US-Musikindustrie weitet Anti-Filesharing-Kampagne gegen Studenten aus
Der Verband der US-Musikindustrie verschickt seine Einladungen zu einer außergerichtlichen Einigung an 408 unbekannte Studenten an 23 US-Universitäten.
Der Verband der US-Musikindustrie hat seine Kampagne zur "Aufklärung und Abschreckung" gegen Filesharing auf weitere amerikanische Universitäten und Colleges erneut ausgeweitet. Wie die Recording Industry Association of America (RIAA) mitteilte, wurden insgesamt 408 neue Briefe mit dem Angebot einer außergerichtlichen Einigung an die Uni-Verwaltungen geschickt, mit der freundlichen Bitte, diese an die betroffenen Studenten weiterzuleiten. Die RIAA hält Filesharing an den Unis für ein ernstes Problem: Mehr als jeder zweite Student würde illegal Musik oder Filme downloaden, behauptet der Verband.
Die RIAA-Briefe gehen an die Universitäten, weil der Verband die Identität der eigentlichen Adressaten in der Regel nicht kennt. Die auch vor Gericht immer noch umstrittenen Ermittlungsergebnisse der RIAA liefern meist nicht mehr als die IP-Adresse aus dem Campus-Netz, über die angeblich ein Musikstück der RIAA-Mitgliedsunternehmen verteilt wurde. Der Verband verlangt von den Universitäten – unter Umgehung des sonst üblichen Rechtsweges mit Klage gegen Unbekannt und richterlicher Anordnung zur Identifizierung des Anschlussnutzers – den Studenten ein Angebot für eine außergerichtlichen Einigung zu übergeben. Immerhin lässt die Musikindustrie den Angeschriebenen wegen der Sommerpause etwas mehr Zeit, sich auf der eigens dafür eingerichteten Website einen Vergleich von der Stange zu holen.
Die amerikanischen Bildungseinrichtungen sind sich noch nicht einig, wie sie mit diesem von Kritikern als unseriös bewerteten Angebot umgehen sollen. Während einige Einrichtungen dem Wunsch der RIAA nicht entsprechen wollen und ihre betroffenen Studenten rechtlich beraten, geben andere bereitwillig nach. Die Universität Washington reicht die "Erpresser-Briefe", wie sie von Studenten genannt werden, an die Betroffenen weiter. Auf dem Campus der Universität von Kansas droht Studenten nun der sofortige und dauerhafte Verlust des Internetzugangs in den Wohnräumen, werden sie einmal beim Filesharing erwischt. Die Taktik der RIAA trägt also Früchte.
Die Unis geben dem Begehr der Musik-Multis auch angesichts des steigenden Drucks aus Washington nach. Die RIAA betreibt in der Hauptstadt eine durchaus erfolgreiche Lobbyarbeit und hat das Thema College-Filesharing auf die Agenda einiger Politiker gebracht. Dabei geht es für die betroffenen Universitäten auch ums Geld. So unterstützt die RIAA eine Gesetzesinitiative, nach der Universitäten ihre Netze und sonstige Infrastruktur besser gegen mögliches Filesharing absichern soll. Die Mittel dafür sollen aus dem staatlichen Beitrag zum Budget kommen. Für Kritiker ist es ein Skandal, dass die Sicherheitsinteressen der Privatwirtschaft zu Lasten des ohnehin schmalen Bildungsbudgets gehen sollen.
Dagegen warnen die Vertreter anderer Universitäten schon seit Beginn der Kampagne Ende Februar, die Bildungseinrichtungen dürften sich nicht zu Handlangern der wirtschaftlichen Interessen einer Branche machen lassen. Die amerikanischen Unis seien Orte des freien Austauschs und keine Hilfssheriffs der Musikindustrie, zumal diese Industrie den langwierigen Weg über ein ordentliches Gericht zur Durchsetzung ihrer Interessen offenbar zunehmend scheut. Dass es nicht der Job der Universitäten ist, mit eigenen Mitteln dem Sicherheitsbedürfnis der Platten-Multis zu dienen, hatten zuletzt auch zwei prominente Professoren der Harvard Law School festgestellt und sich offen für den gemeinsamen Widerstand der amerikanischen Bildungseinrichtungen ausgesprochen.
Die betroffenen Einrichtungen, fordern Charles Nesson und John Palfrey, sollten "gemeinsam deutliche Maßnahmen ergreifen und der RIAA mitteilen, sie soll sich verziehen". Die Harvard-Professoren, die den Verband schon mal mit dem gefürchteten Schulhofschläger verglichen, haben dabei gut reden, ihr Elite-Institut der Ivy League ist noch nicht ins Visier der kampfeslustigen Industrievertreter geraten. Zu groß und prominent sei die Kaderschmiede, vermutet der New Yorker Rechtsanwalt Ray Beckerman, der die RIAA aus eigener Prozesserfahrung kennt und darüber ein Blog führt. "Unglücklicherweise hat es die RIAA bisher noch nicht mit Harvard aufgenommen, und sie werden wahrscheinlich auch nie den Mut dazu haben. Sie hacken lieber auf den Schwachen und Hilflosen herum und nicht denen, die sich wehren." (vbr)