Große Unterstützung für Demo gegen den "Überwachungswahn"
Neben dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung rufen inzwischen knapp 50 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien besorgte Bürger auf, am 22. September gegen eine "ausufernde Überwachung" in Berlin auf die Straße zu gehen.
Neben dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung rufen inzwischen knapp 50 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien besorgte Bürger auf, am 22. September gegen eine "ausufernde Überwachung durch Wirtschaft und Staat" in Berlin auf die Straße zu gehen. Zu den bisherigen Unterstützern der Demonstration unter dem Motto "Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!" (etwa des Chaos Computer Clubs (CCC), FoeBuD, STOP1984 und der Humanistische Union) sind nach Angaben der Organisatoren weitere Gruppen wie Journalistenverbände, die Gewerkschaft ver.di, das gewerkschaftsnahe LabourNet, die Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge oder der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) gekommen. Einmal mehr ins Visier genommen haben die Aktivisten insbesondere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seine Pläne zu heimlichen Online-Durchsuchungen: "Wir werden nicht zulassen, dass Schäuble uns auf der privaten Festplatte herumschnüffelt oder unsere Anrufe und Emails zählt", betont Constanze Kurz vom CCC.
Im Rahmen der Online-Aktion "Schäuble-Eselsohr" demonstrieren auch hunderte Blogger und Homepagebetreiber begleitend im WWW gegen den Ausbau staatlicher Kontrollstrukturen. Vor Ort bei dem Protestzug dabei sein wollen ferner mit dem Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, der Berliner FDP-Fraktion, der Linkspartei der Hauptstadt, den Jungen Liberalen, der Grünen Jugend, den Jusos, der ÖDP und der Piratenpartei zahlreiche politische Gruppierungen. Stark vertreten sind ebenfalls ärztliche Vereinigungen wie die Freie Ärzteschaft, der Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands oder die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Dem Thema "Gläserner Patient" soll dabei während des Marschs ein eigener Wagen gegen die elektronische Krankenakte beziehungsweise die Gesundheitskarte mit Speicherchip gewidmet sein.
Aus Sicht des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung als Initiator des Aufrufs ist es höchste Zeit, gegen "permanente Verschärfungen von Sicherheits- und Überwachungsgesetzen und für die Bewahrung der Grundrechte auf die Straße zu gehen". Die Demonstration wendet sich unter anderem gegen die geplante sechsmonatige Aufzeichnung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung, gegen Biometrie und RFID-Chips in Ausweisen und Pässen, gegen die Speicherung von Krankheitsbefunden auf zentralen Servern und gegen die zunehmende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes. "Die Vorratsdatenspeicherung ist vehement abzulehnen, weil sie einen völlig ungerechtfertigten Eingriff in die Privatsphäre der Bürger in der Europäischen Union darstellt und diese alle unter den Generalverdacht des Terrorismus, der Schwerstkriminalität und der Mitgliedschaft in kriminellen Vereinigungen stellt", begründet Hans-Jörg Kreowski, Vorsitzender des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) die Mitwirkung an der Demonstration.
Um möglichst vielen Menschen die Teilnahme an der Kundgebung zu ermöglichen, hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Sonderbusse von Bremen, Hamburg, Bielefeld und Mainz aus organisiert. Tickets können ab sofort bestellt werden. Mit dem Song "Grundrechtsterror" (MP3-Datei) vom Projekt "Bundestag United" ist zudem bereits eine "Hymne" für die Demonstration entstanden, die sich mit Hilfe von Sprachausschnitten unter anderem von Schäuble kritisch mit aktuellen Überwachungsvorhaben der Regierung beschäftigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel erkennt darin etwa an, dass die Kriminalitätsängste in der Bevölkerung irrational seien, schlägt jedoch als Gegenmaßnahme noch mehr Überwachung vor. Am Ende des Liedes warnt der Strafrechtsprofessor Peter-Alexis Albrecht eindringlich vor dem "Wahnsinn" der "Allmacht einer Exekutive, die keinerlei verfassungsrechtliches Gewissen mehr hat".
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kann die Aufregung dagegen nicht verstehen. Die von ihr federführend betreute Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung halte "Sicherheit auf rechtsstaatlich hohem Niveau", erklärte die SPD-Politikerin im Rahmen der laufenden Haushaltsdebatten am gestrigen Dienstag im Bundestag. Mit dem Gesetz werde auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf dem niedrigstmöglichen Niveau umgesetzt. Die Verlängerung der Vorhaltung von Informationen wie "wer wann wie lange mit wem telefoniert hat und wer Mails verschickt oder empfangen hat" von drei auf sechs Monaten sei eine hinnehmbare Einschränkung. Zypries erwähnte dabei nicht, dass bei der Nutzung von Pauschaltarifen beim Internetzugang momentan eine Pflicht zur raschen Löschung der Verbindungsdaten einschließlich IP-Adresse besteht und auf die Netzprovider gravierende Änderungen zukommen. (Stefan Krempl) / (jk)