunden unterschiedlichste Texte und kommentiert auch immer wieder die Situation in der Region. "Haifa ist die Stadt Israels mit der stärksten ethnisch-religiösen Integration", sagt sie. "Juden, Christen, Muslime und Drusen leiden gleichermaßen." Ihre Wohnung ist im Dachgeschoß eines Hauses, das 200 Meter bergan am Karmel liegt. "Ich bin buchstäblich auf der Frontlinie dieses jüngsten Krieges", beschreibt Jeanine ihre "Aussicht". "Zwei Blocks weiter ist eine Rakete durch ein Hausdach geschlagen."

Eine Drittelmillion Israelis ist Berichten zufolge in südlichere Landesteile geflohen. Da Haifa besonders viele Hisbollah-Raketen abbekommt, dürften nach Jeanines Schätzung 30 bis 40 Prozent der Einwohner die Stadt verlassen haben, in ihrer Wohngegend über 50 Prozent. Im Unterschied zu Beirut gibt es in Haifa und anderen israelischen Orten immerhin einige Minuten Vorwarnung vor Raketeneinschlägen. Da die Zeit aber oft nicht reicht, um einen Schutzbunker aufzusuchen, bleiben über eine Million Israelis 24 Stunden pro Tag dort. Manche können auch im Bunker ihre Mobiltelefone benutzen.

Viele Fabriken, Büros und Geschäfte sind geschlossen oder haben reduzierte Betriebszeiten. In erster Linie aus Sicherheitsgründen, aber auch, weil es nur noch wenigen Kunden gibt und der Hafen geschlossen ist. Daher können weder Waren exportiert noch Rohstoffe importiert werden. Einige noch in Betrieb befindliche Fabriken haben ihre Mitarbeiter mit speziellen Schutzwesten ausgerüstet, um sie gegen Schrapnells und die in den Raketen zwecks Tödlichkeitsverstärkung enthaltenen Stahlkugeln zu schützen.

Die Ernte einzubringen wäre zu riskant, daher verrotten Obst und Gemüse auf den Feldern. Ursprünglich voll gebuchte Touristengebiete sind leer, die Storno-Raten liegen bei 100 Prozent. Selbst die Auslieferung der wichtigsten Nahrungsmittel und Medikamente ist nicht verlässlich. Viele Ortschaften nördlich von Haifa haben seit Beginn der jüngsten Angriffe überhaupt keine Lieferungen mehr erhalten. Genau wie von den Raketen sind auch von der schlechten Versorgung nicht nur Juden betroffen.

Auf die Frage, was die Menschen in Haifa über die Leiden der Zivilisten im Libanon denken, bleibt Jeanine zunächst diplomatisch: "Wahrscheinlich dasselbe, was die Libanesen über die Leiden der Zivilisten in Israel denken." Dann aber bricht es aus ihr heraus: "Meine persönliche Meinung ist, dass wir hier alle Opfer sind: Juden, Muslime, Drusen, Christen, Samariter, Tscherkessen, Baha'i, Libanesen, Syrer, Israeli, Ägypter, Jordanier, Beduinen. Opfer von Despoten, Tyrannen, Terroristen eines Gebiets mit einer Mentalität, die 'die Anderen' verabscheut, die Generation über Generation erzieht, 'die Anderen' zu hassen und zu beschimpfen, die lehrt, dass 'die Anderen' alles Unglück verursachen, die Frauen kaum besser behandelt als Sachen und stolz und öffentlich abweichende Mütter, Töchter und Schwestern schlachtet. Kriege, Hass und Blutvergießen werden hier bis zum Ende aller Tage fortdauern. Frieden ist ein westliches Konzept, das in der 5.000-jährigen Geschichte dieser Region unbekannt ist. Das ist die Realität des Nahen Ostens. Entweder man akzeptiert das und arrangiert sich, oder man wandert aus."

Siehe dazu auch:

(Daniel A.J. Sokolov) / (jk)