Copyright- gegen Patent-Anwälte: 0:2
Fast schon skuril anmutende Rechtsstreitigkeiten: Patentanwälte fertigten immer wieder Kopien von Artikeln an, die in wissenschaftlichen Publikationen des John-Wiley-Verlags erschienen sind. Sie nutzten die Artikel auch in Patentanträgen.
Der US-Verlag John Wiley zeiht mehrere Patentanwälte der Urheberrechtsverletzung und hat mindestens drei Gerichtsverfahren angestrengt. In zwei Verfahren gibt es bereits vorläufige Entscheidungen, wonach Wiley in erster Instanz verlieren dürfte. Anlass der Verfahren ist die Kopiertätigkeit der beklagten Anwaltskanzleien. Sie fertigen immer wieder Kopien von Artikeln an, die in Wileys wissenschaftlichen Publikationen erschienen sind.
Diese Kopien sind häufig elektronisch, werden bisweilen aber auch ausgedruckt. Sie werden intern benutzt sowie an Kollegen oder Klienten weitergegeben. Vor allem aber nutzen die Anwälte die Kopien für Patentanträge in den USA, Europa und anderswo, um den Stand der Wissenschaft darzulegen (Stichwort "Prior Art").
Wiley sieht durch die Kopien und deren Gebrauch sein Copyright verletzt und führt deswegen Gerichtsverfahren gegen Anwälte in Texas (3:12-cv-1230), Minnesota (0:12-cv-00528) und Illinois (1:12-cv-1446). Das US-Patentamt ist den Verfahren beigetreten und unterstützt die beklagten Kanzleien.
Mindestens neun Anwaltskanzleien haben Lizenzen gekauft, um Wiley-Artikel kopieren zu dürfen. Nicht jedoch die Beklagten. Und das müssen sie laut dem Bezirksgericht von Minnesota auch nicht. Denn die Kopiertätigkeit verletze zwar die Rechte der Kläger, sei aber durch die "Fair Use"-Doktrin nach US-Bundesrecht gerechtfertigt.
Bei Fair Use wird in einem vierstufigen Test überprüft, ob eine nicht genehmigte Verwendung urheberrechtlich geschützten Materials dennoch zulässig ist. Es kommt auf den Zweck der Nutzung an – kommerziell, nichtkommerziell oder für Bildung –, sowie auf die Art des Werks, die genutzten Ausschnitte im Vergleich zum Gesamtwerk und schließlich die Auswirkungen auf den potenziellen Markt für das Werk.
Der assistierende Richter Jeffrey J. Keyes am Bundesbezirksgericht von Minnesota hat die Fair Use-Verteidigung anerkannt. Patentanwälte seien nicht die Zielgruppe der Magazine und die Verwendung der Kopien in Zusammenhang mit Patentverfahren sei eine verändernde Nutzung. Die Patentanwälte hätten für ihre Zwecke auch die gesamten Artikel kopieren müssen. Zudem hätten die Kläger keine Beweise vorgelegt, wonach der traditionelle Markt für ihre Publikationen beeinträchtigt werde.
Auch der Umstand, dass die Kopiervorlagen bis auf eine Ausnahme nicht gekauft, sondern anderswo heruntergeladen wurden [meist von einem passwortgeschützten Bereich der Website des US-Patentamts, Anm. der Red.], schade nicht. Überhaupt fördere die Tätigkeit der Patentanwälte den "Fortschritt der Wissenschaften und nützlichen Künste" [–] und genau das sei der in der US-Verfassung festgeschriebene Zweck des Copyright.
Auch die texanische Richterin hat Fair Use in einer mündlichen Verhandlung bestätigt, die schriftliche Ausfertigung ihrer Entscheidung folgt erst. Das Verfahren in Illinois befindet sich noch in einem früheren Stadium.
Im März hatte Wiley vor dem US Supreme Court ein langjähriges Verfahren verloren. Der Verlag hatte einen Studenten verklagt, der Wiley-Bücher unter dem in den USA üblichen Preis über eBay verkauft hatte. Die Bücher waren außerhalb der USA gedruckt und für den asiatische Markt bestimmt gewesen. Verwandte des Studenten hatten sie in Thailand gekauft und in die USA geschickt. Im Gegensatz zur vorangegangenen Instanz hielt das Höchstgericht fest, dass der Erschöpfungsgrundsatz des Copyright auch für im Ausland hergestellte Bücher gilt. (jk)