Die IETF und die NSA-Affäre: Das politische Gewissen der Internet-Standardisierer rührt sich

In der Internet Engineering Task Force rührt sich das politische Gewissen und die Ansicht, man müsse als Techniker eine politische Verantwortung wahrnehmen – insbesondere nach den Enthüllungen um die Internet-Spionage von US- und anderen Geheimdiensten.

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Debatten über den Layer acht und darüber – so nennen Internetexperten scherzhaft politische Fragen – waren in der Internet Engineering Task Force (IETF) bislang verpönt. Auf dem 88. Treffen der Standardisierungsorganisation in Vancouver warnten aber nun zahlreiche Entwickler davor, netzpolitische Fragen völlig anderen zu überlassen.

Noch fehlt es der IETF an Verfahren für die eigene Meinungsbildung, das macht es ihr schwierig, sich in die hektischen Diskussionen über die NSA-Spähaffäre auf internationaler Ebene einzumischen. IETF-Vorsitzender Jari Arkko sagte, die IETF müsse sich wohl mehr einmischen: "Wir müssen mehr mit der Welt sprechen."

Da, wo die Entwickler klare gemeinsame Überzeugungen hätten, wie bestimmte Fragen im Netz geregelt werden sollten, müsse die IETF oder deren Peergremium, das Internet Architecture Board (IAB), diese Überzeugungen in die Debatte einbringen, sagte Arkko in einer eigens in Vancouver anberaumten Sitzung zum Thema Internet Governance. Er hatte kürzlich für die IETF am Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen in Bali teilgenommen und war dort ein gefragter Redner in den Debatten über die Ausspähung von Internetnutzern durch US- und andere Geheimdienste.

Die Ausspähaffäre könnte die im kommenden Jahr anstehenden Konferenzen über die Verwaltung von Netzressourcen und neue Spielregeln im Netz maßgeblich beeinflussen, befürchten viele. Gleich drei hochrangige Konferenzen bieten viel Raum, netzpolitisch so einiges umzukrempeln. Die zentrale US-Aufsicht über die DNS-Rootzone sowie die dort hinterlegten Schlüssel für DNSSEC sind vielen Regierungen ein Dorn im Auge. Im Nachfolgeprozess zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft der Vereinten Nationen und in der Generalversammlung der Internationalen Fernmeldeunion geben vor allem Regierungen den Ton an, auf dem von der brasilianischen Regierung für Mai kurzfristig angekündigten Internetgipfel soll es offener zugehen, versicherte ein Vertreter des brasilianischen Telecom-Regulierers Anatel in Vancouver.

Die IETF als Community müsse angesichts des geänderten Klimas eine klare Vorstellung davon entwickeln, welche Spielregeln sie haben will, riet Andrew Sullivan, DNS-Experte bei Dyn, der Arkko mit einer kleinen Gruppe von IETF-Teilnehmern nach Bali begleitet hatte. "Wenn wir das nicht tun, entscheiden andere über unseren Kopf hinweg", sagte Sullivan.

Auch die Schwesterorganisationen der IETF, allen vor allem die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), haben die Flucht nach vorne angetreten. ICANN-Chef Fadi Chehade hatte sich Brasiliens Gipfel-Initiative einfach angeschlossen. Gleichzeitig hatten die ICANN, die Internet Society (ISOC) und die IP-Adressverwalter in einer Erklärung die Rootaufsicht durch die USA wieder auf die Agenda gesetzt. Mitunterzeichner der Montevideo-Erklärung ist auch das IAB. In Vancouver riet daher der ehemalige IAB-Vorsitzende Olaf Kolkman dazu auf, einen Prozess aufzusetzen, der die Vertretung der IETF-Gemeinschaft in solchen Belangen auf demokratische Füße stellt.

Vorerst gibt es IETF-typisch erst einmal nur eine kleine Mailingliste. Niemand glaubt aber, dass sie ausreicht, wenn Arkko auf dem diplomatischen Parkett für die Organisationen sprechen will.

Bislang hatte die Organisation stets unwirsch auf Vorstöße ihrer Spitze in "Layer-8-Sphären" reagiert. Mehrere Teilnehmer in Vancouver appellierten dabei inständig an die "Techies", diese Haltung aufzugeben. Lynn St. Amour, Noch-Präsidentin der ISOC, verwies auf das Ansehen der technischen Community, auch bei vielen Regierungen. Mit dem Pfund müsse man auch wuchern. (anw)