SPD will "letztes Gespräch" über verdeckte Online-Durchsuchungen führen

Nach den Festnahmen der drei Terrorverdächtigen hat die Union den Druck auf den Koalitionspartner massiv erhöht, rasch eine Befugnis für Online-Durchsuchungen zu schaffen. Doch die Genossen wollen nicht einlenken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 554 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Stefan Krempl

Nach den Festnahmen der drei Terrorverdächtigen hat die Union im neu angefachten Streit um heimliche Online-Durchsuchungen den Druck auf den Koalitionspartner massiv erhöht, rasch eine Befugnis für Netzbespitzelungen zu schaffen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble erneuerte inzwischen seine Forderung nach der Lizenz fürs Bundeskriminalamt (BKA) zur Ausforschung "informationstechnischer Systeme": Da Terroristen übers Internet immer besser vernetzt seien, müsse es "in eng begründeten Ausnahmefällen" die Möglichkeit geben, Festplatten und andere Speicherplattformen heimlich auszuspähen, sagte der CDU-Politiker in der ARD. Zugleich mahnte er aber auch: "Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen. Wir können darauf vertrauen: Die Sicherheitsbehörden leisten gute Arbeit." Schäubles Staatssekretär August Hanning sieht die Gefahr aber nicht gebannt: Ihn beunruhigt der bleibende "Auftrag" für Islamisten, hierzulande Anschläge durchzuführen. Sein Blick richtet sich aufs Internet, da darüber die Szene kommuniziere und "indoktriniert" werde.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) sprach in der Welt seine Erwartung aus, dass die geplante Sonderkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern "noch in dieser Woche einen Beschluss zu Online-Durchsuchungen fasst". Die Festnahmen hätten gezeigt, dass die Behörden dringend das neue Fahndungsinstrument heimlicher Online-Razzien bräuchten. Beckstein ist sich sicher: "Wir hätten mit der Möglichkeit von Online-Durchsuchungen zusätzliche Erkenntnisse gewinnen können." Zudem wäre die Polizei schneller ans Ziel gekommen. Weiter machte sich der designierte bayerische Innenminister dafür stark, "Topgefährder" in einer "kleinen, gut zu überwachenden Kommune" zu internieren und ihnen ein "Internet- und Handyverbot" aufzuerlegen. Becksteins brandenburgischer Kollege Jörg Schönbohm (CDU) hielt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in der Netzeitung zugleich "Starrsinn" vor, weil sie sich weiter skeptisch gegenüber Netzbespitzelungen äußerte.

SPD-Fraktionschef Peter Struck sieht sich trotz der Schelte in seiner Zurückhaltung gegenüber dem sogenannten Bundestrojaner hingegen derzeit bestätigt: "Der Erfolg der Fahndungsbehörden zeigt, dass solche terroristischen Aktivitäten im Frühstadium erstickt werden können, ohne die von Schäuble massiv geforderten weiteren Instrumente wie die Online-Durchsuchung." Es bleibt bei der Position seiner Partei: "Es wird jetzt mit der SPD keine Befugnis zur Online-Durchsuchung geben." Zunächst solle ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Frage abgewartet werden. Im Lichte der Karlsruher Entscheidung sei dann zu prüfen, "unter welchen rechtsstaatlichen Bedingungen eine Online-Durchsuchung möglich ist oder nicht". Struck kündigte an, dass er gemeinsam mit Zypries, Schäuble, Unions-Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer in der kommenden Woche "ein letztes Gespräch" über den Entwurf Schäubles zur umkämpften Novelle des BKA-Gesetzes und der darin enthaltenen Befugnis für Netzbeschnüffelungen führen werde.

Auch der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy wertet die Inhaftierungen als Beweis, "dass wir eine gut funktionierende Sicherheitsarchitektur haben". Es sei "schäbig", dass Teile der Union versuchten, dies parteipolitisch zu instrumentalisieren, sagte der Leiter des Innenausschusses des Bundestags der Thüringer Allgemeinen. In einem weiteren Interview machte sich er für die personelle Verstärkung deutscher Sicherheitsbehörden stark, wie es auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt. Diese seien "derzeit zum Beispiel nicht in der Lage, alle Gefährder zu observieren". Geduld in der Debatte um Online-Durchsuchungen mahnte der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Karl-Peter Bruch (SPD), an. Eindeutig gegen das Instrument sprachen sich zudem Oppositionspolitiker aus.

In der Wissenschaft sind die Ansichten zu Online-Durchsuchungen ebenfalls weiter geteilt. Für nötig erachtet sie Kai Hirschmann vom Essener Institut für Terrorismusforschung. Das Internet sei heute die virtuelle Universität des Dschihad, sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung. "Darauf müssen die Ermittler reagieren." Der Terrorismusexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, warnte dagegen vor einer Überbewertung von Online-Durchsuchungen: "Herkömmliche Arbeit durch verdeckte Ermittler und enge Kontakte in die militante Szene sind viel wichtiger als technische Überwachungsmaßnahmen." Besorgt stimmt ihn aber, dass es sich um Täter ausländischer Nationalität direkt aus Deutschland handle.

Die FAZ will derweil Informationen haben, wonach die Attentatspläne auch dank Online-Razzien ausländischer Geheimdienste aufgeflogen seien. Dem Blatt zufolge "hatten die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht zuletzt wegen der technischen Online-Möglichkeiten anderer Dienste die Chance, den mutmaßlichen Terroristen auf der Spur zu bleiben". Bisher hieß es, dass das auffällige Verhalten der ausgemachten "Gefährder" beim Ausspionieren möglicher Zielobjekte selbst die Fahnder auf die Spur gebracht habe.

Die Union hat derweil auch andere bereits ins Spiel gebrachte Maßnahmen zur Terrorabwehr wiederbelebt. Schäuble sprach sich so ein weiteres Mal dafür aus, den Aufenthalt in Terror-Ausbildungslagern unter Strafe zu stellen. Unterstützung erhielt er vom Unions-Vize Wolfgang Bosbach (CDU). Er forderte die rasche Schaffung eines Straftatbestandes für so genannte terroristische Vorbereitungshandlungen. Das betreffe "insbesondere die Bereiche Ausbildung in einem Terrorlager und das Verbreiten von Anleitungen zum Bombenbau via Internet oder in anderer Form".

Führende Unionspolitiker unter Einschluss des Bundesvorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder, stellen zudem in der FAZ klar: "Wir unterstützen nachdrücklich die Sicherheitspolitik von Wolfgang Schäuble und Günther Beckstein mit ihrem Ziel, dass unsere Sicherheitsbehörden auf gleicher Augenhöhe mit den Feinden der Freiheit operieren können. Online-Durchsuchungen, Videoüberwachung gefährdeter Orte, die Nutzung biometrischer Daten, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren und eine DNA-Datei für alle Straftäter sind notwendige Instrumentarien, um auf eine veränderte Bedrohungslage zu reagieren."

Siehe dazu in Telepolis:

Zum aktuellen Stand der Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen privater PCs siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz am vergangenen Montag:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen vom vergangenen Wochenende im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe den Online-Artikel in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) / (jk)