"Transmediales Erzählen": Film und Computerspiel sollen weiter verschmelzen

"Computerspiele werden Filme und Filme werden Computerspiele": Auf den Deutschen Gamestagen ging es auch darum, Geschichten parallel fĂĽr verschiedene Plattformen zu schreiben und diese so miteinander zu verknĂĽpfen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 77 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die australische Medienberaterin Anita Ondine hat auf den Deutschen Gamestagen eine Lanze für das "transmediale Erzählen" gebrochen, mit dem Geschichten parallel für verschiedene Plattformen geschrieben und diese so miteinander verknüpft werden. "Computerspiele werden Filme und Filme werden Computerspiele", erklärte die studierte Juristin auf der Entwicklerkonferenz in Berlin. Hollywood ist ihrer Ansicht nach derzeit bestrebt, Filmwelten um Elemente aus dem Spieleumfeld zu erweitern. Tom Hanks' Studio Playtone etwa habe gerade genauso wie die Filmschmiede Fourth Wall einen "Transmedia-Ableger" für einige Millionen US-Dollar ins Leben gerufen, der Filmproduzent Brian Grazer ein Geschäft mit einem Spielehaus abgeschlossen.

Auf der anderen Seite versuchen Computerspiele-Größen wie Ubisoft seit Längerem, sich beim Kino abzuschauen, wie emotionale Geschichten erzählt werden. Sie wollen zudem einen Fuß ins Filmgeschäft bekommen. Der französische Games-Verleger selbst hat dazu einem Bericht nach gerade die Abteilung "Ubisoft Motion Pictures" gegründet. Das Studio soll Stoffe des Konzerns für Kino-Streifen und TV-Sendungen adaptieren.

Transmediale Erzählungen unterscheiden sich Ondine zufolge von interaktiven Medienentwicklungen, dass sie eine Geschichte noch offener als diese anlegen und dem ins Geschehen hineingezogenen Zuschauer mehr Partizipationsmöglichkeiten an die Hand geben. Um eine einheitliche Story mit möglichst vielen Nähten, Ösen und Haken zwischen unterschiedlichen medialen Plattformen zu schreiben, müsse man weniger mit einem klassischen Drehbuch als vielmehr "wie bei der Spiele-Entwicklung" beginnen. Es gehe darum, zunächst das Set und die Regeln der Erzählwelt festzulegen und diese auf einen Kern in Form eines Juwels zuzuspitzen, der "alles zum Erstrahlen bringt".

Filmemacher müssten dafür von Game-Designern lernen, wie man das Publikum über Anreize in eine Story hineinziehe und sie dann mit Bonuspunkten belohne und zum weiteren Erkunden der virtuellen Welten animiere. Die andere Seite könne sich von Drehbuchautoren wiederum abschauen, wie man ein mediales Erlebnis aus der Perspektive einer packenden Geschichte heraus anlegen könne. Wichtig sei es, im Skript bereits Anknüpfungspunkte für eine Ausgestaltung der Handlungsstränge in anderen Mediengattungen anzulegen. So könnten in einem Film etwa Indizien ausgelegt werden, die einem Nutzer dann im zugehörigen Spiel weiterhälfen. Als "echten Mehrwert" des transmedialen Erzählens bezeichnete die in London tätige Medienproduzentin die Möglichkeit, das Geschichtenerzählen wieder zu einem "sozialen Erlebnis" zu machen. So wie sich früher die Familie am Abend vor dem Fernseher versammelte, könnten die miteinander verwobenen Spiele- und Filmwelten eine Art "neuen Marktplatz oder Treffpunkt" über die Komponente der "sozialen Unterhaltung" schaffen.

Wie stark Hollywood mittlerweile an aufwendigen Spieleproduktionen mit ergreifender Story interessiert ist, wusste Malte Wagener zu berichten, der bei Koch Media fürs globale Geschäft verantwortlich ist. Kurz nachdem die Münchner den in ein klassisches Familienumfeld eingebetteten Trailer für das kommende Zombie-Spiel "Dead Island" online gestellt hätten und dieser innerhalb von zwei Stunden 2,5 Millionen mal angeschaut worden sei, hätten bereits die ersten Studios aus Kalifornien angerufen, erzählte der Marketingexperte. Nun liefen Gespräche über eine Filmadaption des noch gar nicht publizierten Games mit Größen bis hin zu Ridley Scott oder Jerry Bruckheimer. Von transmedialem Design hält Wagener aber wenig: "Entweder ist eine Story gut oder schlecht." Sei ersteres der Fall, handle es sich quasi um einen Selbstläufer in verschiedenen Mediengattungen.

Die Münchner Lizenzierungsfirma Beta Film, die zur Firmengruppe von Jan Mojto gehört und aus dem Bestand von Kirch Media hervorging, bereitet sich derweil auf den Startschuss des mit dem ZDF koproduzierten Historienspektakel "Borgia" im September vor. Sie hat dabei im Einklang mit dem transmedialen Konzept die Entwicklung eines zugehörigen Adventure-Spiels schon mit in Angriff genommen. Die Verknüpfung hat laut dem Leiter der Game-Abteilung des Unternehmens, Rupert Ochsner, einige Vorteile. Einerseits werde die Medienmarke der Produktion gerstärkt, andererseits könne ein Computerspiel verlorengegangene Zielgruppen zum Fernsehen zurückbringen. Darüber hinaus könnten 3D-Animationen, das Set-Design, Charaktere, Musik und Ausstattungsgegenstände für beide Entwicklungsarten verwendet werden. Bei Borgia arbeite Beta Film für die Spieleumsetzung mit Daedalic Entertainment in Hamburg zusammen, wobei beide Seiten Kosten und Einnahmen teilten. (jk)