Kostet nicht die Welt: Wissenschaft rechnet Klimaschutz vor

Treibhausgase runter. Bis zu 70 Prozent, bis 2050. Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Konferenzen des Weltklimarats sind ein Handel. Doch das ist nichts gegen die Politik.

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Von
  • Ulrike von Leszczynski
  • dpa
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Klimawandel

Der Weltklimarat (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) der UN hat mit der Zusammenfassung seiner drei jüngsten Reports die Bedrohung des Klimawandels auf den Punkt gebracht. Seit September 2013 hatte das Gremium seinen 5. Weltklimareport in drei Teilen veröffentlicht. Zwar hatte dieser gezeigt, dass der Klimawandel mit Macht voranschreitet und der Mensch daran einen gewaltigen Anteil hat. Die Forscher stellten aber auch klar, dass der Temperaturanstieg mit globalem Einsatz noch gebremst werden kann und ein rascher Wechsel auf alternative Energien wenig kostet.

Die Nacht war kurz, der Kaffee stark, und am Ende hat die Hoffnung gesiegt: Das Weltklima ist aus Sicht der Wissenschaft noch zu retten. Und das kostet – so eine Kernbotschaft im neuesten Bericht des Weltklimarats (IPCC) – sogar weniger als oft befürchtet. Doch da ist noch etwas, das Wissenschaftler allen Staaten dieser Erde unmissverständlich hinter die Ohren schreiben: Das Fenster für diese gute Aussicht schließt sich gerade. Steigt die Welt in den kommenden 15 Jahren nicht entschieden auf klimafreundliche Energien um, wird sich das bitter rächen. Die Erderwärmung kann eines der größten Probleme künftiger Generationen werden.

Alles schon gehört, mal wieder fünf vor zwölf? Wer in die Gesichter der Umweltschützer blickt, die die tagelangen Klimadebatten zwischen fast 200 Staaten verfolgten, ist überrascht. Die Augen leuchten trotz der dunklen Ringe darunter, die Sitzung ging mal wieder bis morgens um sechs. "Es hat sich was geändert", betont Karsten Smid für Greenpeace. Wenn die Welt sich diesen Bericht zu Herzen nehme, stehe ein wirtschaftlicher Umbruch bevor: das Jahrhundert der grünen Energien. Sonnige Zukunft. Süßer Traum?

Die im vergangenen Jahrhundert gemessene Erderwärmung

(Bild: IPCC)

Smids Optimismus überrascht beim Blick auf die Statistiken der Gegenwart. Die Jahre zwischen 2000 und 2010 waren das Jahrzehnt der Kohle. Nie zuvor hat die Menschheit für die Energiegewinnung so viel Treibhausgase in die Luft geblasen. Klimaschutz? Die angestrebte Energiewende in Deutschland ist ein Klacks auf der Weltkarte. Das Land kann jedoch Vorbild sein, wenn die Energiewende denn gelingt. Die Musik spielt vor allem in Asien, in den aufstrebenden Schwellenländern.

Es ist vor allem das Kohlendioxid (CO2), das in der Atmosphäre als Haupttreiber für die Erderwärmung gilt. Steigen die Temperaturen um mehr als zwei Grad im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung, gilt die Lage als nicht mehr beherrschbar. Ozeane voller Schmelzwasser überfluten Inseln und Küsten. Stürme und Dürren kosten nicht nur Menschenleben, die Zusatzkosten drücken auch auf die Wirtschaftsbilanzen.

Neu am IPCC-Bericht ist, dass er insbesondere auf die Ökonomie zielt. Und auf eine ihrer Hauptantriebsfedern, die Energiegewinnung. Ein schneller Wandel weg von Kohle, Gas und Öl koste nur einen Bruchteil der weltweiten Wirtschaftskraft, so die neuen Berechnungen. Die nötigen Investitionen für das Zwei-Grad-Ziel seien mit 0,06 Prozentpunkten des jährlichen Wirtschaftswachstums gering, urteilt Ottmar Edenhofer, Co-Vorsitzender des Berichts und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

"Das würde beispielsweise heißen, dass die Wirtschaft anstatt mit 2 Prozent um 1,94 Prozent pro Jahr wächst", erläutert Edenhofer. Eine Kernbotschaft in Richtung der aufstrebenden Schwellenländer lautet: Wachstum geht auch mit Klimaschutz.

Eine Voraussetzung dafür aber ist, dass Kohlendioxid einen angemessenen Preis bekommt: Wer es in die Luft pustet, muss blechen. Denn die Atmosphäre gehört allen. Über einen Preis aber muss sich die Welt einig werden. Für Oliver Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, ist der neue Report auch in dieser Hinsicht ein lauter Gongschlag. "Ein Preis für Treibhausgase ist zentral", sagt er. "Wir brauchen eine grundlegende Reform des Emissionshandels und Preissignale wie Energiesteuern."

Oliver Geden ist Klima-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er glaubt nicht, dass Kosten-Argumentationen Politiker bis zum nächsten großen internationalen Klimatreffen 2015 in Paris überzeugt. Es gebe eben nicht nur einen Akteur bei Klimaverhandlungen, sondern einzelne Staaten. Sie könnten sich als Gewinner oder Verlierer des ökonomischen Wandels sehen und dementsprechend handeln - auch wenig klimafreundlich.

Zudem sei erkennbar, dass Lobbyisten in den einzelnen Ländern Widerstand organisierten, gegen jede Vernunft. Er findet es auch politisch heikel, dass der IPCC-Bericht der Welt bis Mitte des Jahrhunderts 40 bis 70 Prozent Minderung beim Treibhausgas-Ausstoß empfiehlt, aber die Margen nicht mehr regional herunterbricht. Die mit dem vorherigen Report etablierte Formel "80 bis 95 Prozent für Industrieländer" falle damit weg. Das biete Schlupflöcher für Staaten, die ehrgeizigen Klimaschutz kritisch sehen.

Wie schwer sich allein die europäische Klimapolitik tut, Einigkeit über Minderung zu erzielen, hat sie gerade erst vorgeführt. Dabei sind die heutigen Schritte entscheidend für die Zukunft. "Es mag verlockend sein, heute in neue Kohlekraftwerke zu investieren", sagt Staatssekretär Flasbarth. "Aber das heißt, dass wir sie dann 30 bis 40 Jahre mit uns herumschleppen müssen."

Genau dieser Langzeitfaktor ist es, der beim Klimaschutz immer ein Rolle spielt. Wer heute in investiert, muss die ferne Zukunft im Blick haben - auch beim Städtebau, bei der Verkehrs- und Landschaftplanung. Die Fehler fallen der Enkel-Generation auf die Füße.

Keine Regierung kann nun sagen, sie habe das nicht gewusst. Und trotzdem bleibt offen, ob die Welt rechtzeitig die Kurve kriegt. Ohne IPCC-Berichte würde sie sicher ruhiger schlafen, meint Jochen Flasbarth. "Aber das Aufwachen wäre dann furchtbar." (jk)