GDC: Train bringt Spieler zum Weinen
Wie kann man den Holocaust als Spiel darstellen? Brenda Brathwaite zeigt mit Train, dass Spiele weder lustig sein noch Spaß machen müssen, um Menschen zu bewegen.
Der Holocaust gehört sicherlich zu den sensibelsten Themen, denen man sich in der Kunst annähern kann. Spiele gelten gemeinhin als Unterhaltungsmittel. Wie kann also die aus Irland stammende Spieldesignerin Brenda Brathwaite bloß auf die Idee kommen, ein Spiel über den Holocaust zu machen? "Spiele müssen nicht immer lustig sein. Bei Train fangen die Spieler an zu weinen", sagt sie. Train ist kein Computerspiel und es ging auch nie in Massenproduktion oder wurde von einem Publisher veröffentlicht. Von Train existieren nur drei Exemplare, die von Brenda Brathwaite in mühevoller Kleinarbeit hergestellt wurden. Zum Spiel gehören drei Züge auf Schienen, die auf einem zerbrochenen Fensterrahmen platziert werden und 60 gelbe Holzfiguren. "Jede Figur steht für 100.000 Menschen." Erst am Ende des Spiels erfährt der Spieler, wohin die Reise geht. Dann dreht er die Zielkarten um, auf denen die Namen von Auschwitz und anderen Konzentrationslagern zu lesen sind.
Jede der Figuren hat Brenda Brathwaite selbst gedrechselt und eingefärbt, die Schienen und Züge selbst gebastelt: "Ich wollte nicht den einfachen Weg gehen und Modelleisenbahnschienen nehmen. Wenn man jedes Detail mit den eigenen Händen modelliert, bekommt man eine sehr enge Verbindung zum Spiel." Selbst die Regeln hat sie auf einer originalen mechanischen Schreibmaschine aus dem Dritten Reich getippt. Neun Monate hat es gedauert, bis Train fertig war.
Brathwaite achtet auf jedes Detail. Die Wagons sind etwas zu niedrig für die Figuren, sodass man sie übereinanderstapeln muss. "Anfangs pferchten die Spieler sie einfach nur hinein, als sie aber mitbekamen, worum es in dem Spiel geht, gingen sie mit jeder einzelnen sehr vorsichtig um." Bei ihren Präsentationen des Spiels fangen Spieler immer wieder an zu weinen. Sie wollen nicht die Züge bis zum Ende in die KZs fahren, sondern vorher anhalten, die Figuren aus den Zügen räumen und freilassen. Sie fingen an, die Glasscheiben der Fensterunterlage zu zerschlagen. "Es geht darum, ob die Spieler einfach nur den auf einer Nazi-Schreibmaschine getippten Regeln folgen, oder sich ihnen widersetzen und das Spiel umgestalten." Allerdings habe sie es nie erlebt, dass ein Spieler das Spiel abgebrochen hat.
Die Reaktionen auf Train waren zunächst kontrovers. Menschen, die das Spiel nur oberflächlich betrachteten, beleidigten Brenda Brathwaite persönlich. Auf der anderen Seite bekam sie von Spieldesignern sehr viel Zuspruch. Mitglieder aus der jüdischen Gemeinde dankten ihr dafür, dass sie mit Train ein sehr wichtiges Werk zur Aufarbeitung des Holocaust geschaffen habe.
Auf die Frage, warum Train nur die Verfolgung der Juden, nicht aber auch die Vernichtung der Sinti und Roma, Homosexuellen, Kommunisten und Andersdenkenden thematisiere, antwortete Brathwaite, dass sie sich auf einen Aspekt konzentrieren wolle, aber bereits über Modifikationen mit andersfarbigen Figuren nachgedacht habe. Verfolgung und Vertreibung sind ein Thema, dem sich die Spieldesignerin seit Jahren mit immer neuen Konzepten annähert. So hat sie ein Irish Game geschaffen, das von der Emigration der Iren in die USA handelt und auf Grasmatten und Jutesäcken gespielt wird. Ihr Spiel "The new World" behandelt die Sklavenverschleppung nach Amerika. Der Spieler muss braune Figuren auf Schiffen über den Atlantik fahren. Weil aber zu wenig Essen an Bord ist, wird er vor die moralische Frage gestellt, ob er Menschen über Bord werfen soll, damit die anderen nicht verhungern. Für ihr neuestes Spiel "Trail of Tears" hat sie 50.000 Holzfiguren gefertigt und rot bemalt. Mit ihnen will sie den Genozid an den Indianern nachspielen. (hag)