CCC veröffentlicht umkämpften Gesetz-Entwurf zu Online-Durchsuchungen
Die Hackervereinigung hat interessierten Netzbürgern den Entwurf des Bundesinnenministeriums zur Novelle des BKA-Gesetzes zugänglich gemacht; SPD-Fraktionschef Struck unterstellt Schäuble derweil "Tricksereien".
Der Chaos Computer Club (CCC) hat interessierten Netzbürgern den heftig umkämpften Entwurf (PDF-Datei) des Bundesinnenministeriums zur "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt" (BKA) im Web zugänglich gemacht. Die Hackervereinigung schreibt dazu in einer Mitteilung, dass ihr das Papier anonym zugespielt worden sei. "Wenn das BKA-Gesetz in der vorliegenden Fassung verabschiedet wird, entsteht de facto eine Geheimpolizei, wie sie in Deutschland zuletzt in der DDR existierte", sorgen sich die Sicherheitsexperten. Angesichts der sich häufenden Berichte über privaten und behördlichen Missbrauch von Überwachungsbefugnissen warnen sie zugleich davor, "dem Gesetz auch nur teilweise zuzustimmen". Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten dürfe nicht weiter ausgehöhlt werden.
Der umstrittenste Punkt des Entwurfs ist die geplante Lizenz für die Wiesbadener Polizeibehörde zu heimlichen Online-Durchsuchungen. Wie bereits berichtet, geht das Vorhaben aber noch weit darüber hinaus. "Neben den polizeilichen Standardbefugnissen werden dem BKA besondere Mittel der Datenerhebung sowie die Möglichkeit der Ausschreibung zur Polizeilichen Beobachtung und der Rasterfahndung zur Verfügung gestellt", heißt es in der Begründung. "Auch erhält das BKA durch den Entwurf Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation, zur Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten sowie zum Einsatz von technischen Mitteln zur Identifizierung und Lokalisation von Mobilfunkendgeräten, die auch bereits in etlichen Polizeigesetzen der Länder vorgesehen sind." Ebenfalls enthalten sei eine weitere Erlaubnis zum großen Lauschangriff. Dabei sei zu beachten, dass die Befugnisse nur zur Gefahrenabwehr im Rahmen der Verhütung von terroristischen Straftaten nach und zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit in diesem Zusammenhang genutzt werden dürften.
Der Entwurf behandelt nach Aussage des Innenministeriums auch "Fragen der Kennzeichnung, Verwendung und Löschung personenbezogener Daten sowie der Benachrichtigung", die "gemäß den Vorgaben der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geregelt" würden. An dieser Stelle hat der CCC aber Zweifel. "Wie es heute schon bei Telefon- und Internetüberwachung gängige Praxis ist, wird der Ausspionierte in Zukunft von der Online-Durchsuchung nur in seltenen Ausnahmefällen Kenntnis erlangen", meinen die Hacker. Dies widerspreche den rechtsstaatlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Auf heftige Kritik gestoßen sind auch die Ausführungen des Innenressorts zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung.
Der CCC bemängelt zudem, dass für Ermittlungen der praktisch unregulierte Einsatz von Observationen auch mit Hilfe technischer Mittel vorgesehen sei und Unterbrechungen bei der Berührung intimer Details nicht unbedingt erfolgen müssten. Diese Möglichkeiten würden die akustische und optische Überwachung der Betroffenen sowie den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern auch innerhalb von Wohnungen beinhalten. Zu diesem Zwecke dürften Mitarbeiter des BKA gemäß dem Papier auch Urkunden wie E-Mails anderer Behörden zur Übertragung von Trojanern verändern und fälschen.
Innerhalb der großen Koalition wird die Auseinandersetzung um die Novelle zugleich immer giftiger. SPD-Fraktionschef Peter Struck etwa hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgeworfen, sein Vorhaben zur Ausforschung "informationstechnischer Systeme" mit politischen "Tricksereien" durchsetzen zu wollen. Der CDU-Politiker versuche hinter den Kulissen, SPD-Fachleute auf seine Seite zu ziehen, um die zuständige SPD-Justizministerin Brigitte Zypries damit zu konfrontieren, monierte Struck am heutigen Freitag vor Journalisten in seinem niedersächsischen Wahlkreis Celle. Namentlich nannte er den SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz. Dieser hatte sich bereits frühzeitig für die Schaffung einer engen gesetzlichen Regelung für verdeckte Online-Durchsuchungen ausgesprochen, verweist aber inzwischen auf zahlreiche offene Fragen und die Widerstände innerhalb der Fraktion.
Struck will das heiße Thema nun zur "Chefsache" machen. Es gebe die "klare Weisung", dass es in diesem Punkt keine Regelung mit der Union geben werde, solange das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Netzbespitzelungen nicht vorliege. Der Fraktionschef wiederholte seine Ansage, dass die SPD nicht grundsätzlich gegen jede Form der Online-Durchsuchung sei. Derlei Maßnahmen müssten aber sehr begrenzt bleiben.
Proteste hagelt es derweil weiter von der Opposition. Jan Korte, Mitglied im Innenausschuss für die Fraktion der Linken im Bundestag, forderte die Koalitionsfraktionen auf, "endlich Maß zu halten und die Pläne zum BKA-Gesetz auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen". Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, warnte, der Richtervorbehalt werde komplett überflüssig, wenn die Online-Durchsuchung drei Tage lang ohne Richterbeschluss möglich sei. Dieser Zeitraum "dürfte immer ausreichen, um die Festplatte vollständig abzusuchen."
Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, legte Schäuble den Rücktritt nahe. Der Innenminister habe nicht die Terrorbekämpfung im Blickfeld. Sein Ziel sei "der normale Bürger: Er soll das Gefühl bekommen, tatsächlich dauernd vom Staat überwacht werden zu können". Bettin kritisierte, Schäuble wolle einen innenpolitischen Dammbruch herbeiführen: "Bald wird es heißen, der Bundestrojaner könne ja auch im Kampf gegen Kinderpornographie und Rechtsextremismus 'gute' Dienste leisten um die Schnüffelei dann auf Musikdownloads oder vermeintliche Hackertätigkeiten auszudehnen."
Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am Montag dieser Woche:
- Mit Unikaten gegen Straftaten
- Hickhack um Online-Durchsuchung
- Schutz und Trutz vor der Online- Durchsuchung
Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:
- Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen
- Innenministerium bezeichnet Entdeckungsrisiko für Bundestrojaner als gering
- Heimliche Online-Durchsuchungen und der Schutz der Privatsphäre
- Bundesregierung sieht sich mit Online-Durchsuchungen nicht allein
- Netzpolitik hat mittlerweile die Antworten des Bundesinnenministeriums im Wortlaut online dokumentiert: Antworten auf den Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums, Antworten auf die Fragen der SPD-Fraktion
Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:
(Stefan Krempl) / (jk)