Datenschützer üben Kritik an Anti-Terror-Datei
Datenschützer haben verfassungsrechtliche Bedenken gegen Speicherung von reinen Verdachtsangaben. Schäuble meint, es hätte durch die Datei schnellere Ermittlungserfolge bei den gescheiterten Kofferbombenanschlägen gegeben.
Die von den Innenministern abgesegnete Anti-Terror-Datei, deren juristische Grundlagen momentan als Gesetzentwurf ausgearbeitet werden, hätte das gescheiterte Attentat der beiden Kofferbomber wahrscheinlich schneller aufklären können. Diese Überzeugung äußerte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gestern Abend in den Tagesthemen. Ein Bürge für einen der Tatverdächtigen, der schon einmal im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten hervorgetreten war, wäre aller Voraussicht nach aufgrund dieser Anti-Terror-Datei überprüft worden, erklärte Schäuble. Bisher wurden Bürgen und Einlader von ausländischen Studenten nur stichprobenartig überprüft.
Trotz dieses von Schäuble angenommenen hypothetischen Fahndungserfolges gibt es Kritik an der geplanten Regelung. Vor Schäuble erklärte der Datenschutz-Lehrbeauftragte Spiros Simitis in der Tagesschau, dass trotz aller bisher bekannt gewordenen vagen Umrisse der Datei klar zu sein habe, dass sie ständig scharf von Datenschützern kontrolliert werden müsse: "Diese Datei muss uneingeschränkt der Kontrolle der Datenschützer unterstehen. Man darf keine Datei schaffen, in der Verdächtige für ewig geführt werden. Deshalb muss die Datei immer neu durchgekämmt werden, um die Risiken zu beschränken." Simitis forderte klare Fristenregelungen, wer wie lange in einer solchen Datei gespeichert wird. "Es geht nicht an, dass wir eine Datei mit dieser Sensibilität schaffen und nicht zugleich bestimmen, wie lange sie bestehen und wann sie nach welchen Kriterien überprüft werden soll – und wer überhaupt kontrollieren kann."
Nach den bisher bekannt gewordenen Details aus der Beratung der Innenminister des Bundes und der Länder soll die Datei neben dem Datengrundstock, der zur Identifikation einer Person notwendig ist, folgende erweiterten Daten speichern:
- Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen
- Waffenbesitz
- Telekommunikations- und Internetdaten
- Bankverbindungen und Schließfächer
- Schul- und Berufsausbildung, Arbeitsstelle
- Familienstand, Religionszugehörigkeit
- Verlust von Ausweispapieren
- Reisebewegungen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristischem Hintergrund (bspw. Ausbildungslagern)
Neben diesen einfachen Daten soll ein Volltext-Datenfeld für "undefinierbare Daten" eingerichtet werden. Es werde Angaben enthalten, mit denen "nach pflichtgemäßem Ermessen der einstellenden Behörde darüber hinaus reichende relevante Daten, wie beispielsweise eigene Einschätzungen und Bewertungen, abgebildet werden".
Weiterhin sollen Polizei, Geheimdienste und Zoll als Sicherheitsbehörden verpflichtet werden, ihre Daten einzuspeisen. Geheimdienstlich begründete Ausnahmen von der Speicherpflicht müssen von einem eigens dazu abgestellten Beauftragten schriftlich begründet werden.
Die Trennung zwischen einfacher Datei und den erweiterten Datensätzen ist im ersten Entwurf zur Anti-Terror-Datei so geregelt: "Den zugriffsberechtigten Behörden sollen die Grunddaten offen angezeigt werden. Die erweiterten Daten sowie die Einschätzungen und Bewertungen sind zunächst verdeckt im System hinterlegt, dabei wird offen angezeigt, welche Behörde über Erkenntnisse verfügt. Die abfragende Stelle fordert dort die Freigabe der weiteren Daten an, die umgehend erteilt wird."
Diese bekannt gewordenen Regelungen provozieren die Kritik der Datenschützer. So erklärte Thilo Weichert vom unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD): "Das Problem dieser Anti-Terror-Datei ist, dass nicht gesicherte Fakten, sondern Verdachtsangaben gespeichert werden. Diese Vorfelderkenntnisse betreffen oft Personen, die sich bislang nichts haben zuschulden kommen lassen. Mit dem Direktabruf bekommen die angeschlossenen Behörden einen Informationswust, den zu bewerten sie ohne Rückfragen bei den Datenlieferanten nicht in der Lage sind." Er kritisierte den Entwurf der Innenminister als "aufwendig, uneffektiv und datenschutzwidrig". Seiner Einschätzung nach dürfte auf der Basis der Beschlüsse der Innenminister kaum ein Gesetz ausgearbeitet werden, das verfassungsrechtlichen Bedenken genügen werde.
Verfassungsrechtliche Bedenken äußerte auch der FDP-Innenexperte Max Stadler gegenüber der Berliner Zeitung. Es sei im Entwurf unklar, welche Informationen der Geheimdienste, die auch Unverdächtige überprüfen, an die Polizei weiter gegeben würden. Dafür forderte der Politiker die Einrichtung eines Datenfilters. Außerdem verlangte er fortzuschreibende Erfahrungsberichte über die Anti-Terror-Datei im praktischen Einsatz.
Siehe dazu auch:
- Gemischte Reaktionen auf geplante Anti-Terror-Datei
- Innenminister beschließen zweiteilige Anti-Terror-Datei
- Datenschützer warnt vor Aktionismus
- Sicherheitstag im Zeichen der Anti-Terror-Debatte
- Verfassungsschutz soll auf Computer übers Internet zugreifen dürfen
- Neue Vorschläge für Daten in der Anti-Terror-Datei
- Überwachung des Internet soll verstärkt werden
- "Kleine Gruppen, die sich spontan zu Aktionen entschließen", Artikel in Telepolis
- "Rechtlich saubere Grundlage" für Anti-Terror-Datei gefordert
- Politik plädiert für Vorratsdatenspeicherung bei Anonymisierungsdiensten
- Schäuble: Wir müssen gegen den Terror noch wachsamer sein
- Schäuble und GdP fordern schärfere Überwachung von Netzinhalten
- Forum für Terroristen?, Artikel in Telepolis
- Politiker wollen Videoüberwachung ausdehnen und Anti-Terror-Datei ausbauen
- Diskussion um geplante Anti-Terror-Datei
- Politische Debatte nach dem Terroralarm
- Kritik an Gesetzentwurf zur Anti-Terror-Datei
(Detlef Borchers) / (jk)