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Was war. Was wird.

Guter Journalismus ohne Bären und Enten ist schlicht das Schreiben mit der Axt im Kopf, resümiert Hal Faber am ersten Sonntag ohne CeBIT nach einem Tag ganz ohne Computer.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Na, wie war der Tag, so ganz ohne Computer? Frisch in der freien Natur verbracht oder nervös am Glimmstengel kauend in einer der Örtlichkeiten, die künftig mit einem "R" wie Raucher gekennzeichnet sein müssen? Reinhold Beckmanns Yoda-Deutsch gelauscht? Oder etwa doch klammheimlich klimaverseuchend gebootet und die Mail abgeholt, ein Date auf Second Life gehabt?

*** Sigmar "Siggy Pop" Gabriel, der ehemalige Pop-Beauftragte der SPD, hat wieder einen P-Job. Er ist Pate vom Problembär Knut geworden und nimmt ihn zu einer Artenschutzkonferenz mit. Noch hat die Zeitung mit den vielen großen Buchstaben dafür nicht die Todesspritze für den Umweltminister gefordert, aber das, liebe Kinder, kann ja noch kommen. Schön ist es jedenfalls, dass der Bär an sich die Ente ablöst, journalistisch gesehen. Das macht meinen Beruf irgendwie aufregender, so mit der gefährlichen Tatze zu drohen, statt mit der Schwimmflosse zu watscheln – die dazu noch einem ollen Pinguin unterputiert wurde.

*** Damit bin ich schon bei der zweiten guten Nachricht dieser Woche. Vergesst Tux, denn seit dieser Woche gibt es das Linux-Girl, die Ellen Feiss aller knallhart wie Karate Kid mit den Prüfungen kämpfenden Certified Linux Professionals. Das Girl verdrehte 5000 Brainshare-Teilnehmern das Brain. Noch verdrehter eigentlich, dass eine unscheinbare Pressekonferenz in einem winzigen Raum, der nach Kartoffelbrei stank, weil tatsächlich Katoffelbrei mit Soße und Apfelkuchen serviert wurde, PR-mäßig die Novell-Show locker in den Hintergrund drängte. Und das, obwohl die Argumente längst bekannt waren. Bemerkenswert daran, dass diese improvisierte Pressekonferenz von einem Smart Mob organisiert wurde, der eine Stunde vor der Konferenz auftauchte und sich danach sofort wieder auflöste.

*** Doch was soll ich in die Ferne schweifen, wenn die allerallerbeste Nachricht vor meiner Haustür liegt und keine angeknabberte Maus ist, die die Katzen angeschleppt haben? Die CeBIT ist mit tollen Zahlen zu Ende gegangen. Allerdings erzählte die Deutsche Messe AG als Veranstalter kompletten Unsinn über die so genannten "Fachbesucher". Bewusst wird so die schlichte Tatsache unterschlagen, dass die CeBIT eine große Familienschau ist und immer war. Die CeBIT musste schon immer den Spagat zwischen dem IT-Profi und dem Endverbraucher, zwischen der Unterhaltungselektronik und der IT-Infrastruktur hinkriegen. Ohne diese Funktion, ohne ein komplettes Abbild der Branche zu geben, verliert die Messe ihre Existenzberechtigung. Supertoll und feinispitzi war diese CeBIT und am Wochenende, da war bei uns die Hölle los, als wäre heise auto schon gestartet. Aber ja, das CeBIT-Wochenende wird immer wichtiger. Nur dann kann der Mittelständler, der unter der Woche nicht aus der Firma weg kann, sich mit irgendwelchen Softwareherstellern, IT-Dienstleistern oder SAP-Entwicklern auf der CeBIT unterhalten – und dann nimmt er natürlich die Familie mit, die was Buntes sehen will. Ein Kessel Buntes, mit einem Klacks von SAP aus dem fernen Indien und den Hüpfbohlen von RTL, das ist der Ernstraue des Messelebens! Wer dabei glaubt, den Durchschnittswert des Investitionsvolumens der Besucher mit dem berechneten Mittelwert houyhnhnmsen zu können, hat Pippi Langstrumpfs Plutimikation nicht recht begriffen und steht am Ende als armer Yahoo da.

*** Wie meine Leser wissen, ist guter Journalismus ganz ohne Bären und Enten schlicht das Schreiben mit der Axt im Kopf. Fakten sind langweilig bei diesem Blowjob, eine gute Zensur ist in diesem Metier hingegen genauso wichtig wie guter Wein. Darum finden meine Leser zum Start der Sommerzeit keine Schmonzette zum 80ten Geburtstag von Martin Walser oder zum 60ten von Elton John und selbst der Triumph der Hoffnung wird ohne Jubelzeilen anderswo gefeiert werden müssen. Die europäische Ehe kann man mit Galileo und der Fingerabdruckdatenbank aller Europäerinnen feiern, doch nicht mit mir.

*** Ich feiere lieber den 200. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei in England, komplett mit allen Kanistern. Längst vergessen ist im europäischen Urheberrechtsgeplänkel die Tatsache, dass als plagiarius im alten Rom der Übeltäter genannt wurde, der den oder die Sklaven anderer Bürger stahl. Seitdem Martial im 1. Jahrhundert in seinen Epigrammen darüber jammerte, dass ein anderer Dichter seine Vers-Sklaven benutzte und diesen als Plagiator beschimpfte, leben wir mit der Debatte über das geistige Eigentum und den Diebstahl der Ideen. Passend dazu sei an Luther Ingram erinnert, der in dieser Woche gestorben ist. Um seinen Hit "If loving you is wrong" wurden einige Prozesse geführt, als weiße Interpreten die schwarze Musik verzuckerten.

*** Zu den kleinen Jubiläen abseits von Martin Elton John Walser gehört der Geburtstag von Erich Weisz, der als Harry Houdini vor allem in Deutschland als Meister aller Schlösser und Fesseln reüssierte. Seine Gebeine sollen wieder ausgebuddelt werden, weil sich allerhand spiritistischer Murks um ihn gebildet hat. Von ähnlich spiritistischer Qualität ist der geballte Unsinn, den deutsche Verschlüsselungsexperten auch diese Woche wieder zum Besten gaben, wenn es sie vor dem Kryptieren gruselte. Wenn populistische Tiefflieger wie der POP3-Beauftragte der SPD, Dieter Wiefelspütz das Märchen von der legitimen Online-Durchsuchung erzählen, bleibt nur die Frage, ob es eine Ente war oder uns die Politik einen Bären aufbinden will.

Was wird.

Die CeBIT liegt hinter uns, die Uhren sind sommerlich angezogen und die norddeutsche Tiefebene blüht auf. Lasst viele, viele Güllewagen um mich sein! Das ist nun einmal der Frühling im schweinereichsten Teil der Welt. Passend zur aromatisierten Luft fallen mir keine Messetermine ein, sondern nur ein paar Konferenzen auf unserer kleinen deutschen Farm. Mindestens die Eröffnungsveranstaltung zur IT-Fitness stinkt zum Himmel, denn was die so ungemein gemeinnützige Initiative bedeutet, wird klar wenn man die Azubi-Seite anklickt, wo die Auszubildenden noch Lehrlinge heißen und die Lehrherren über ihre Diagnoseseite alles ausschließen, was nicht von der fitten Firma Microsoft kommt, die voll uneigennützig auch die Pressesprecherin der Initiative stellt.

Schmackig kommt auch der New Media Award, bei der viraler Unsinn wie die Chad-Kroski-artige Geschichte von Ron "Baumarkt" Hammer bereits als preiswürdige Seite gilt. Gleich nach den neuen feiern die alten Medien mit dem Adolf-Grimme-Preis die deutsch-türkische Freundschaft. Doch was ist schon das wirkliche Leben, wenn die bald die Hälfte aller Menschen im Zweiten leben? 2,25 Millionen Menschen können sich doch nicht irren? (Hal Faber) / (anw)