GTA V: Ein modernes Sodom und Gomorrha
Am heutigen Dienstag kommt mit Grand Theft Auto V eine der größten Spielproduktionen der vergangenen Jahre in den Handel. Das angeblich eine viertel Milliarde Dollar teure Konsolenspiel schaut tief in den Abgrund der US-Gesellschaft.
Während alle Welt auf den Verkaufsbeginn der neuen Generation an Xbox- und Playstation-Konsolen wartet, bekommen die "alten" Geräte dieser Tage hochkarätigen Nachschub, der Spieler bis weit über die Weihnachtstage hinweg fesseln könnte. Grand Theft Auto V soll nach Angaben des Herstellers Rockstar Games mit einem Budget von rund einer viertel Milliarde US-Dollar das bislang teuerste Videospiel sein. Die Kosten dürften die Macher aber spielend wieder reinholen. Vom fünf Jahre alten Vorgänger konnte Haus-Publisher Take 2 Interactive immerhin über 20 Millionen Exemplare absetzen.
Grand Theft Auto V verlegt die Handlung des Vorgängers, der in einer von New York inspirierten Ostküsten-Stadt spielte, an die sonnige Westküste. Im Spiel heißt die Metropole Los Santos und wurde dem großen Los Angeles nachempfunden. Nicht nur die Stadt, sondern auch die Küsten und Berglandschaften kann der Spieler nach eigenem Gusto unsicher machen. Aber GTA V ist nicht einfach nur ein größerer Sandkasten, in dem sich die Spieler austoben können. Rockstar hat auch die bisherigen Schwächen der Serie ausgebügelt und orientiert sich bei seiner Art, Geschichten zu erzählen nun an der Struktur von Fernsehserien. Statt einem abendfüllenden Gangster-Epos wie "Scarface" ähnelt die Geschichte um die drei ungleichen Gangster nun eher der Verquickung mehrerer Fernsehserien von Breaking Bad über die Sopranos bis Sons of Anarchy, durch die der Spieler frei zappen und abwechselnd in die Rolle der Protagonisten schlüpfen kann.
GTA V (6 Bilder)
Doch anders als die TV-Sender scheren sich die Macher um keinen Jugendschutz, sondern bringen ihre oftmals satirische und entlarvende Sicht auf die amerikanische Gesellschaft ungefiltert auf den Konsolenbildschirm. Egal ob Drogen, Sex oder Gewalt: die Autoren nehmen kein Blatt vor den Mund. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich verstohlen für eine Hot-Coffee-Anspielung entschuldigte und eine zensierte Fassung nachreichte. GTA V will erwachsene Männer erwachsen unterhalten, und das gelingt dem Spiel vorzüglich.
Trio Infernale
Statt nur eines Anti-Helden bedient sich GTA V gleich derer drei: Der junge Franklin, ein Emporkömmling aus dem Ghetto, entspricht wohl am ehesten den bisherigen GTA-Protagonisten. Er verhält sich zwar wie ein Arschloch, ist eigentlich aber ein guter Kerl, der glaubt, dass er auf ehrlichem Wege keine Chance hätte. Der ältere Michael nimmt ihn unter seine Fittiche. Er hat durch seinen vorgetäuschten Tod seine frühere Bankräuber-Karriere bereits hinter sich gelassen. Doch in seiner Villa am Pool plagt ihn die typische Midlife-Crisis: Seine Frau treibt es mit Tennis- und Yogalehrern und seine verzogenen Kinder gehen ihm gehörig auf die Nerven. Kein Wunder, dass ihn Depressionen plagen und er zum Seelenklempner rennt.
Der Bad Boy des Trios ist Michaels früherer Buddy Trevor, eine durchgeknallte Figur, die den Joker in Christopher Nolans "The Dark Knight" wie einen Waldorf-Schüler erscheinen lässt. Der Choleriker ist völlig unzurechnungsfähig, ein pathologischer Irrer mit einem Meth-Labor, der immer wieder ausrastet, vergewaltigt, Leute aus einer Laune heraus erschießt oder foltert. Die Waterboarding-Szene stieß vielen Testern unangenehm auf (es wäre ja auch fatal, wenn sie sie unterhaltsam gefunden hätten). Genau mit solchen Konfrontationen trifft Autor Dan Houser einen Nerv. Er wartet quasi nur darauf, dass sich die Moralapostel über diese virtuellen Spielszenen aufregen, während sie über die in den USA – wie GTA treffend kommentiert – legale "Befragungspraxis" schweigen.
Trevor springt in die Gefahr ohne Rücksicht auf Verluste seines eigenen oder anderer Leben – als wenn er in seiner Todessehnsucht insgeheim wüsste, dass er nur in einem Videospiel existiert und mehr als nur ein Bildschirmleben hat. Spielerisch ist es denn auch eine Art "Berserker-Modus", in dem Trevor besonders hart austeilen und einstecken kann, der ihn von den anderen beiden unterscheidet. Der junge Franklin kann hingegen besonders geschickt fahren und Michael bei Schießereien in einen Zeitlupe-Modus schalten.
Musste man früher noch bei den einzelnen Spielelementen von GTA Abstriche gegenüber den nur auf ein Genre fokussierten Spezial-Titeln machen, so schließt GTA V hier auf: Die Schießereien steuern sich wie in "Max Payne 3", die Autojagden wie in "Midnight Club" und die Spielwelt ist trotzdem so groß und mit irren Typen bevölkert wie in "Red Dead Redemption". Die vielfach satirisch überzeichneten Charaktere müssen zwar ohne die spezielle Mimik-Technik aus "LA Noire" auskommen, wirken wegen der treffenden Dialoge aber trotzdem quicklebendig. Houser entwirft ein großes, absurdes Drama, selbst wenn man dem Spiel nur zusieht, wird man bestens unterhalten.
Kopfsprung in den SĂĽndenpfuhl
Vor allem hat Rockstar Games an der Missionsstruktur gearbeitet. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Spieler immer nur zum nächsten Einsatzort fahren, dort rumballern und wieder entkommen musste. Die Dreiteilung der Charaktere sorgt für lebhafte Abwechslung und lässt die Spieler zwischen wilden Autoverfolgungen, Bootspritztouren und Elchjagden in den Bergen springen. Je nachdem, wie die Missionen gestrickt sind, kann der Spieler entweder frei zwischen den drei Protagonisten wechseln oder ihre Rollen in Schlüsselszenen übernehmen.
Die knapp 70 Missionen des Haupthandlungsstrangs gruppieren sich vornehmlich um rund ein halbes Dutzend Überfälle, die das Trio in mehreren Einzelmissionen vorbereiten und durchführen muss. Dabei hat der Spieler die Wahl, ob er laut und mit massiver Waffengewalt durch den Haupteingang stürmt oder sich leise von hinten anschleicht. Die beiden Varianten dieser Hauptmissionen kann man im Nachhinein direkt anwählen, ohne das Spiel komplett wiederholen zu müssen. Je nachdem, wie man sich dabei anstellt und welche Crew-Mitglieder man anheuert, fällt auch die Beute unterschiedlich üppig aus.
Rockstar hat die Zahl der automatischen Speicherpunkte erhöht und räumt Spielern zudem die Möglichkeit ein, eine Action-Sequenz nach drei Fehlversuchen zu überspringen. Speichern können sie zudem zu jeder Zeit. So sollte ein deutlich größerer Anteil von Spielern als bisher nach rund 30 bis 40 Spielstunden das Finale der Hauptkampagne erleben. Ein Hängenbleiben an hohen Schwierigkeitsklippen in einer Mission hält sie nicht mehr auf.
Nebenbei lädt die Landschaft in und um die Stadt zur Erkundung ein. Man kann eine Partie Golf spielen oder an einem Triathlon teilnehmen. Besonders lustig wird es, wenn Psychopath Trevor in einen Tennisdress steigt. Nebenbei steigern solche Eskapaden die Charakterwerte der Figuren. Ein Multiplayer-Modus soll ab dem 1. Oktober seine Pforten öffnen.
Der einzige Nachteil einer solch großen Spielwelt und der zahllosen Zitate aus der Popkultur ist der massive Speicherplatzanspruch. Wer das Spiel für die PS3 nicht auf Blu-ray kauft sondern aus dem PSN-Store lädt, muss 18 GByte durch die Leitung quetschen und für die Installation das Doppelte auf der PS3-Festplatte bereithalten. Die Blu-ray-Installation benötigt mindestens 8 GByte. Kein Wunder, dass Sony das Verkaufs-Bundle der PS3 mit GTA V nur mit der Slim-Konsole mit 500-GByte-Festplatte anbietet, nicht aber mit dem kleinen 12-GByte-Model. Für die Xbox 360 liefert Rockstar das Spiel auf zwei DVDs aus, von denen man nur die erste mit 8 GByte auf die Festplatte der Konsole installieren sollte. Rockstar rät davon ab, auch die zweite Disc zu installieren, weil das Spiel dann weniger flüssig laufen soll.
Mission erfĂĽllt
Skeptiker mögen überrascht sein, aber Grand Theft Auto V kann die immens hohen Erwartungen erfüllen. Es liefert nicht nur eines der größten Freispielfelder und packt es mit jeder Menge Stunts und Abenteuer voll, sondern gestaltet auch die Geschichte und die Charaktere so unterhaltsam und abwechslungsreich, dass man oftmals einfach nur zuschauen möchte. Es ist ein modernes Sodom und Gomorrha zum mitspielen. Kein anderes Projekt der Spieleindustrie erreichte bislang diese Größe.
Rockstar hat die Mängel der Serie bei den Schießereien, Autojagden und in der Missionsstruktur konsequent ausgebessert. Es ist ein Titel, der den beiden Konsolen PS3 und Xbox 360 zum Ende ihrer Laufzeit noch einmal viele Neukunden bescheren wird. Eine PC-Version ist zwar formell angekündigt, ein Termin steht aber noch aus. Beim Vorgänger GTA IV vergingen bis zur PC-Umsetzung immerhin sieben Monate. Womöglich wird Rockstar im gleichen Zug das Spiel auch auf die PS4 und Xbox One konvertieren, da diese die gleiche Hardware-Basis haben. Offiziell bestätigt wurde die Umsetzung für die neuen Konsolen allerdings noch nicht. (hag)