Kommentar: Wir werden die FDP noch vermissen

Auch wenn es überraschend klingt: Es gibt gute Gründe der bei der Wahl havarierten FDP nachzutrauern. Denn mit ihr geht der deutschen Netzpolitik auch eine streitbare Kämpferin für Bürgerrechte verloren.

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Hohn und Spott begleitet vielerorts den Abtritt der Liberalen nach ihrem Wahldesaster. Eine FDP, deren liberale Agenda nur noch auf unregulierte Märkte geschrumpft ist, die sich mal als Spaßpartei und mal als unbeholfene Lobbyvereinigung für Hoteliers unmöglich macht – wer würde so etwas schon vermissen? Dabei übersieht man schnell, dass mit der FDP auch eine aufrechte Streiterin für Freiheit in der Netzpolitik die Regierung verlässt: die stellvertretende Parteichefin und bisherige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die unter Journalisten durchaus liebevoll als "Schnarre" abgekürzte Ministerin stand für eine Politik ein, bei der Liberalität vor allem starke Bürgerrechte bedeutete – genauer gesagt die Freiheit des Bürgers von staatlichen Eingriffen in seine Grundrechte. Konsequent leistete sie Widerstand gegen eine Neufassung der 2010 vom Verfassungsgericht gekippten anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Die 2009 von der damaligen Familienministerin von der Leyen auf den Weg gebrachten Websperren bekämpfte sie in der Koalition vehement. Forderten die Verwerter aus der Kulturindustrie lautstark abgestufte Warnhinweise nach dem „Three-Strikes-Modell“, lehnte sie das als "Angst-Modell“ ab und sagte: "Mit mir nicht.“ Ja, so manchem sicherheitspolitischen Balrog, der auf die Brücke trat, stellte sie ihr "You shall not pass" entgegen. Und nun?

Noch ist die neue Regierungskonstellation offen. Wahrscheinlich wird es auf die große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD hinauslaufen – oder auf eine Tolerierung der Merkel-Regierung durch die SPD. Wohin die CDU will, sagt ihr Wahlprogramm recht deutlich: Sicherheit, Terrorbekämpfung, mehr Videoüberwachung, Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, Punkt. Die SPD ist dagegen schwer zu greifen. Etwa bei der Vorratsdatenspeicherung bedient sich ihr Programm einer fast merkelhaften Unklarheit und spricht von "beschränken", "differenzieren", "zukunftsfähig fassen". Vielleicht ist Thüringen ein guter Vorgeschmack auf die kommende Netzpolitik: Die dort regierende große Koalition hat ihrer Polizei jüngst eine großzügige Lizenz zum Einsatz von Staatstrojanern gegeben. Die Grünen könnten möglicherweise bei der Netzpolitik noch was reißen - aber mit der Regierungsbildung werden sie wohl eher nichts zu tun haben.

Rösler, Niebel, Brüderle – sie sind kein großer Verlust für unsere politische Landschaft. Aber FDP-Persönlichkeiten wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger werden alle, die an einem freien Netz interessiert sind, wohl schon bald schmerzlich vermissen. Das Internet darf kein grundrechtsfreier Raum sein. Wer wird in der neuen Regierung dafür sorgen?

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(axk)