Gezerre um heimliche Online-Durchsuchungen geht weiter
Bundes- und Landespolitiker der CDU haben Schäuble erneut Rückendeckung für seine Pläne gegeben, doch die Kritik von Seiten der SPD und der Opposition vor Eingriffen in das "Seelendepot" hält an.
Bundes- und Landespolitiker der CDU haben ihrem Parteikollegen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erneut Rückhalt für seine Pläne zu verdeckten Online-Durchsuchungen gegeben. "Der Computer darf kein rechtsfreier Raum in Deutschland sein, wenn es um die wirksame Bekämpfung von Terrorismus hier bei uns in Deutschland geht", echote CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am heutigen Montag nach einer Präsidiumssitzung in Berlin die Ansagen von CSU-Politikern vom Wochenende. Online-Razzien sollten daher rechtsstaatlich korrekt, in engen Grenzen unter richterlichem Vorbehalt sowie zeitlich befristet möglich sein. Pofalla beteuerte: "Schäuble hat unsere volle Unterstützung."
Ins gleiche Horn stieß der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU): Zum Auftakt eines internationalen Staatsanwälte-Kongresses sagte er in Dresden, angesichts der rasanten elektronischen Entwicklung müsse der Staat im Kampf gegen das Verbrechen nachrüsten: "Bei Schwerstkriminalität vor jeder Festplatte Halt zu machen, würde den Straftätern einen staats- und rechtsfreien Kommunikationsraum öffnen". Die Ausforschung "informationstechnischer Systeme" sei daher unverzichtbar, deren Auswirkungen auf die Bevölkerung seien gering. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Johannes Lichdi, tat den Appell als "hilflosen Profilierungsversuch" der Regierung des Freistaates ab. Weder sei der Bedarf an Online-Razzien bislang nachgewiesen noch seien die Probleme bei der Datengewinnung oder beim Missbrauchsschutz gelöst.
Abweichler gibt es aber auch innerhalb der CDU. So deklarierte der Unionsvertreter Michel Friedmann in einem Video-Statement auf Watch Berlin in Bezug auf die geplante Ausforschung privater PCs: "Hände weg von meinem Ich". Seiner Ansicht nach "hat der Staat so wenig wie möglich vom Bürger zu wissen". Dies betreffe nicht nur Online-Razzien, sondern etwa auch die umstrittene Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten oder die einheitliche Steuernummer.
SPD-Parteichef Kurt Beck forderte in dem anhaltenden Streit mit der Union derweil ein Entgegenkommen des Koalitionspartners. Er halte das Vorhaben Schäubles wirklich für falsch, unterstrich er im ARD-Morgenmagazin. Bei Wohnungs- oder Online-Durchsuchungen müsse weiterhin ein Verdacht sowie eine richterliche Anordnung gegeben sein. Zudem sei jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, sich im Rahmen rechtzeitiger Benachrichtigungen über erfolgte Bespitzelungsmaßnahmen rechtlich zur Wehr zu setzen. Ganz wollte sich Beck aber nicht gegen den so genannten Bundestrojaner positionieren. Die verdeckten Überwachungen von Computern müssten vielmehr unter rechtsstaatlich einwandfreien Bedingungen möglich sein. Im Detail unterscheidet sich die Haltung der beiden Regierungsfraktionen folglich nur noch in der Definition der zu beachtenden rechtsstaatlichen Kriterien.
Skeptisch zeigte sich auch FDP-Parteichef Guido Westerwelle. "Brauchen wir neue Gesetze, brauchen wir neue Befugnisse für die Polizei oder brauchen wir möglicherweise mehr Kraft bei den Ermittlern selbst?", fragte der Liberale in einem Interview mit dem Nachrichtensender n-tv. Seine Partei sei der zweiten Auffassung. "Es ist unverhältnismäßig, wenn der Staat mit getarnten E-Mails plötzlich jeden Computer von jedem Bürger privat zu Hause durchsuchen kann", betonte Westerwelle. "Und zwar nicht nur bei Menschen, die grob verdächtig sind, sondern einfach mal auf Verdacht werden alle hier verdächtigt."
Als scharfer Gegner von Online-Razzien meldete sich erneut Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum zu Wort. Gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte der FDP-Politiker, dass er in der Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen bei Schäuble als Verfassungsminister die nötige Sensibilität für die Grundrechte vermisse. Er wehre sich dagegen, "dass der Staat künftig mit einem einzigen Zugriff ein vollständiges Bild von meinen Neigungen, Gewohnheiten machen kann". Bei einer Festplatte handle es sich quasi um ein "Seelendepot", und deshalb sei der geplante Eingriff so schwerwiegend. Zudem gebe es bereits ausreichend Möglichkeiten, die Telekommunikation auch im Internet zu überwachen. Der Schutz der verfassungsrechtlichen Grundrechte hänge dagegen nicht davon ab, wie viele Menschen von Netzbespitzelungen betroffen wären.
Im Gespräch mit Zeit Online erläuterte Baum seine Bedenken weiter. Insbesondere vermisst er in den Vorschlägen Schäubles "die praktikablen Mechanismen für den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung". Seine Erfahrung sei, dass einmal eingeführte Befugnisse für die Strafverfolger eine Eigendynamik entwickeln und sich ausweiten würden. "Das haben wir bei der Telefonüberwachung erlebt." Durch die Änderung des BKA-Gesetzes würden nach Ansicht des Liberalen die Unverletzbarkeit der Wohnung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Berufsfreiheit etwa von Anwälten und auch die Pressefreiheit verletzt.
Baum rechnet sich ferner gute Chancen aus, dass das Bundesverfassungsgericht Online-Durchsuchungen im Rahmen einer von ihm mit initiierten Beschwerde gegen die nordrhein-westfälische Lizenz zur Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz kippt. Das entsprechende Gesetz sei "so schludrig gemacht, dass es aus meiner Sicht keinen Bestand haben kann. Bei dem, was Schäuble gemacht hat, steckt mehr Substanz drin. Aber die reicht meiner Ansicht nach nicht aus, um den Grundrechtsverstoß zu vermeiden."
Zum aktuellen Stand der Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen privater PCs siehe:
- Koalition vertagt Beratungen zu Online-Razzien
- CCC veröffentlicht umkämpften Gesetz-Entwurf zu Online-Durchsuchungen
- Experten zweifeln an Verfassungskonformität des "Bundestrojaners"
- Schäuble und CSU weisen Kritik am "Bundestrojaner" zurück
- Breite Ablehnung der Pläne Schäubles zu Online-Durchsuchungen
- Kritische Stimmen in der Debatte zu Online-Durchsuchungen
- BKA-Chef: "Maximal zehn" Online-Durchsuchungen im Jahr
- SPD-Sprecher: Debatte um Online-Durchsuchungen noch ganz am Anfang
Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am vergangenen Montag:
- Mit Unikaten gegen Straftaten
- Hickhack um Online-Durchsuchung
- Schutz und Trutz vor der Online- Durchsuchung
Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom vergangenen Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:
- Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen
- Innenministerium bezeichnet Entdeckungsrisiko für Bundestrojaner als gering
- Heimliche Online-Durchsuchungen und der Schutz der Privatsphäre
- Bundesregierung sieht sich mit Online-Durchsuchungen nicht allein
- Netzpolitik hat mittlerweile die Antworten des Bundesinnenministeriums im Wortlaut online dokumentiert: Antworten auf den Fragenkatalog des Bundesjustizministeriums, Antworten auf die Fragen der SPD-Fraktion
Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:
(Stefan Krempl) / (vbr)