Bruce Sterling will Deutschland in der NSA-Affäre wachrütteln
Der Science-Fiction-Autor sieht Deutschland als "Zentrum der Aufklärung" in der NSA-Affäre. Hierzulande sei das Verständnis für die Gefahren aufgrund der Geschichte stärker ausgeprägt.
Für den Cyberpunk-Autor Bruce Sterling hängt die weitere Entwicklung der NSA-Affäre stark davon ab, wie sich die Bundesrepublik zur umfassenden Internetspionage der USA und ihrer Partner stellt. "Was wirst du tun, Deutschland?", versuchte der ergraute Texaner seine Zuhörer bei der Konferenz "Einbruch der Dunkelheit " am gestrigen Samstag in Berlin aufzurütteln. Jeder einzelne hierzulande müsse sich diese Frage stellen, konstatierte er auf der Tagung, die sich Fragen der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle widmet.
Berlin ist für ihn "das Zentrum der Aufklärung heute". Die Menschen hier verstünden aus ihrer historischen Erfahrung heraus die Dunkelheit viel besser als die NSA. Es gebe zwar auch Zeichen der "Unzufriedenheit" mit dem technischen Geheimdienst in den USA selbst. So hätten etwa "die üblichen Verdächtigen" für den 11. Februar unter dem Motto "The Day We Fight Back" zu Protestaktionen aufgerufen. In Deutschland und gerade in der Hauptstadt träten die Probleme der modernen Zivilisation aber noch viel klarer ins Bewusstsein als jenseits des Atlantiks.
Die "Lampe des Diogenes", mit der der altgriechische Philosoph laut Erzählungen auch bei Tageslicht nach einem ehrlichen Menschen gesucht haben soll, hält mittlerweile nach Ansicht Sterlings die Bundesrepublik in der Hand. Es sei nun an der Zeit, diese empor zu strecken und etwa die Details der von der NSA korrumpierte informationstechnischen Komponenten, die Hintertürchen sowie den "schwarzen Code" zu beleuchten.
Unterstützte die Bundesregierung etwa freie Software oder Bitcoin, könne Deutschland die Welt in diesen Bereichen anführen, meinte Sterling. Die deutsche Politik und Industrie gäben aber vor, weiter im Dunkeln zu wandeln und forderten höchstens die Aufklärung des Geheimdienstskandals. Dies sei diplomatisch und ökonomisch der bequemste Weg.
Aber die Ereignisse der friedlichen Revolution und des Mauerfalls 1989 seien auch nicht von oben "reguliert" oder gar von Brüssel "verabschiedet" worden, mahnte der Kritiker zu mehr Eigeninitiative. Wie viele Edward Snowdens die hiesigen Beobachter noch abwarten wollten, bevor sie handelten, fragte Sterling in die Runde. Der NSA-Whistleblower sei auch kein "Supermensch", sondern "in Eurem Alter".
Dem Auditorium stellte Sterling den Aufruf zahlreicher Kollegen gegen die totale Kommunikationsüberwachung durch die NSA als Vorbild dar. Vielleicht bräuchten die Tagungsteilnehmer mehr solche Denker und Schreiber. Er sei zunächst erstaunt gewesen, dass das Manifest im Wesentlichen auf eine Gruppe von Autorinnen um Juli Zeh zurückgehe. Sie habe sich zur Spitze einer internationalen Kampagne für Menschenrechte entwickelt.
Der Autor sparte parallel nicht mit Bonmots, wonach etwa die Sicherheitsgesellschaft auch nicht sicherer als der Kommunismus kommunal gewesen sei. Für die NSA warb er fast ein wenig um Verständnis. Dabei handle es sich nicht nur um "Geeks", sondern letztlich um eine "okkulte Gruppe, die zwanghaft ihre seltsamen Rituale verfolgt". Es handle sich um eine auf Tradition bedachte Einrichtung, die fürchte, in der vernetzten Welt irrelevant zu werden.
Zudem versuchte Sterling dem Publikum klarzumachen, dass es sein gewohntes Internet nach dem NSA-Sündenfall nicht mehr zurückbekommen werde. In der Diskussion mit der Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz und der Piratin Marina Weisband zeigte er wenig Verständnis dafür, dass Facebook von einem gewissen "Nützlichkeit-Argument" profitieren sollte. Er verglich das Gefährdungspotenzial des sozialen Netzwerks mit dem der Atomkraft. Ohne Hoffnung wollte er die Anwesenden aber nicht ziehen lassen: "GeoCities ist tot, Facebook wird tot sein, auch Google, Apple und die NSA wird es noch zu Euren Lebzeiten nicht mehr geben." Alle diese Kräfte würden ersetzt durch Dinge, "für die wir noch keine Namen haben". (ck)