"Arbeitswelt im digitalen Zeitalter": Firmen sollen durch IT erreichte Automatisierungsdividende abtreten
Lothar Schröder von ver.di und Hackerin Constanze Kurz plädieren dafür, die Produktivitätszuwächse durch die digitale Wirtschaft aufzuteilen. Die digitale Arbeitswelt dürfe nicht nur von "Solo-Selbständigkeit" und prekären Verhältnissen geprägt sein.
Gewerkschaftler und Aktivisten waren sich auf dem Kongress "Arbeitswelt, Selbstbestimmung und Demokratie im digitalen Zeitalter" am Mittwoch in Berlin einig, dass die digitale Arbeitswelt nicht nur von "Solo-Selbständigkeit" und prekären Verhältnissen geprägt sein muss. Durch die Vernetzung sei in der Wirtschaft ein "irrsinniger gesellschaftlicher Produktivitätszuwachs entstanden", konstatierte Lothar Schröder, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands. "Dessen Umverteilung würde sich lohnen."
Skaleneffekte
Allein WhatsApp habe als kostengünstige Alternative zur SMS gigantische Skaleneffekte geschaffen und eine unglaubliche Wertschöpfung generiert mit rund 50 Beschäftigten, führte Schröder aus, der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Telekom ist. Zusammengenommen stellten sich in der Internetbranche und den mit dem Netz arbeitenden Unternehmen große Gewinne ein, über deren Nutzung und Verbleib zu diskutieren sei.
Ganz ähnlich warf auch Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) die Frage auf, "was wir mit der Automatisierungsdividende machen". Diesen Aspekt müssten die Gewerkschaften spätestens im nächsten Wahlkampf stärker beackern. Das Personal ganzer Firmen werde mittlerweile automatisiert und durch Software ersetzt bis hin zur Entscheidungsfindung auf Managementebene, erklärte die Co-Autorin des Buchs "Arbeitsfrei". Das "Coole an Technik" sei aber, "dass wir sie auch in unserem Interesse nutzen können". In der Gestaltungs- und Verteilungsdebatte sei nur darauf zu achten, "dass kommerzielle Lobbyisten nicht die Oberhand gewinnen".
Konflikte um betriebliche Daten
Nur rosig sieht Schröder die schöne neue Arbeitswelt aber nicht. "Wir werden künftig Herrschaftskonflikte in den Betrieben um Daten führen.". Die Digitalisierung stehe zudem für eine "Totalisierung des Zählbaren". Firmen, Standorte oder Prozesse würden so ständig miteinander verglichen.
Entsprechendes "Benchmarking" sei bereits soweit verbreitet, dass immer mehr Individuen Opfer von Scoring-Werten würden und sich zumindest einer Vorauswahl durch Algorithmen unterwerfen müssten. Dies treibe immer mehr Effizienz und Effektivität in die Arbeitswelt hinein.
"Technik ist nicht zwangsläufig"
Autonome Systeme bildeten die technische Basis für den umgreifenden digitalen Wandel, beleuchtete der Berliner Informatikprofessor Wolfgang Coy die Entwicklung näher. Roboterautos etwa prophezeit er aber zumindest hierzulande vorerst keine große Zukunft: "Sie stoßen auf die Mauer der Straßenverkehrsordnung." Zudem wollten die Deutschen lieber selbst fahren, als gefahren zu werden. Die "oliv angezogene Truppe" sei ein größerer Interessent für autonome Systeme in Form von "Kampdrohnen oder Killerbots".
In IT-Trends wie Big Data konnte Coy wenig Neues erkennen. So habe es schon bei den früheren datengestützten Expertensystemen geheißen: "Die Algorithmen machen das schon." Social Media tat er als "arbeitsplatznahe Überwachung oder Datendiebstahl" ab. Der eigenen Zunft redete der Informatiker ins Gewissen, "sichere Systeme zu bauen". Diese dürften nicht tun, was sie nicht tun sollten, und müssten in einem Höchstmaß verfügbar sein. Insgesamt sei Technik nicht zwangsläufig, sondern es gebe diverse Einflussmöglichkeiten. (jk)