Bundesregierung sieht keine Gefahr von Patentdickichten
Es gebe keine Anhaltspunkte für das Entstehen zu engmaschiger Innovationen behindernder Patentnetze hierzulande, heißt es in Berlin. Mittelständler protestieren derweil gegen den Patentkurs der Länder.
Die Bundesregierung hat keine Anzeichen dafür, dass sich das deutsche und europäische Patentsystem in einer Krise befinden könnte. Es bestehe ein "ausgewogenes System des Patentschutzes", das "ein Gleichgewicht zwischen Anreiz für und Diffusion von Innovationen schafft", heißt es in einer jetzt veröffentlichten Antwort (PDF-Datei) des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur "Relevanz von geistigen Eigentumsrechten für Forschung und Innovation". Auf die Schnelligkeit der Wissensverbreitung deute demnach etwa eine Bilanz zur technologischen Leistungsfähigkeit hin, wonach Deutschland exportstärkstes Land von Technologiegütern vor den USA sei. Genügend Stimuli für Erfindungen beständen auch, da die Bundesrepublik bei den Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt (EPA) in 2005 mit 23.800 Anträgen nur hinter den Vereinigten Staaten zurückgeblieben sei.
Das Wirtschaftsministerium räumt zwar ein, dass ein zu starker Patentschutz gefährlich sein könne. Es sei in Betracht zu ziehen, "dass durch die Blockade von Patentinhabern die Verbreitung von Innovationen und deren Durchbruch am Markt verhindert werden und neu gegründeten Unternehmen der Marktzutritt erschwert wird". Aus einem Mitte März durchgeführten "informellen Meinungsaustausch" zwischen Vertretern "der Wirtschaftsverbände", Patentämtern und Bundesministerien hätten sich aber keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass in Deutschland und Europa das Entstehen zu engmaschiger Netze gewerblicher Schutzrechte in Form so genannter Patentdickichte zur Verhinderung von Innovationen führe.
Festzustellen sei dagegen das Phänomen von Patenten mit zu geringer Erfindungshöhe in Einzelfällen "in praktisch jeder Branche", heißt es in der Antwort weiter. Ein gehäuftes Auftreten dieser Problematik sei jedoch nicht ersichtlich. Unabhängig davon stelle die Bundesregierung auf nationaler Ebene wie auch durch die Mitwirkung im Verwaltungsrat des EPA eine unverändert hohe Qualität der Patentprüfungen und -erteilungen sicher. Prüfer der Münchner Behörde sowie ihre Kollegen unter anderem aus den USA hatten sich allerdings jüngst in einem Brandbrief an zahlreiche Regierungen einschließlich Berlin gewandt, um auf ihre Überlastungen hinzuweisen und vor einem Überdrehen der Patentschraube zu warnen.
Dünn wird die Positionierung des Wirtschaftsministeriums, wenn es um den Nachweis des vielfach postulierten Zusammenhangs zwischen Patentschutz und Innovationskraft geht. Es gebe eine Reihe von Gutachten, "die sich wirtschaftstheoretisch mit den Anreizwirkungen von Patenten beschäftigen", schreibt die Regierung. "Belastbare empirische Untersuchungen hierzu" seien ihr aber nicht bekannt. Andererseits lägen ihr aber etwa auch keine Erkenntnisse darüber vor, dass Großunternehmen gewerbliche Schutzrechte systematisch einsetzen würden, um Forschungsaktivitäten des innovativen Mittelstands zu unterbinden. Zu beobachten sei aber eine vergleichsweise geringe Neigung kleinerer Firmen, ihr Know-how in Patente zu überführen. Man verfolge daher mit dem Förderprogramm Innovationsstimulierung (INSTI) das Ziel, bei ihnen das Wissen über gewerbliche Schutzrechte zu verbreiten und Hilfestellungen bei der Patentierung zu geben.
Mittelständler protestieren derweil gegen den Patentkurs des Bundesrates und seine Befürwortung des heftig umkämpften Streitregelungsübereinkommens EPLA (European Patent Litigation Agreement). Die Länderkammer hat dazu die Abgabe einer Stellungnahme zur Mitteilung der EU-Kommission zur "Vertiefung" des Patentsystems am morgigen Freitag geplant. "Aus unserer Sicht besonders problematisch und irreführend ist insbesondere das angebliche Interesse von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), verstärkt mit eigenen Patenten am Patentwesen teilnehmen zu wollen", heißt es in einer Eingabe (PDF-Datei) der Unternehmervereinigung patentfrei.de. Die derzeit angestrebte Harmonisierung und Vereinfachung im System gewerblicher Schutzrechte sei von einer sehr einseitigen Betrachtungsweise geprägt. Durch die derzeitigen Ansätze werde Rechtssicherheit bestenfalls nur für Patentinhaber erreicht. Der Aspekt des Schutze vor willkürlichen Verletzungsklagen, werde sträflich vernachlässigt.
Die von Bundesratsausschüssen angeführten vorläufigen offiziellen Ergebnisse der Patentkonsultation der Kommission könnten im Bereich der vermeintlichen Unterstützung des EPLA jedenfalls nicht als repräsentativ für die Position des Mittelstands gelten, schreiben die Unternehmer weiter. Gegen die Verlässlichkeit der offiziellen Ergebnisse spreche die Dokumentation von Mängeln der Befragung, die patentfrei.de als Beitrag zur europäischen Transparenzinitiative einbrachte. Darüber hinaus werde das vom EPA ausgearbeitete Streitregelungsübereinkommen von Verbänden wie dem deutschen Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) und dem europäischen Mittelstandsdachverband UEAPME entschieden abgelehnt.
Auch der juristische Dienst des EU-Parlaments halte den Beitritt von Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft zum EPLA für unvereinbar mit den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, fährt die Unternehmervereinigung weitere Geschütze gegen die Positionierung der Länder auf. Der Bundesrat möge zudem die Auffassung des EU-Parlaments teilen, dass der vorgeschlagene Text fürs EPLA im Falle eines Falles "erheblich verbessert werden müsste". Dabei gehe es insbesondere um Fragen der demokratischen Kontrolle, der Unabhängigkeit der Justiz und der Kosten für Streitigkeiten. Die EU dürfe zudem nicht "entscheidende Kompetenzen in der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung nahezu unwiderruflich aus der Hand" geben. Auch sei es notwendig, bereits vor Einrichtung einer jeglichen zentralen Patentgerichtsbarkeit die Auslegung materiellrechtlicher Bestimmungen innerhalb der Grenzen der Gemeinschaft durch legislative Maßnahmen festzuschreiben. Grundlegende europäische Rechtsnormen sollten keinesfalls durch Fallrecht der Gerichte, sondern nur durch einen politischen Prozess gesetzt werden.
Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):
(Stefan Krempl) / (anw)