Erdbebenkatastrophe in Japan: Nachbeben und ein AKW auĂźer Kontrolle [8. Update]

In Japan gibt es mittlerweile ĂĽber 15.000 Tote und Vermisste, ĂĽber 500.000 Menschen sind obdachlos. Das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist auĂźer Kontrolle, KĂĽhlungsversuche und Arbeiten an der Stromversorgung gehen weiter.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3479 Kommentare lesen
Lesezeit: 22 Min.
Von
  • JĂĽrgen Kuri

In Japan gehen die Behörden davon aus, dass nach Erdbeben der Stärke 9,0 und dem folgenden Tsunami die Opferzahlen noch steigen werden; bislang sind über 10.000 Menschen tot oder vermisst. Über 500.000 Menschen in Japan sind obdachlos. Nachbeben und neue Beben erschüttern zudem einzelne Regionen des Landes immer wieder. Zuletzt bebte am heutigen Dienstag die Erde in Zentraljapan in der Präfektur Shizukoa mit einer Stärke von 6,4 – dabei kann es sich aber um ein eigenständiges neues Beben, nicht um ein Nachbeben gehandelt haben. Google hat einige Satellitenbilder zusammengestellt, die mit Davor- und Danach-Aufnahmen das Ausmaß der durch das Erdbeben ausgelösten Katastrophe demonstrieren.

Mittlerweile gibt es auch immer mehr Informationen über die globalen Auswirkungen auch auf einzelne Branchen wie die IT- und Halbleiterindustrie. In Deutschland gibt es bereits Reaktionen der Politik auf die atomaren Notfälle in Japan: Die Bundesregierung beschloss ein Moratorium von drei Monaten für die gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke. Insgesamt sechs ältere Kraftwerke sollen in dieser Zeit vom Netz; alle deutschen Kraftwerke würden einer erneuten Sicherheitsprüfung unterzogen, danach werde man weitere Entscheidungen treffen.

Die Situation im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist nach dem Beben, der Flutwelle und des anfangs durch den Stromausfall bedingten Versagens der Kühlsysteme praktisch außer Kontrolle. In einem Status-Report vom 16.3. 00:48 japanischer Zeit (15.3., 16:48 mitteleuropäischer Zeit) stellte die Nachrichtenagentur Kyodo die Situation der Reaktoren im Kraftwerk Fukushima Daiichi dar. In Reaktor 1 hat es eine partielle Kernschmelze gegeben; bei Reaktor 2 ist das primäre Containment beschädigt, dies hält mittlerweile auch die UN-Atomaufsichtsbehörde IAEA für möglich. In Reaktor 3 wird eine partielle Kernschmelze befürchtet, es gab stark erhöhte Radioaktivitätsmesswerte; in Reaktor 1 bis 3 wird Meerwasser zur Kühlung eingeleitet.

Bei Reaktor 4 hat es ein Feuer nach einer Wasserstoffexplosion am Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente gegeben, es gibt die Befürchtung, dass das Kühlwasser im Abklingbecken kocht und der Wasserspiegel sinkt; Radioaktivität wurde direkt in die Atmosphäre freigesetzt. Tokyo Electric Power erklärte zuletzt, die Brennstäbe seien mittlerweile möglicherweise freigelegt. Der Kraftwerksbetreiber will versuchen, durch die durch die Explosion verursachten Löcher im Kraftwerksgebäude Wasser zur Kühlung einzuleiten, es war auch schon davon die Rede, mit Hubschraubern des japanischen und US-amerikanischen Militärs Wasser über dem Reaktor abzulassen. In den Reaktoren 5 und 6 des Kraftwerks soll es mittlerweile ebenfalls steigende Temperaturen in den Abklingbecken geben. Die japanische Regierung hat zumindest nun die Anordnung herausgegeben, den Reaktor 4 ebenfalls mit Wasser zu fluten, um zu verhindern, dass sich die Brennstäbe im Abklingbecken weiter aufheizen.

Die Radioaktivität in den kritischen Reaktoren und ihren Kontrollräumen ist allerdings bereits so stark angestiegen, dass Mitarbeiter nicht mehr in den Kontrollräumen arbeiten könnten. Sie wurden zurückgezogen und versuchen nun, von einer entfernten Kontrollstelle aus die Daten der Reaktoren zu überwachen und Gegenmaßnahmen zu unternehmen.

Laut IAEA wurde am Haupttor des Kraftwerks Fukushima Daiichi um 1 Uhr mitteleuropäischer Zeit 11,9 Millisievert pro Stunde gemessen. Um 7 Uhr mitteleuropäischer Zeit war die gemessene Strahlung auf 0,6 Millisievert pro Stunde gefallen. Direkt zwischen den Reaktoren 3 und 4 war zeitweise eine Dosis von 400 Millisievert pro Stunde gemessen worden; dabei habe es sich aber um eine lokal begrenzte Strahlungsdosis gehandelt. Laut IAEA ist aufgrund der natürlichen Radioaktivität in der Umwelt für jeden Menschen eine Dosis von 2,4 Millisievert pro Jahr normal; laut den aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Strahlenschutz liegt die derzeitige Dosis in Deutschland auch in den stärksten von natürlicher Strahlung betroffenen Gebieten unter 0,2 Mikrosievert pro Stunde.

Derzeit wird in Fukushima Daiichi (Fukushima 1) immer noch versucht, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen – was in diesem Fall praktisch wohl nur heißt, zu versuchen, Meerwasser in die Reaktoren zu pumpen, um weitere Kernschmelzen zu verhindern. Die kritische Situation wird aber auch dann noch Tage, wenn nicht Wochen anhalten. Im Kraftwerk Fukushima Daini (Fukushima 2) ist nach Angaben des Betreibers und der IAEA die Lage dagegen unter Kontrolle, die Notabschaltung hat funktioniert und die Brennstäbe werden derzeit ausreichend gekühlt. Ähnliches gilt derzeit nach den vorliegenden Informationen auch für andere Atomkraftwerk, die in einem der von Erdbeben und Flutwelle betroffenen Gebiete liegen. Allerdings ist die Informationspolitik der Kraftwerksbetreiber sehr undurchsichtig – mittlerweile spricht immerhin Tokyo Electric Power von einer "sehr schlimmen Lage". In der Bevölkerung macht sich nach Berichten in japanischen Medien Wut darüber breit, nicht ausreichend mit Informationen versorgt zu werden. Auch die japanische Regierung kritisierte die Konzerne bereits ungewöhnlich scharf.

[1. Update (16.3., 9:10): Ein weiteres schweres Beben von Stärke 6 hat die Region Kanto am Mittwochnachmittag japanischer Zeit getroffen. In den von den Beben betroffenen Regionen seien mittlerweile 26.000 Menschen gerettet worden, teilte der japanische Premierminister mit. Die Zahl der Toten und Vermissten als Folge der Katastrophe stieg mittlerweile auf über 11.000. 1,6 Millionen Haushalte sind in Japan als Folge der Katastrophe weiterhin ohne Wasserversorgung.

Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi gab es laut der japanischen Aufsichtsbehörde Nuclear and Industrial Safety Agency (NISA) um 10:40 japanischer Zeit (2:40 mitteleuropäischer Zeit) einen scharfen Anstieg der Radioaktivität auf 10 Millisievert pro Stunde. Innerhalb von 30 Minuten sei die Radioaktivität auf 2,7 Millisievert pro Stunde gesunken; gegen 11:00 japanischer Zeit war der Wert aber wieder auf 3,4 Millisievert pro Stunde gestiegen. Der Kraftwerksbetreiber geht laut NISA davon aus, dass dieser Anstieg durch den stark beschädigten Reaktor 2 in dem Kraftwerk verursacht wurde.

Im Reaktor 3 wurde am Mittwochmorgen japanischer Zeit eine Rauch- oder Dampfwolke beobachtet, deren Ursache Tokyo Electric Power nicht feststellen konnte. Betreiber und Aufsichtsbehörde gehen mittlerweile davon aus, dass das primäre Containment des Reaktors beschädigt ist. Der Kraftwerksbetreiber geht zudem davon aus, dass im Reaktor 1 70 Prozent der Brennstäbe beschädigt sind, im Reaktor 2 33 Prozent. In beiden Reaktoren soll es eine partielle Kernschmelze gegeben haben. Im Reaktor 4 gibt es immer noch Schwierigkeiten, das Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe mit ausreichend Kühlwasser zu versorgen. Laut japanischen Medien stieg die Temperatur auf 89°C, rund das doppelte der normalen Kühltemperatur. Auch die Abklingbecken in den Reaktoren 5 und 6 sollen erhöhte Temperaturen aufweisen. Die Reaktoren 4, 5 und 6 waren zur Zeit des Erdbebens für reguläre Wartungsarbeiten heruntergefahren.

Zerstörte Reaktorgebäude in Fukuschima Daiichi (links: Reaktor 3, in der Mitte Reaktor 4

(Bild: Tokyo Electric Power / Kyodo News)

Tokyo Electric Power hat mittlerweile Bilder der beschädigten Reaktoren freigegeben, die das Ausmaß der bereits existierenden Zerstörungen an den Reaktorgebäuden zeigen.

Wegen der gestiegenen Radioaktivität seien alle noch verbliebenen 50 Mitarbeiter von Tokyo Electric Power vorübergehend evakuiert worden, mittlerweile sollen sie aber wieder die Rettungsversuche im Kraftwerk aufgenommen haben, berichten unter anderem die japanische Nachrichtenagentur Kyodo und der japanische Fernsehsender NHK. Der Kraftwerksbetreiber hat mittlerweile die Versuche aufgenommen, Reaktoren mittels Hubschraubern aus der Luft mit Wasser zu kühlen – die eingesetzte Technik erinnert an die Methoden zur Waldbrandbekämpfung. Allerdings sollen Hubschrauber nach Angaben von NHK nur sehr kurz über dem Reaktor kreisen können, um die Besatzung nicht zu hoher Strahlenbelastung auszusetzen.]

[2. Update (16.3., 10:25): Nach Angaben des japanischen Regierungssprechers Yukio Edano laufen derzeit die Vorbereitung, um Reaktor 4 wieder direkt mit Meerwasser zu kühlen. Die Versuche mit den Hubschraubern wurden offensichtlich abgebrochen. Edano versuchte auch, die Bevölkerung zu beschwichtigen: Es gebe keine unmittelbaren Gesundheitsrisiken in der Umgebung des Kraftwerks Fukushima Daiichi. Zuvor schon hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO betont, es gebe keine Hinweise für eine globale Verbreitung erhöhter Radioaktivität. Gerüchten über eine bedrohliche radioaktive Wolke, die sich bereits über Asien ausbreite, müsse entschieden entgegengetreten werden.]

[3. Update (16.3., 13:00): Die französische Regierung, bislang nicht gerade als Kritikerin der Atomkraft aufgefallen, hat alle Franzosen in Japan aufgefordert, das Land zu verlassen. Laut der britischen Tageszeitung Guardian erklärte Industrieminister Eric Besson: "Lassen Sie uns nicht um den heißen Brei herumreden. Sie haben eindeutig die Kontrolle verloren. Das ist unsere Analyse, nicht das, was die japanischen Behörden sagen."

Mittlerweile will auch die französische Regierung alle Atomkraftwerke im Lichte der Ereignisse in Japan überprüfen lassen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy möchte ein G20-Treffen einberufen, um das weitere Vorgehen im Energiesektor nach der Katastrophe im dem japanischen Atomkraftwerk zu diskutieren. Sarkozy betonte aber, dass Frankreich natürlich weiter auf Atomkraft zur Energieversorgung setze.

Bereits am gestrigen Dienstag hatte die französische Nuklearaufsichtsbehörde erklärt, sie Stufe die Vorfälle in Fukushima Daiichi auf der internationalen Skala zu nuklearen und radiologischen Vorfällen (INES) unter 6 (serious accident) ein. Der Atomunfall in Tschernobyl war auf der höchsten Stufe 7 eingeordnet worden, der Unfall in Harrisburg (Three Mile Island) auf Stufe 5.

Nachdem die Kühlung mit aus Hubschraubern über die Reaktoren transportiertem Wasser wegen der hohen Strahlung nicht klappte, gibt es, neben den Versuchen, die Einleitung von Meerwasser im Kraftwerk wieder ausreichend zu gewährleisten, neue Pläne. So soll möglicherweise versucht werden, mit Wasserwerfern der japanischen Polizei Wasser an den äußerst kritischen Reaktor 4 zu bringen, um die Brennstäbe im Abklingbecken ausreichend zu kühlen. Solche Vorhaben demonstrieren deutlich, dass der Kraftwerksbetreiber und die Mannschaft vor Ort die Kontrolle praktisch vollständig verloren haben.]

[4. Update (16.3., 16:10): Nach den offiziellen Angaben der japanischen Behörden sind nach dem Erdbeben und des Tsunamis am Freitag nunmehr 4.255 Todesfälle bestätigt, weitere 8.194 Menschen werden noch vermisst. Die Situation für die Überlebenden (rund 500.000 Menschen sind obdachlos, etwa 1,5 Millionen Haushalte von der Wasserversorgung abgeschnitten) ist aber nicht nur wegen der Folgen von Beben und Flutwelle sowie der Angst vor radioaktiver Verseuchung katastrophal: Die Wetterbedingungen setzen ihnen zusätzlich zu. Zwar weht der Wind derzeit in eine Richtung, die mögliche radioaktive Kontamination aufs Meer treibt; die Temperaturen in vielen Gebieten liegen aber nur wenig über 0°C, in der Nacht fallen sie teilweise unter den Gefrierpunkt. Zudem schneit es in einigen Gegenden ab und zu.

Der japanische Regierungssprecher erklärte mittlerweile, in Reaktor 3 des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi sei zumindest der Reaktordruckbehälter nicht ernsthaft beschädigt. Die Situation in den Reaktoren bleibt aber weiter extrem kritisch, in Reaktor 1 geht man von einer partiellen Kernschmelze aus, in Reaktor 2 wird das Gleiche befürchtet. In Reaktor 3 ist die Situation weitgehend unklar, es wird aber ebenfalls eine partielle Kernschmelze angenommen; im Laufe des Tages wurde Radioaktivität freigesetzt. Die Mitarbeiter des Kraftwerksbetreibers, die noch vor Ort sind, kämpfen nicht nur mit der Kühlung der Reaktoren 1 bis 3, sondern auch weiter damit, ausreichende Kühlung für das Abklingbecken von Reaktor 4 zu gewährleisten, in dem abgebrannte Brennstäbe gelagert werden. Sollte dies nicht gelingen, könnte hier besonders starke radioaktive Kontamination der Umgebung ausgelöst werden. Auch die erhöhten Temperaturen in den Abklingbecken der Reaktoren 5 und 6 sind offensichtlich noch nicht im Griff; das Abklingbecken in Reaktor 3 bereitet ebenfalls Probleme.]

[5. Update (16.3., 18:20): Das japanische Atomindustrie-Forum hat eine neue Status-Übersicht zu den Reaktoren in den Atomkraftwerken Fukushima Daiichi und Fukushima Daini herausgegeben, die die Situation um 19 Uhr japanischer Zeit (13 Uhr mitteleuropäischer Zeit) im Detail beschreibt.

Danach sind in den Reaktoren 1 bis 3 von Fukushima Daiichi der Kern beziehungsweise die Brennstäbe beschädigt; das Containment von Reaktor 1 ist nicht beschädigt, bei Reaktor 2 und 3 werden Beschädigungen angenommen. In den Reaktoren 1 und 3 liegen die Brennstäbe zur Hälfte frei, in Reaktor 2 steige der Wasserstand nach einer vollständigen Freilegung der Brennstäbe wieder. In den Abklingbecken von Reaktor 3 und 4 sei der Wasserstand zu niedrig, die Zufuhr von Wasser werde vorbereitet. Die Brennstäbe im Abklingbecken von Reaktor  4 seien wahrscheinlich beschädigt. Die Gebäude von 1, 3 und 4 seien schwer beschädigt, das von Reaktor 2 immerhin leicht. Bei Reaktor 5 und 6 steige zwar die Temperatur in den Abklingbecken, aber die Reaktoren seien sonst unter Kontrolle.

Am Rand des Kraftwerks Fukushima Daiichi wurde um 14:30 japanischer Zeit (6:30 mitteleuropäischer Zeit) eine Strahlendosis von 1,937 MilliSievert pro Stunde gemessen. Am Kraftwerk Fukushima Daini, von dem keine Störungsberichte vorliegen, betrug die gemessene Radioaktivität um 12 Uhr japanischer Zeit (4 Uhr mitteleuropäischer Zeit) 0,029 MilliSievert pro Stunde.]

[6. Update (17.3., 9:30): Die japanischen Streitkräfte schütten derzeit wieder mit Hubschraubern Wasser auf die Reaktoren 3 und 4 von Fukushima Daiichi, um die Abklingbecken zu kühlen, in denen die verbrauchten Brennstäbe gelagert werden. Die ersten Flüge über die Reaktoren fanden um 10:15 japanischer Zeit (2:15 mitteleuropäischer Zeit) statt, berichtet der japanische Fernsehsender NHK, der auch Bilder von dem Einsatz zeigt. In Reaktor 3 verdampft Wasser aus den Abklingbecken, in Reaktor 4 steigen die Temperaturen in den Abklingbecken wieder. Zusätzlich soll auch mittels Wasserwerfer versucht werden, die Abklingbecken in Reaktor 4 zu kühlen. Die Schwierigkeiten mit den Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe kommen zu den Problemen mit den Reaktoren hinzu, in mindestens zwei der sechs Reaktoren des Atomkraftwerks ist es zumindest zu einer partiellen Kernschmelze gekommen; der Druck in Reaktor 3 beispielsweise steigt derzeit wieder. Mitarbeiter des Kraftwerkbetreibers Tokyo Electric Power vor Ort, die sich hohen Strahlungsdosen aussetzen, versuchen unter anderem mit der Kühlung der Reaktoren mit Meerwasser die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Auf einen Aufruf von Tokyo Electric Power für Freiwillige zum Einsatz im Kraftwerk haben sich nach japanischen Medienberichten bereits 20 Personen gemeldet.

Am Donnerstagnachmittag (japanischer Zeit) will Tokyo Electric Power die Arbeiten aufnehmen, um die Stromversorgung von Hochspannungsleitungen in der Nähe des Kraftwerks zu den Reaktoren zu führen. Damit sollen die normalen Kühlsysteme im Kraftwerk wieder in Gang gebracht werden, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen – derzeit ist das Kraftwerk praktisch außer Kontrolle. Die gemessene Radioaktivität am Kraftwerk selbst sowie in den Dörfern und Städten der Umgebung von Fukushima Daiichi bleibt stark erhöht.

Gleichzeitig verkündete der Kraftwerksbetreiber, die Arbeiten an dem Ausbau eines Kraftwerks in der Präfektur Aomori einzustellen. Auch China, das ein ehrgeiziges Programm zum Ausbau der Kernenergienutzung betreibt, verkündete, man werde die Genehmigung neuer Atomkraftwerke aussetzen. Auch die Vorbereitungsarbeiten bei schon genehmigten neuen Kraftwerken würden gestoppt, berichtet die BBC. Alle Kraftwerke, die in Betrieb oder in Bau sind, sollen angesichts der Erfahrungen mit der japanischen Katastrophe einer neuen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Derweil kommt das von der deutschen Bundesregierung verkündete Moratorium für die Laufzeitverlängerung der hierzulande betriebenen Atomkraftwerke – über das momentan der Bundestag debattiert – unter Druck: Einen Aussetzungsbeschluss kann die Regierung für ein vom Parlament beschossenes Gesetz nicht einfach verfügen, sie spricht daher mittlerweile von einem "politischen Moratorium". Die Energieversorger wittern daher schon wieder Morgenluft: Sie machen Front gegen die Beschlüsse der Bundesregierung und überlegen, ob sie gegen die Stilllegung von sieben älteren Atomkraftwerken klagen sollen. Hohe Schadensersatzforderungen für solche Stilllegungsbeschlüsse seien möglich, hieß es.

In Japan erklärte die Polizei, die Zahl der Toten und Vermissten sei auf über 14.000 gestiegen. Die offizielle Zahl der Toten gaben die japanischen Behörden mit über 5000 an.]

[7. Update (17.3., 12:50): Die UN-Atomaufsichtsbehörde IAEA hat einige Daten zu den Temperaturen in den Abklingtanks veröffentlicht, die die kritische Situation illustrieren. Nach diesen Angaben wird die Temperatur in Abklingtanks, in denen die abgebrannten Brennstäbe aufgrund der sich entwickelnden Restwärme noch gekühlt werden müssen, im Normalfall unter 25°C gehalten. Dazu müssen die Abklingbecken permanent gekühlt werden. Nach den Daten, die der IAEA vorlagen, erreichte die Temepratur des Abklingbeckens bei Reaktor 4 bis 15.3., 11:00 mitteleuropäischer Zeit 84°C, für den 16.3. liegen keine Daten vor. Im Abklingbecken von Reaktor 6 stieg die Temperatur vom 14.3. 11:08 bis 16.3. 6:00 von 59,7°C auf 62,7°C, bei Reaktor 6 von 58°C auf 60°C.

Laut IAEA gab es unter den Menschen, die im AKW Fukushima Daiichi arbeiten, mehrere durch die direkten Auswirkungen der Situation verletzte und radioaktiv kontaminierte Personen. Damit ist noch keine Aussagen getroffen über mittel- und langfristige Schäden der Mitarbeiter durch die Arbeit in den Bereichen, in denen erhöhte Radioaktivität gemessen wird.

Nach den Hubschraubern und den Wasserwerfern (deren Einsatz laut NHK noch ausgebaut werden soll und die durch Löschfahrzeuge des Militärs ergänzt wurden) plant das japanische Militär zusätzlich, Löschflugzeuge einzusetzen, wie sie auch zur Waldbrandbekämpfung verwendet werden. Sie sollen wie die Hubschrauber Wasser zur Kühlung der Reaktoren und Abklinbecken über das Kraftwerk schütten. Allerdings berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo um 20:37 japanischer Zeit (12:37 mitteleuropäischer Zeit) unter Berufung auf Informationen des Kraftwerksbetreibers Tokyo Electric Power, nach dem Einsatz der Wasserwerfer sei die gemessene Radioaktivität im Kraftwerk selbst gestiegen. Möglicherweise wurde durch die Wasserstrahlen radioaktives Material in der Umgebung der Abklingbecken verteilt. Zuvor hatte NHK über die Radioaktivität in der weiteren Umgebung des Kraftwerks berichtet, sie liege beispielsweise in Fukushima City, 65 km entfernt vom AKW, bei 13,9 MikroSievert pro Stunde.]

[8. Update (17.3., 16:30): Der aktuelle Statusreport des japanischen Nuklearforums von 22:00 japanischer Zeit (14 Uhr mitteleuropäischer Zeit) weist die Brennstäbe der Reaktoren 1, 2 und 3 als beschädigt aus, sie liegen bis zur Hälfte frei. Das Kühlwasser in den Abklingbecken der Reaktoren 3 und 4 ist auf ein niedriges Niveau gesunken. In den Abklingbecken der Reaktoren 5 und 6 steigt das Wasser weiter. Ein weiterer Bericht beschreibt die einzelnen Aktionen, um zumindest bei Reaktor 3 das Abklingbecken wieder mit Wasser zu füllen; dazu gehörten Wasserabwürfe per Hubschrauber, der Einsatz eines Polizeiwasserwerfers (der nicht nahe genug herankam) sowie von Löschwagen des Militärs, die 30 Tonnen Wasser in den Reaktor spritzten. Ob die Aktion von Erfolg gekrönt war, werde noch untersucht. Zumindest ist laut Angaben von Tokyo Electric Power die Radioaktivität im Kraftwerk nicht dauerhaft weiter gestiegen, eine entscheidende Besserung der Situation scheint sich aber auch nicht ergeben zu haben.

Der Kraftwerkbetreiber hofft, dass die Arbeiten zur Wiederherstellung der Stromversorgung, um die eigentlichen Kühlsysteme des Kraftwerks wieder in Betrieb zu nehmen, noch in dieser Nacht abgeschlossen werden können (eigentlich wollten die Techniker dies am Donnerstagabend japanischer Zeit geschafft haben, in Japan ist es bereits nach 00:00 am 18.3.). Derzeit heißt es, die Stromleitung von den Hochspannungsleitungen in der Nähe des Kraftwerks zum Kraftwerk sei installiert, man müsse aber noch weitere Arbeiten vornehmen, um die Stromversorgung tatsächlich zu realisieren. Ob die Kühlsysteme wieder angefahren werden können oder aber Pumpen, Rohrleitungen oder Ventile bereits irreparabel beschädigt sind, wird sich allerdings erst nach erfolgter Etablierung der Stromversorgung herausstellen.

Die Situation in Japan nach dem Erdbeben und der Flutwelle ist allerdings auch ohne ein außer Kontrolle geratenes AKW für die Betroffenen katastrophal. In einigen Teilen der von Beben und Tsunami getroffenen Gebiete harren die Menschen ohne intakte Wasser- und Stromversorgung in teilweise bitterer Kälte aus; es kommt zu großen Versorgungsengpässen, da die Menschen alle Nahrungsvorräte durch die Katastrophe verloren haben, Hilfslieferungen aber aufgrund der zerstörten Infrastruktur nur schwer zu den Betroffenen gelangen. Die Zahl der Toten ist nach offiziellen Angaben inzwischen auf fast 5.700 gestiegen, die Zahl der Vermissten auf über 9.500.]

Siehe zum Erdbeben in Japan und der Entwicklung danach auch:

Zu den technischen Hintergründen der in Fukushima eingesetzten Reaktoren und zu den Vorgängen nach dem Beben siehe:

  • Japan und seine AKW, Hintergrund zu den japanischen Atomanlagen und zum Ablauf der Ereignisse nach dem Erdbeben in Telepolis
  • Der Alptraum von Fukushima, Technology Review zu den Ereignissen in den japanischen Atomkraftwerken und zum technischen Hintergrund.
  • 80 Sekunden bis zur ErschĂĽtterung in Technology Review
  • Dreifaches Leid, Martin Kölling, Sinologe in Tokio, beschreibt in seinem, Blog auf Technology Review, "wie ein Land mit der schlimmsten Katastrophenserie der Menschheitsgeschichte umgeht".
  • Mobilisierung im Netz: Auch in der Katastrophenhilfe ist das Internet zu einem mächtigen Instrument geworden, auf Technology Review

(jk)