Politik und Wirtschaft: "Verzweifelte Antwortversuche" auf PRISM

Vertreter der IT-Branche und der Opposition haben der Bundesregierung auf der Medienwoche klägliche Bemühungen um Aufklärung der NSA-Affäre vorgeworfen. Netzaktivisten vermissen einen Schulterschluss mit den Bürgern.

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Von
  • Stefan Krempl

Vertreter der IT-Branche und der Opposition haben der Bundesregierung auf der Medienwoche Berlin-Brandenburg vorgeworfen, sich kläglich darum zu bemühen, die NSA-Affäre aufzuklären. Die Rede war von "verzweifelten Antwortversuchen". Björn Böhning (SPD), Chef der Berliner Senatskanzlei, sagte, dass der Bundesregierung lange bekannt gewesen sei, dass US- und britische Nachrichtendienste Daten abschöpfen. Dass sie nichts dagegen getan habe, sei ein großer Fehler, sie müsse die Interessen deutscher Staatsbürger gegenüber Washington und London "klar und kompromisslos vertreten". Böhning forderte, in den Entwurf für eine neue EU-Datenschutzverordnung die Klausel wieder einzuführen, die unterbinden soll, dass personenbezogene Informationen an Drittstaaten beliebig weitergegeben werden.

"Wir werden im IT-Bereich nicht wieder technisch souverän sein", sagte Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des IT-Verbands Bitkom. So stecke etwa auch in Produkten des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei zu über 30 Prozent US-Technik. Das Internet sei nicht "renationalisierbar". Deutsche Behörden oder Firmen könnten auch nicht Router "bis ins letzte Bit und Byte durchkontrollieren".

Derzeit würden westliche Geheimdienste hierzulande offenbar permanent die Verfassung brechen, räumte Rohleder ein. Die IT-Branche werde vielfach als Kollaborateur beschimpft. Die hiesige Politik habe keinen echten Hebel in der Hand, um dies zu ändern, da Deutschland nicht mehr als Bollwerk gegen den "bösen Osten" angesehen werde. Auch eine Kündigung des "Safe Harbor"-Abkommens, das einen Transfer von Kundendaten in die USA erlaubt, könne nicht die Lösung sein. Sonst wären hierzulande gängige Online-Dienste und Internettechniken erst verspätet einsetzbar.

v.l.: Hofmann, Rohleder, Böhm

(Bild: Stefan Krempl)

Rohleder bezeichnete die Deutschen als "exotische Tiere" in der Datenschutzdebatte. Während auch der Bitkom seit zwei Monaten fast nur noch über die NSA rede, wüsste auf internationalen Branchentreffen mit dem Thema kaum jemand etwas anzufangen. Rohleder stellte das Prinzip der Datensparsamkeit in Frage und plädierte stattdessen für einen "Datenreichtum". Im Zeitalter von Big Data und darauf basierender Produkte müsse aber pseudonymisiert werden, um Missbrauch zu verhindern. Zudem müssten das Datenschutzrecht vereinheitlicht und die Kontrollbehörden besser ausgestattet werden.

"Uns sind die Hände gewissermaßen gebunden", sagte Tanja Böhm, die bei Microsoft Deutschland für die Pflege der Regierungsbeziehungen zuständig ist, zur PRISM-Affäre. Ihr Unternehmen kämpfe derzeit im Gespräch mit dem US-Justizminister dafür, mehr Details veröffentlichen zu dürfen und die Geheimniskrämerei aus der Debatte herauszunehmen.

"Ein Rechtsstaat muss sich ans Gesetz halten", erklärte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). Die gesellschaftliche Grundhaltung in den USA zum Datenschutz sei aber nicht so einfach zu ändern. In Europa würde die Datenschutzgrundverordnung "eine Menge bringen", weshalb er die vom Bundesrat erteilte Rüge in diese Richtung als "absurd" abtat. Er kenne aber keinen Bürger, der einen persönlichen Nachteil erlitten habe, "weil die NSA Daten ausgespäht hat".

Spreeblick-Blogger Johnny Haeusler vermisste einen Schulterschluss der Unternehmen mit ihren Kunden oder der Politiker mit ihren BĂĽrgern. Sie sollten den Nutzern wenigstens das GefĂĽhl geben, dass sie an Transparenz interessiert seien. Der Microsoft-Vertreterin riet er, den Anwendern etwa von Skype kĂĽnftig einen Hinweis mitzuschicken, dass die Kommunikation darĂĽber nicht sicher sei.

Jeanette Hofmann, Direktorin des von Google unterstützten Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, forderte: "Wir brauchen Rahmenbedingungen, innerhalb derer es möglich ist, Internetdienste sicher zu nutzen." Sie bedauerte, dass Fragen nach den Folgen von Überwachung etwa auch durch die Vorratsdatenspeicherung und den Wert der Privatheit oft kontextfrei gestellt würden. (anw)