Bund will Staatstrojaner selbst entwickeln
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für die sogenannte Quellen-TKÜ beim Bundeskriminalamt (BKA) an.
Nach massiver Kritik am Einsatz der umstrittenen Spionage-Software will der Bund künftig die Technik zur Überwachung selbst entwickeln. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte am Donnerstag die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für die sogenannte Quellen-TKÜ beim Bundeskriminalamt (BKA) an.
Die Bundesländer seien eingeladen, sich daran zu beteiligen, sagte Friedrich nach einer Telefonkonferenz mit seinen Kollegen aus den Ländern. Er betonte, dass die Überwachung von Internet-Kommunikation im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität unverzichtbar bleibe. Darüber hinaus soll bis zur nächsten Innenministerkonferenz ein Vorschlag für ein Expertengremium vorgelegt werden, das die bisher benutzte Software von privaten Anbietern überprüft und zertifiziert.
Über die Kosten dieser Maßnahmen machte Friedrich keine Angaben, betonte aber: "Wir werden sicher zusätzliche Experten einstellen müssen." Der Minister reagierte damit auf Forderungen von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), aber auch aus den Ländern, die umstrittene Software zur sogenannte Quellen-TKÜ nicht allein privaten Herstellern zu überlassen.
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte nach der Konferenz: "Wir werden selbstverständlich weiter sicherstellen, dass wir mit einer entsprechenden Software ausschließlich den rechtlich vorgegebenen Rahmen nutzen." Vorangegangen war heftige Kritik an den Sicherheitsbehörden, weil die eingesetzte Software angeblich auch für erheblich weitergehende Überwachungsmaßnahmen genutzt werden kann. Auf den Quellcode der von ihnen in mehreren Fällen eingesetzten Software haben die Behörden nach eigenen Angaben aber bislang zum Zeitpunkt ihres Einsatzes keinen Zugriff.
Allerdings veröffentlichte der CCC mittlerweile zumindest den Binärcode des in Bayern eingesetzten Trojaners. Dies könnte nach einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung rechtswidrig gewesen sein. Das Blatt beruft sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Es erscheine "nicht ausgeschlossen", dass die Veröffentlichung eine Strafvereitelung sein könnte, heißt es darin. Aus Sicht des Gutachtens könnten sich Kriminelle gegen die Software schützen, seit der CCC den Quellcode vor knapp zwei Wochen veröffentlich hatte. Der Richter und Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer vertritt dazu allerdings eine ganz andere Ansicht: Rechtlich könne dies nicht überzeugen, denn eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung nach § 258 StGB würde direkten Vorsatz voraussetzen, die Bestrafung Dritter zu verhindern. "Die handelnden Personen müssten also gewollt oder als sicher vorausgesehen haben, dass konkrete Ermittlungen gefährdet werden." Zudem: "Eine Strafvereitelung liegt darin aber schon deshalb nicht, weil die mit dieser Software erhobenen “Beweise” ohnehin strafprozessual unverwertbar sein dürften, sodass aus ihrer Nichterhebung auch kein Schaden für die Strafverfolgung entsteht."
Siehe dazu:
- Staatstrojaner sorgen für Schlagabtausch im Bundestag
- Bundesregierung: Nur rechtskonforme Staatstrojaner im Einsatz
- Kaspersky entdeckt neue Staatstrojaner-Version
- Justizministerin lobt den CCC
- Staatstrojaner: Mehr als 50 Einsätze bundesweit
- Staatstrojaner: Bundesinnenminister verteidigt den Einsatz und greift CCC an
- Niedersachsen wechselte Lieferanten des Staatstrojaners aus
- Staatstrojaner: Dementis, Rätselraten und Nebelkerzen
- Staatstrojaner-Hersteller Digitask: Entwickler für besondere Aufgaben
- Einsatz des Staatstrojaners: Zwischen fehlendem Rechtsrahmen und Verfassungswidrigkeit
- Bayern stoppt vorerst Einsatz des Staatstrojaners
- Bayerntrojaner auch in Baden-Württemberg und Brandenburg
- Staatstrojaner: Eine Spionagesoftware, unter anderem aus Bayern
- Staatstrojaner: Von der "rechtlichen Grauzone" zur Grundrechtsverletzung
- CCC knackt Staatstrojaner, Aufdeckung des Chaos Computer Clubs um den "Bundestrojaner"
- Parteien fordern Aufklärung des Skandals um Staatstrojaner
- CCC entlarvt Bundestrojaner und Sicherheitspolitik: Trotz des Urteils des Verfassungsgerichts ist der Bundestrojaner genau das Monstrum des Überwachungsstaates geworden, wie Kritiker dies prophezeit haben.
- Chaos Computer Club analysiert Staatstrojaner, Erkärung des CCC mit Link zu den Binaries des Regierungstrojaners
- Analyse einer Regierungs-Malware, Bericht des CCC über die Code-Analyse des Regierungstrojaners
- Anatomie eines digitalen Ungeziefers, CCC-Sprecher Frank Rieger in der Sonntags-FAZ über die Analyse des Regierungstrojaners
- O’zapft is: Überwachungsrepublik Deutschland, Blogposting von Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht
- Netzpolitik-Interview: Ulf Buermeyer über den Staatstrojaner
- Andreas Pfitzmann, Markus Hansen, Windei Bundestrojaner, c't 25/08, S. 86 (Online-Artikel)
- Richter Ulf Buermeyer, Prof. Dr. Matthias Bäcker, Zur Rechtswidrigkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung auf Grundlage des § 100a StPO, HRRS (Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtssprechung im Strafrecht), Oktober 2009
(mit Material von dpa) / (jk)